Belgien stoppt Atomausstieg – in Deutschland keine Option
Belgien kehrt dem Atomausstieg den Rücken und plant neue Reaktoren – trotz Widerstands des Betreibers Engie.

Das Kernkraftwerk Tihange steht immer wieder in der Kritik wegen bestehenden Schäden. Es ist nur 60 km von Aachen entfernt.
Foto: PantherMedia / coddie
Am 3. Februar 2025 trat in Belgien eine neue Mitte-Rechts-Regierung unter Premierminister Bart De Wever an. Eines ihrer ersten großen Vorhaben betrifft die Energieversorgung: Der beschlossene Atomausstieg soll gestoppt werden. Bestehende Kernkraftwerke sollen länger laufen, neue Reaktoren könnten hinzukommen.
Im Parlament fand diese Kehrtwende breite Zustimmung: 102 Abgeordnete stimmten für die Rücknahme des Atomausstiegs, nur 8 dagegen. 31 enthielten sich. Energieminister Mathieu Bihet kündigte an, die Stromproduktion aus Kernkraft mittelfristig zu verdoppeln. Neben den bestehenden vier Reaktoren will die Regierung bis zu 4 Gigawatt zusätzliche Kapazität durch neue Anlagen schaffen.
Besteht vor diesem Hintergrund die Möglichkeit, dass Deutschland seinen Atomausstieg ebenfalls stoppt? Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) hat dem eine klare Absage erteilt.
Inhaltsverzeichnis
Wie sieht es derzeit in Belgien aus?
Derzeit betreibt Belgien vier aktive Reaktoren an zwei Standorten: Doel bei Antwerpen und Tihange nahe Lüttich. Ursprünglich waren es sieben, doch zwischen 2022 und Anfang 2025 wurden Doel-1, Doel-2 und Tihange-2 abgeschaltet. Diese Abschaltungen waren Teil des geplanten Atomausstiegs, der 2003 gesetzlich beschlossen worden war.
Die Laufzeit der Reaktoren Doel 4 und Tihange 3 war bereits 2022 angesichts steigender Energiepreise bis 2035 verlängert worden. Jetzt prüft die Regierung sogar eine weitere Laufzeit über 2035 hinaus. Auch Doel 1, Doel 2 und Tihange 1 könnten reaktiviert werden – vorausgesetzt, technische und regulatorische Hürden lassen das zu.
Engie lehnt Pläne ab
Widerstand kommt vom Kraftwerksbetreiber Engie. Unternehmenschef Vincent Verbeke erklärte, man werde nicht mehr in Kernenergie investieren. Die Atomkraft sei nicht mehr Teil der Unternehmensstrategie. Engie verfolgt weiterhin den Plan, alle Reaktoren bis 2025 oder spätestens 2035 vom Netz zu nehmen und abzubauen.
Für die Regierung De Wever ergibt sich daraus ein Dilemma: Sie müsste entweder einen neuen Betreiber finden oder den Betrieb der Kraftwerke verstaatlichen. Auch juristisch könnte das problematisch werden, denn bestehende Verträge mit Engie sichern dem Konzern Mitsprache bei Laufzeitfragen zu.
Geschichte der Kernenergie in Belgien
Die Anfänge der belgischen Atomwirtschaft reichen weit zurück. Bereits 1913 wurde im damaligen Belgisch-Kongo hochkonzentriertes Uranerz entdeckt – ein Rohstoff, der für das US-amerikanische Manhattan-Projekt im Zweiten Weltkrieg von großer Bedeutung war. Durch die Uranlieferungen erhielt Belgien im Gegenzug Zugang zu ziviler Nukleartechnologie.
1956 wurde mit dem BR1 in Mol der erste belgische Reaktor in Betrieb genommen. 1958 errichtete man zur Weltausstellung in Brüssel das Atomium – ein architektonisches Symbol für den Glauben an die friedliche Nutzung der Kernenergie.
In den 1970er Jahren folgten die ersten kommerziellen Kernkraftwerke in Doel und Tihange. Bis in die 1980er Jahre hinein wurde die belgische Kernenergiekapazität ausgebaut. Zeitweise deckte die Atomkraft über die Hälfte des Strombedarfs. 2011 lag der Anteil bei 54 %, 2023 noch bei 41,3 %.
Atomausstieg mit vielen Wendungen
Bereits 1999 beschloss die damalige Regierung eine Laufzeitbegrenzung auf 40 Jahre für belgische Reaktoren. 2003 wurde ein gesetzlicher Atomausstieg bis 2025 festgelegt. Doch die Umsetzung verlief nie geradlinig.
Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011 bekräftigte die Regierung den Ausstiegsplan. Allerdings führte der drohende Strommangel immer wieder zu Rücknahmen und Laufzeitverlängerungen. 2014 verlängerte die Regierung Michel II die Laufzeit von Doel 1 und 2 bis 2025. Auch danach war die Diskussion nie abgeschlossen.
Sicherheitsbedenken und Kritik aus Deutschland
Die belgischen Atommeiler stehen regelmäßig in der Kritik – insbesondere in Deutschland. Aachen liegt nur etwa 60 Kilometer vom Kraftwerk Tihange entfernt. Immer wieder wurden dort Schäden dokumentiert, etwa Risse im Reaktordruckbehälter oder bröckelnde Betonteile. Die Bundesregierung und Kommunen in Grenznähe forderten mehrfach die Abschaltung unsicherer Reaktoren.
Trotzdem wurde der Betrieb – etwa von Doel 3 und Tihange 2 – nach Wartungs- und Reparaturarbeiten wieder aufgenommen. Die belgische Atomaufsicht ließ die Anlagen nach Überprüfungen weiterlaufen, was in Deutschland erneut Proteste auslöste.
Energiekrise als Wendepunkt
Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 änderte sich die energiewirtschaftliche Lage drastisch. Gaspreise stiegen stark, Versorgungssicherheit wurde zu einem zentralen Thema. Die belgische Regierung entschied daraufhin, zumindest zwei Reaktoren – Doel 4 und Tihange 3 – bis 2035 weiterlaufen zu lassen.
Auch innerhalb der belgischen Regierung kam es zu Konflikten. Während die Grünen auf den Ausstieg pochten und auf Gaskraftwerke setzten, warnten andere Parteien vor einer zu starken Abhängigkeit von russischem Gas und vor steigenden Emissionen.
Zukunft der belgischen Kernenergie bleibt offen
Derzeit ist unklar, ob die neue Energiepolitik in Belgien dauerhaft Bestand haben wird. Viel hängt von Verhandlungen mit Engie und der Frage ab, ob neue Betreiber gefunden werden können. Auch der Bau neuer Kernkraftwerke ist ein langfristiges Projekt – mit hohen Investitionen, langen Genehmigungsverfahren und öffentlicher Diskussion.
Klar ist: Belgien hat sich vom bisherigen Kurs verabschiedet. Der geplante Ausstieg ist vorerst gestoppt. Ob die Kernenergie jedoch tatsächlich eine Renaissance erlebt, bleibt offen.
Deutschland bleibt beim Atomausstieg
Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) hält am Ausstieg aus der Atomkraft fest. «Ich bin da ganz klar. Es gibt da eine Kontinuität zur letzten Bundesregierung», sagte er nach einem Treffen mit den Umweltministern der Länder im saarländischen Mettlach-Orscholz.
Schneider reagierte damit auf den Beschluss des belgischen Parlaments, den dortigen Atomausstieg wieder zu stoppen. „Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens in Deutschland, sie (die Atomkraft) nicht mehr zu nutzen“, sagte Schneider. „Und die Beschlussfassung dazu in der Regierung ist meines Erachtens auch klar.“
Der Minister sagte, man habe in Deutschland «einen großen Umstieg geschafft auf erneuerbare Energien». Bis 2030 würden 80 Prozent des Strombedarfs durch Erneuerbare gedeckt. Atomkraft werde in Zukunft keine Rolle mehr spielen.
„Andere Länder sind natürlich frei in dem, was sie tun“, sagte er zur Entscheidung in Belgien: „Die Belgier sind autonom, die müssen das entscheiden. Wir sind auf einem anderen Weg.“ Ein Atomkraftwerk sei «wahnsinnig teuer». Schneider fügte hinzu: „Die Zukunft ist auf lange Sicht grün und sie ist auch billiger dadurch.“
(mit dpa)
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