Plastikrecycling ohne Vorsortieren – geht das bald wirklich?
Neues Nickel-Verfahren könnte das Sortieren von Plastik überflüssig machen. Forschende verwandeln Abfall in Öl und Wachse.
Die Plastikberge wachsen immer weiter - eine gute Nachricht kommt aus den USA. Forschende haben eine Methode entwickelt, die das Sortieren von Kunststoffabfall vor dem Recycling überflüssig macht.
Foto: Smarterpix / gorlovkv
Forschende der Northwestern University haben einen Nickel-Katalysator entwickelt, der Polyolefin-Kunststoffe gezielt in Öle und Wachse zerlegt. Vorsortieren wäre damit überflüssig. Selbst PVC, bisher ein Recyclingproblem, beschleunigt den Prozess. Die Methode könnte das Recycling einfacher, günstiger und effizienter machen.
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Ein ewiges Ärgernis: Plastikberge überall
Ob Joghurtbecher, Shampoo-Flaschen oder Snackverpackungen – Kunststoffe sind aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Fast jede*r greift täglich mehrmals zu einem Produkt, das aus Polyethylen oder Polypropylen besteht. Diese beiden Kunststoffarten, zusammengefasst als Polyolefine, machen fast zwei Drittel des weltweiten Plastikverbrauchs aus. Sie sind stabil, vielseitig – und ein massives Problem für die Umwelt.
Denn bislang ist es extrem schwierig, Polyolefine wiederzuverwerten. Der Großteil landet auf Deponien oder in der Natur, wo er jahrzehntelang liegen bleibt. Mit der Zeit zerfällt er in winzige Mikroplastikpartikel, die Gewässer und Böden belasten. Nur ein Bruchteil wird überhaupt recycelt. Laut Studien liegt die Quote global bei weniger als 10 %.
Das größte Hindernis: Polyolefine lassen sich kaum voneinander unterscheiden und sind nur schwer aufzuschmelzen. Wer Recyclinganlagen betreibt, muss die Abfälle deshalb mühsam sortieren. Schon kleine Verunreinigungen machen eine ganze Charge unbrauchbar.
Eine Idee aus den USA
Das Forschungsteam der Northwestern University hat nun eine Methode vorgestellt, die dieses Problem lösen könnte. Das Verfahren setzt auf einen Katalysator auf Nickelbasis. Er ist günstig herzustellen, robust und erstaunlich wählerisch. Sein Job: Polyolefine gezielt zerlegen.
„Eine der größten Hürden beim Kunststoffrecycling war schon immer die Notwendigkeit, Kunststoffabfälle sorgfältig nach Art zu sortieren“, sagt Tobin Marks, leitender Autor der Studie. „Unser neuer Katalysator könnte diesen kostspieligen und arbeitsintensiven Schritt umgehen und das Recycling effizienter, praktischer und wirtschaftlicher machen als aktuelle Strategien.“
Von der Flasche zum Schmieröl
Das Verfahren trägt den sperrigen Namen Hydrogenolyse. Dahinter steckt ein relativ einfacher Gedanke: Mit Wasserstoffgas und dem Nickel-Katalysator lassen sich die stabilen Kohlenstoffbindungen in Polyolefinen aufbrechen. Aus festem Plastik entstehen flüssige Öle und Wachse. Diese wiederum können als Grundlage für Schmierstoffe, Kerzen oder sogar Kraftstoffe genutzt werden.
Damit entsteht kein minderwertiges Granulat, wie beim üblichen Downcycling, sondern ein höherwertiges Produkt. Ein Vorteil, der das Verfahren wirtschaftlich interessant macht.
Was macht den Katalysator so besonders?
Bisherige Katalysatoren arbeiten meist mit teuren Edelmetallen wie Platin oder Palladium und benötigen hohe Temperaturen von bis zu 700 °C. Der neue Ansatz kommt ohne diese Luxusmetalle aus. Nickel ist reichlich vorhanden und vergleichsweise günstig.
Das Team entwickelte einen Single-Site-Katalysator – vereinfacht gesagt ein Molekül mit nur einer aktiven Stelle. An dieser Stelle greift er gezielt die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen an. Statt wie ein Vorschlaghammer das gesamte Polymer zu zerlegen, wirkt er wie ein feines Skalpell.
Yosi Kratish, Mitautor der Studie, erklärt: „Im Vergleich zu anderen Katalysatoren auf Nickelbasis verwendet unser Verfahren einen Single-Site-Katalysator, der bei einer um 100 Grad niedrigeren Temperatur und bei der Hälfte des Wasserstoffgasdrucks arbeitet. Außerdem verwenden wir zehnmal weniger Katalysator, und unsere Aktivität ist zehnmal höher.“
PVC als Turbo statt Störfaktor
Ein überraschendes Detail brachte die Forschenden selbst ins Staunen. Normalerweise gilt Polyvinylchlorid (PVC) in Recyclingprozessen als rotes Tuch. Schon geringe Mengen machen eine Charge unbrauchbar. Bei Erhitzung setzt PVC Chlorwasserstoff frei, der Katalysatoren zerstört.
Doch der neue Nickel-Katalysator reagierte anders: Er hielt nicht nur stand, sondern legte sogar an Tempo zu. Selbst bei Mischungen mit bis zu 25 % PVC blieb er aktiv. „Das Hinzufügen von PVC zu einer Recyclingmischung war bisher immer verboten”, sagt Kratish. „Aber anscheinend verbessert es unseren Prozess sogar noch. Das ist verrückt. Damit hat definitiv niemand gerechnet.“
Plastikberge in Zahlen
Jedes Jahr entstehen weltweit mehr als 220 Millionen Tonnen Polyolefin-Produkte. Das entspricht Millionen von Joghurtbechern, Tüten und Einwegflaschen – Tag für Tag. Die Recyclingquote liegt bei unter 10 %, teilweise sogar unter 1 %. Der Rest wird verbrannt, deponiert oder landet unkontrolliert in der Umwelt.
Die chemische Stabilität der Polyolefine ist Fluch und Segen zugleich. Sie macht Verpackungen langlebig, sorgt aber auch dafür, dass sich die Materialien kaum abbauen. Ihre Kohlenstoffketten sind so stabil, dass Forschende sie bislang kaum knacken konnten.
Hoffnung auf industrielle Anwendung
Noch ist das Verfahren ein Laborerfolg. Aber die Forschenden sind überzeugt, dass sich ihr Ansatz im industriellen Maßstab nutzen lässt. Der Katalysator ist günstig herzustellen, mehrfach verwendbar und einfach zu regenerieren.
Mit einer Behandlung durch ein preiswertes Aluminium-Reagenz lässt er sich nach dem Einsatz wieder fit machen. Das senkt die Kosten und macht das Verfahren attraktiv für Unternehmen, die große Mengen Plastikmüll verarbeiten.
Warum das Thema uns alle betrifft
Wenn wir in den Kühlschrank schauen, sehen wir Polyolefine: Quetschflaschen für Ketchup, Folien über Käse, Milchkanister. All diese Produkte haben eine extrem kurze Lebensdauer. Nach wenigen Tagen landen sie im Müll.
„Im Grunde genommen besteht fast alles in Ihrem Kühlschrank aus Polyolefin“, so Kratish. „Diese Kunststoffe haben eine sehr kurze Lebensdauer und sind daher meist Einwegprodukte. Wenn wir keine effiziente Möglichkeit haben, sie zu recyceln, landen sie auf Deponien und in der Umwelt, wo sie jahrzehntelang verbleiben, bevor sie zu schädlichen Mikroplastikpartikeln zerfallen.“
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