MINT-Vorurteile: Mädchen werden besonders in Technik und Informatik unterschätzt
Geschlechtsspezifische Erwartungen prägen schon früh den Zugang zu MINT-Fächern: Studien zeigen, dass Lehrkräfte und Lehramtsstudierende Mädchen besonders in Technik und Informatik geringere Fähigkeiten zutrauen.
Jungen oder Mädchen in MINT? Neue Forschung zu Kompetenzwahrnehmungen.
Foto: Prostock-studio/Smarterpix
Wer ist eigentlich „besser“ in Mathe, Technik oder Informatik – Jungs oder Mädchen? Lange Zeit haben Klischees und Stereotypen die Antwort vorgespurt. Jetzt gibt es wissenschaftliche Belege: Lehrkräfte und Lehramtsstudierende trauen Jungen in MINT-Fächern tatsächlich mehr zu – je nach Fach mal mehr, mal weniger. Besonders groß sind die Unterschiede in Technik und Informatik. Das zeigen zwei Studien des DIPF | Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, veröffentlicht in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. Die Autorinnen raten, schon im Lehramtsstudium, in Fortbildungen und beim Unterrichtsmaterial ein Auge darauf zu haben und solche Vorurteile bewusst zu hinterfragen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass stereotypische Erwartungen gegenüber Mädchen vor allem in den MINT-Domänen Technik und Informatik bestehen. Diese Stereotype sind bei Lehramtsstudierenden sogar stärker ausgeprägt als bei erfahrenen Lehrkräften“, erklärt Prof. Dr. Hanna Beißert, Leiterin des Arbeitsbereichs „Heterogenität und Bildung“ am DIPF.
MINT-Kompetenzen unter der Lupe
In zwei aufeinanderfolgenden Studien hat das Team untersucht, wie Grundschullehrkräfte und Lehramtsstudierende die Fähigkeiten von Mädchen und Jungen in Mathematik, Naturwissenschaften, Technik und Informatik einschätzen. Erstmals wurden dabei mehrere MINT-Fächer einzeln betrachtet.
Die Ergebnisse waren eindeutig: Jungen wurden in allen MINT-Fächern als kompetenter eingeschätzt als Mädchen – wobei die Unterschiede je nach Fach variierten. Besonders groß war die Lücke bei Technik und Informatik, während sie in Mathematik und Naturwissenschaften deutlich kleiner ausfiel.
Beide Studien basierten auf Fragebögen. Die Teilnehmenden sollten für Jungen und Mädchen getrennt einschätzen, wie gut Kinder typischerweise in Mathematik, Naturwissenschaften, Technik und Informatik sind.
In der ersten Studie machten 43 Grundschullehrkräfte aus Baden-Württemberg mit. In der zweiten Studie wurde die Gruppe deutlich größer: 85 Lehrkräfte und 174 Lehramtsstudierende aus ganz Deutschland. Dabei zeigte sich ein interessantes Muster: Lehramtsstudierende gingen von deutlich größeren Unterschieden zwischen den Geschlechtern aus als die bereits im Schuldienst stehenden Lehrkräfte.
Gezielt geschlechtsspezifische Stereotype aufgreifen
Hanna Beißert sieht in den beiden Studien wichtige Konsequenzen für die Praxis: Sie betont, dass Lehramtsausbildung und Fortbildungen gezielt geschlechtsspezifische Stereotype aufgreifen und bei angehenden Lehrkräften Bewusstsein sowie Reflexionsmöglichkeiten schaffen sollten. Außerdem empfiehlt sie, zwischen den einzelnen MINT-Domänen zu unterscheiden, da der Fokus in der geschlechterbezogenen Förderung bislang oft auf Mathematik liegt. „Unsere Untersuchung legt jedoch nahe, dass gerade Technik und Informatik stärker adressiert werden sollten. Das gilt explizit auch für Lehrkräfte im Grundschulbereich“, erklärte Beißert.
Die Stereotype von Lehrkräften beeinflussen bereits in der Grundschule die Einstellungen der Kinder gegenüber MINT-Fächern. Auch wenn Naturwissenschaften, Informatik und Technik dort keine eigenen Fächer sind, werden sie im Sachkundeunterricht bereits vorbereitet. Prof. Beißert empfiehlt deshalb, Unterrichtsmaterialien vielfältiger zu gestalten und gezielt Bilder und Beispiele mit Mädchen und Frauen einzusetzen. Bei den Schulbüchern sieht sie schon Fortschritte, allerdings enthalten besonders Arbeitsblätter noch oft geschlechtsstereotype Darstellungen.
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