Wenns im Team kracht – Beschwerde nach § 84 BetrVG
In einer idealen Arbeitswelt arbeiten alle im Team fleißig, verlässlich und konstruktiv zusammen. Der Umgang miteinander ist freundlich, die Stimmung gut. Soweit das Ideal. Die Realität sieht leider in etlichen Fällen anders aus. Für den Fall, dass sich Probleme im Team nicht untereinander lösen lassen, gibt es einen offiziellen Weg aus der Krise: Der Gesetzgeber sieht eine formale Beschwerde nach § 84 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) vor. ingenieur.de erklärt, wie dieser Weg am sinnvollsten beschritten wird.

Wenn aus Teamwork Zoff wird: Konflikte am Arbeitsplatz eskalieren häufig durch mangelnde Kommunikation.
Foto: PantherMedia / Andriy Popov
Worüber sich Kolleginnen und Kollegen ärgern – häufige Gründe für Beschwerden
Die schlechte Nachricht zuerst: Die Liste der Beschwerdegründe ist lang. Einmal abgesehen vom Zwiebelmettbrötchen-Verzehr am Arbeitsplatz, übermäßigen Einsatz von Parfüm und Aftershave oder persönlichen Antipathien gibt es eine Reihe verbreiteter Leistungs- und Verhaltensprobleme, die die Arbeit im Team erschweren.
Eine Auswahl typischer Leistungsprobleme:
- Interne und externe Termine, zum Beispiel Deadlines werden nicht eingehalten.
- Vereinbarte Aufgaben werden nur zum Teil und/ oder in schlechter Qualität erledigt.
- Kolleg/-innen lehnen mehr oder weniger geschickt Aufgaben ab, schieben anderen die Arbeit zu.
- Teammitglieder stellen ihr Telefon auf andere um, obwohl sie erreichbar wären.
- Sie führend während der Arbeit grundsätzlich ausführliche private Telefonate, spielen mit großer Begeisterung am Computer oder Smartphone.
- Projektverantwortliche vergreifen sich im Ton gegenüber Kundenunternehmen.
Auch auf der Verhaltensebene gibt es typische Probleme – eine Auswahl:
- „Chef spielen“: Mitarbeitende versuchen, Gleichrangigen Anweisungen zu geben, sie generell zu dominieren.
- destruktive Kritik
- ständiges Herumnörgeln und Lamentieren bezüglich der Arbeit
- Lästern, zum Beispiel über Kleidung, Aussehen
- taktlose Bemerkungen gegenüber anderen Beschäftigten
- diskriminierende Äußerungen und Verhaltensweisen, zum Beispiel sexuell oder rassistisch motiviert
Und nun die gute Nachricht: Wenn alle gut gemeinten persönlichen Gespräche nicht weiterführen, gibt es eine offizielle Beschwerdemöglichkeit.
Beschwerde nach § 84 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG)
- Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen.
- Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden und, soweit er die Beschwerde für berechtigt erachtet, ihr abzuhelfen.
- Wegen der Erhebung einer Beschwerde dürfen dem Arbeitnehmer keine Nachteile entstehen.
Wie läuft die Beschwerde nach § 84 BetrVG ab – mündlich oder schriftlich?
Spontan an der passenden Tür klopfen und sich, womöglich in einem hochemotionalen Redeschwall, über einen Missstand auszulassen, das führt nicht zum Erfolg. Dr. Sandra Flämig, Fachanwältin für Arbeitsrecht mit eigener Kanzlei in Stuttgart, empfiehlt grundsätzlich, Beschwerdeanlässe schriftlich zu dokumentieren: „Hier würde ich grundsätzlich dazu raten, dass Mitarbeitende, die sich beschweren wollen, Beweise sammeln. Die Beschwerde sollte sich nicht wischiwaschi lesen, sondern sollte, ich nenne das immer „ZDF“, also Zahlen, Daten, Fakten enthalten.“ Zu umfangreich sollte eine solche Dokumentation nicht werden, sagt die Expertin: „Es ist jetzt nicht ratsam, dass man spontan ein 30-seitiges Pamphlet an den Chef schickt – das ist weird. Aber wenn man die Beweise hat, wäre aus meiner Sicht der erste Schritt die mündliche Ansprache der geeigneten Person nach vorheriger Vereinbarung eines Termins. Und dann kann man schriftlich nachlegen.“
Der Realitätscheck: Wie sehen andere Beschäftigte den Beschwerdegrund?
Flämig kennt Beschwerdefälle aus der Praxis und weiß: „Oft entsteht ja erst mal ein ungutes Gefühl. Es ist meiner Meinung nach auch gut, dem zu vertrauen und nachzugehen. Dieses ungute Gefühl kann dabei auch durch das Gespräch mit anderen Kollegen geprüft werden – das ist der Realitätscheck. Wenn man dann, auch durch die Bestätigung von außen, immer noch der Ansicht ist, dass man ungerecht behandelt wird, sollten die konkreten Fakten gesammelt werden.“ Gemeinsam sind wir stark, dieser bekannte Ausspruch gilt besonders in Beschwerdefällen, weiß die Fachanwältin für Arbeitsrecht: „Bei all dem ist jedoch zu beachten, dass man sich intern des Rückhalts der Kolleginnen und Kollegen versichert. Am besten ist es, wenn man als Gruppe auftritt. Das geht natürlich nur, wenn der Sachverhalt die Gruppe betrifft.“
Helfen Zeugen bei einer Beschwerde nach § 84 BetrVG?
Grundsätzlich ja, sagt Sandra Flämig: „Wenn man allein betroffen ist, gibt es hoffentlich Zeugen, die einem dann zur Seite stehen.“ Die Rechtsanwältin weiß aus ihrer Berufspraxis aber auch, dass Zeugen sich nicht als unzuverlässig erweisen, und das aus zwei Gründen:
- Fehlender Mut: Nicht alle Zeugen haben, wenn es darauf ankommt, den Mut, einem beizustehen. Das sollte man unbedingt vorher klären.
- Abweichende Erinnerung: Oft ist es so, dass Zeugen sich nicht erinnern können oder sich an etwas anderes erinnern. Man sollte also die Zeugen befragen, wie sie das Ganze wahrgenommen haben, und das mit der eigenen Wahrnehmung abgleichen.
Was soll in einer Mail mit einer Beschwerde nach § 84 stehen?
Das Protokoll ist die eine Sache. Ebenso wichtig ist es aber, der zuständigen Person, die in den fraglichen Situationen nicht dabei war, anschaulich zu schildern, worum es geht. Sandra Flämig rät: „Stellen Sie sich das Geschehen als Film vor, von dem Sie erzählen würden. Das kann man im Privaten üben – wenn Sie es einer außenstehenden, Ihnen verbundenen Person, die den Sachverhalt nicht kennt, so rüberbringen können, dass die sagt: ‚Auf die Barrikaden!‘, dann sind Sie überzeugend. Vielleicht üben Sie es dann noch mal mit einer anderen Person, die weniger Temperament hat, und wenn die dann auch äußert, dass das ‚schon ein dicker Hund ist, und wo kommen wir denn da hin…!‘, dann sind Sie auf der richtigen Spur.“
Fotos, Videos, Audios – No-Gos als Beweismittel bei der betrieblichen Beschwerde
Die Rechtsanwältin Flämig warnt ausdrücklich: „Bitte nicht auf die Idee kommen, den/die Widersacher/in zu filmen oder zu fotografieren oder heimlich Tonaufnahmen zu machen und die dann stolz als Beweise zu präsentieren. Da riskiert man dann selbst einen harten Rüffel bis Rauswurf.“ Ihr ist ein Fall bekannt, in dem ein Vorgesetzter eine Mitarbeiterin filmte, wie sie Spiele auf dem Handy spielte. Die aus Sicht des Vorgesetzten angemessene Aktion wurde zum Bumerang, berichtet Sandra Flämig: „Der arme Mann bekam eine Abmahnung und wollte doch bloß alles richtig machen.“
Der Betriebsrat als Helfer bei Beschwerden nach § 84 BetrVG?
Hilft der Betriebsrat bei einer solchen Beschwerde? Flämig empfiehlt auch in dieser Frage Besonnenheit: „Man kann bei seiner Beschwerde ein Betriebsratsmitglied hinzuziehen. Dazu würde ich raten, wenn man ein Mitglied kennt, dem man vertraut. Man sollte wissen: Der Betriebsrat hat die kollektiven Interessen der Belegschaft im Blick, ist natürlich auch für die Beschwerden Einzelner zuständig, ist aber nicht der Anwalt einzelner Beschäftigter. Ich würde es gut abwägen und das nicht einfach so machen. Es muss ein Vertrauensverhältnis bestehen.“
Was kann schlimmstenfalls Beschäftigten passieren, die sich beschweren?
Grundsätzlich schützt § 84 BetrVG Mitarbeitende im Fall einer Beschwerde. Dennoch gilt banaler Weise auch hier, wie so oft im Leben: Recht zu haben, bedeutet nicht, recht zu bekommen. Es kann ja, nicht unwahrscheinlich, geschehen, dass eine Person das schädigende Verhalten leugnet, das ihr unterstellt wird. Dann wären die nächsten Schritte: Versuch der Klärung im gemeinsamen Gespräch, und letztlich käme es darauf an, welche Seite die besseren Beweismittel hat. Anwältin Flämig empfiehlt: „Es kann sinnvoll sein, eine neutrale externe Stelle einzuschalten, Anwälte oder Anwältinnen, oder jemanden aus dem Coaching-Bereich.“
Üble Nachrede oder Verleumdung durch eine Beschwerde
Anders sieht es aus, wenn eine Beschwerde unberechtigt ist und vielleicht sogar ein persönliches Motiv, zum Beispiel Neid, dahintersteht. Anwältin Sandra Flämig erklärt, welche gesetzlichen Tatbestände aus dem Strafgesetzbuch (StGB) dann infrage kommen: „Da kann es zum einen um § 186 Üble Nachrede gehen, zum anderen um § 187 Verleumdung. Mögliche Folgen sind Geld- und sogar Freiheitsstrafen.“
Warum sind Beschwerden nach § 84 BetrVG sinnvoll?
Sich über andere „offiziell“ zu beschweren, hat, keine Frage, einen negativen Beigeschmack und steht auf der Liste beliebter zwischenmenschlicher Aktivitäten ganz weit unten. Unter Kindern spricht man oft von „Verpetzen“, in politischen Systemen von „Verrat“, im Kollegenkreis taucht der Begriff „Kollegenschwein“ auf. Das alles mag – bei unberechtigten Behauptungen – vorkommen. Wenn aber eine Beschwerde sachlich berechtigt ist, dürfte sie in der Regel auch menschlich, politisch und aus Arbeitnehmer- wie Arbeitgebersicht berechtigt sein. Und wenn es gelingt, Missstände durch eine Beschwerde zu beseitigen, dann ist die Beschwerde zwar mit emotionalem wie praktischem Aufwand verbunden, aber sinnvoll.
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