Wunsch nach Weiterbildung lässt nach 03.12.2025, 10:30 Uhr

Weiterbildungskrise: Deutschland bleibt weit hinter EU-Ziel zurück

Deutschland driftet beim Thema Weiterbildung vom gesetzten EU-Ziel weg – nur jeder Zweite plant überhaupt eine Weiterbildung. Hohe Kosten, fehlende Infos und schwache Aufstiegschancen bremsen vor allem jene aus, die Weiterbildung am dringendsten bräuchten.

Der Wunsch nach Weiterbildung lässt bei Arbeitnehmern in Deutschland immer mehr nach, trotz der Tatsache, dass Re-skilling die Arbeitsplätze der Zukunft sichert.

Der Wunsch nach Weiterbildung lässt nach: Trotz rasanten Wandels findet nur jeder Zweite den Weg ins Re-skilling.

Foto: Smarterpix/IgorVetushko

Der Arbeitsmarkt verändert sich aktuell rasant: Künstliche Intelligenz übernimmt Routineaufgaben, Technik entwickelt sich immer schneller. Weiterbildung ist dabei entscheidend, um Beschäftigte für diesen Wandel zu rüsten. Der Ist-Zustand sieht allerdings ganz anders aus: Deutschland entfernt sich aktuell deutlich von den Weiterbildungszielen der Europäischen Union. In einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung zeigt sich deutlich, wie groß die Lücke zwischen Weiterbildungsbedarf und tatsächlicher Bereitschaft in Deutschland inzwischen geworden ist.

Nur die Hälfte plant Weiterbildung

Laut EU sollten sich eigentlich 65 % aller Arbeitnehmer jährlich weiterbilden, um konkurrenzfähig zu bleiben und in Zukunft überhaupt noch gefragt zu sein. Doch nur 50,7 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Auftrag der Bertelsmann Stiftung repräsentativ befragt wurden, planen in den nächsten zwölf Monaten eine Weiterbildung. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren waren es noch 57 %.

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„Der technologische Wandel nimmt immer mehr Geschwindigkeit auf, gleichzeitig stagniert die Bereitschaft zur Weiterbildung. Das ist eine Hypothek für den Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagt Weiterbildungsexperte und Studienautor Martin Noack.

Weiterbildung wichtig für Zukunft

Die größten Hürden für Arbeitnehmende sind derzeit eine unübersichtliche Informationslage, zu hohe Kosten und zu wenig Zeit. Außerdem bemängeln viele Befragte, dass die Aussichten auf mehr Gehalt und eine Beförderung durch Weiterbildung in ihren Unternehmen eher gering sind.

Der Arbeitsmarkt befindet sich im Wandel aufgrund von Künstlicher Intelligenz, Nachhaltigkeitszielen und demografischem Wandel. Viele Branchen, wie beispielsweise die Automobilindustrie bauen daher substanziell Stellen ab. In manchen Bereichen führt das sogar zu einem immer größer werdenden Fachkräftemangel.

Weiterbildungen sind daher von enormer Wichtigkeit: So können Arbeitskräfte für die Transformation des Arbeitsmarkts fit gemacht werden, um mögliche Lücken im Personal zu schließen.

Beschäftigte mit Bildungserfahrung eher interessiert

In der Umfrage wird ebenfalls deutlich, dass die Hemmschwelle bei Beschäftigten, die bereits eine umfangreiche Bildungserfahrung habe, geringer ist. Sie sind auch weiterhin offen für eine Weiterbildung:

  • Von denjenigen, die im nächsten Jahr eine Weiterbildung planen, haben 77 % auch im Vorjahr an einer teilgenommen.
  • Davon haben knapp 40 % einen akademischen Abschluss.
  • 52 % haben die Schule mit der (Fach-)Hochschulreife verlassen.

Von den Befragten, die in den nächsten zwölf Monaten keine Weiterbildung planen, haben im Vorjahr auch nur 23 % an einer teilgenommen. Davon haben 13 % einen akademischen Berufsabschluss und 52 % haben die Schule mit einem Hauptschulabschluss verlassen.

Anreize für Beschäftigte fehlen

Grund für den Rückgang der Weiterbildungsrate ist dabei vor allem der fehlende Anreiz des Arbeitgebers. 30 % der Befragten vermissen eine Aussicht auf eine Gehaltserhöhung und 26,8 % eine Perspektive auf beruflichen Aufstieg. In dieser Gruppe sind Geringqualifizierte deutlich überrepräsentiert. Für diese eröffnen insbesondere Teilqualifikationen die fehlenden Aufstiegsperspektiven.

„Teilqualifikationen bieten berufliche Quereinstiege und führen sogar Schritt für Schritt zum Berufsabschluss, daher sollten sie ausgebaut, bekannter gemacht und stärker gefördert werden“, sagt Noack.

Überblick über bestehende Angebote fehlt

Wer schon eine Weiterbildung plant, denkt auch über eine zweite nach – wenn ausreichend Informationen verfügbar sind. 35 % der Befragten werden von einer weiteren Weiterbildung abgehalten, weil ihnen ein Überblick über mögliche Angebote, sowie Hinweise darauf fehlen, welche Angebote überhaupt passend wären. Auch Informationen zu finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten fehlen einem Viertel der Befragten.

Ein Berufsbildungsscheck für Weiterbildung

Neben Anreizen und Informationen fehlt es vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch an Zeit und Geld. 25 % der Befragten mit Weiterbildungsplänen sehen die Kosten für eine weitere Fortbildung als zu hoch an. Über Zeitmangel klagen knapp 22 %.

Mittelfristig könnte eine geförderte Bildungs(teil)zeit Abhilfe schaffen. Kurzfristig sollte der Bildungsurlaub bekannter gemacht und bei klarem beruflichem Fokus finanziell gefördert werden. Eine Ergänzung dieses Angebots um einen bundesweiten Berufsbildungsscheck, der sozial gestaffelt die Kosten deckt, könnte die von der Bundesregierung geplante Weiterbildungsoffensive mit Leben füllen.

Die Förderung der Weiterbildung ist aber auch eine Aufgabe der Unternehmen. Eine Weiterbildungsoffensive darf sich daher nicht allein an Beschäftigte wenden. In Summe sehen knapp zwei Drittel der Beschäftigten eine oder sogar mehrere Barrieren in der Unternehmenskultur: Besonders häufig wird kritisiert, dass Weiterbildung in den Unternehmen als persönliche Angelegenheit und nicht als Teil der Arbeit angesehen wird. Weitere Kritikpunkte sind die mangelnde Unterstützung durch die Vorgesetzten und das Fehlen einer systematischen Planung der Weiterbildung.

„Die Bündelung der verschiedenen lokalen Bildungs- und Berufsberatungsangebote in einem ,Haus der Beratung‘ oder einer ,Weiterbildungsagentur‘ würde die Wege deutlich verkürzen“, sagt Noack. „Außerdem brauchen wir eine gemeinsame Datenbasis der Weiterbildungsangebote mit Open-Data-Standard, für eine zielgenaue KI-unterstützte Online-Beratung.“

Die Erhebung der Daten hat vom 19. Februar 2025 bis zum 10. März 2025 stattgefunden. Insgesamt wurden 2641 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer befragt.

Was Weiterbildung im Mittelstand wirklich braucht

Kein erkennbarer Nutzen, keine Zeit, keine beruflichen Vorteile: Für KMU (kleinere und mittlere Unternehmen) ist genau diese Haltung ein Risiko, gerade dort, wo Verantwortlichkeit, Regulierung und digitale Angriffsflächen wachsen. Das das Thema aktuell wichtig ist, zeigt eine Diskussionsgruppe bei LinkedIn. In dieser weisen Expertinnen und Experten aus dem Mittelstand auf notwendige Aspekte hin, die umgesetzt werden sollten, damit KMU auch in Zukunft im Wettbewerb agieren können:

  • Risiken senken: Gut geschulte Mitarbeitende treffen sicherere Entscheidungen, sowohl rechtlich, technisch, als auch organisatorisch.
  • Abläufe stabilisieren: Je höher das Verständnis, desto weniger Fehler, Nacharbeiten und Überraschungen in Audits und Kontrollen
  • Verantwortung verteilen: Wissen entlastet Führungskräfte, weil Risiken nicht mehr allein an der Spitze hängen bleiben
  • Veränderungen ermöglichen: Teams können Anforderungen souverän bewältigen, wenn sie dafür qualifiziert sind

Auch kleine Schritte zählen

Zu viele Trainings- und Fortbildungsangebote sind zu viel Theorie und zu wenig Praxis – sie sind oftmals zu generisch und zu weit entfernt vom eigentlichen Arbeitsalltag. Lernen ohne praktische Anwendungsmöglichkeiten frustriert.

Doch trotz der ständigen Veränderungsmüdigkeit, können auch kleine Schritte in Richtung Weiterbildung bereits helfen: ein KI-Podcast auf dem Weg zur Arbeit, ein Fachartikel über Leadership, Bildungsurlaub Englisch. Oder E-Learning im eigenen Tempo über Onlineanbieter.

Weiterbildung sollte daher kein Pflichtprogramm sein, sondern echten Nutzen schaffen, Perspektiven bieten und sichtbar verändern, wie Menschen arbeiten.

Ein Beitrag von:

  • Anastasia Pukhovich

    Anastasia Pukhovich ist Volontärin beim VDI Verlag. Ihre Tätigkeit beim Max-Planck-Institut für Nachhaltige Materialien weckte ihr Interesse an allen Themen rund um Chemie und Umwelt, welche sie auch journalistisch verfolgt.

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