Arbeitszeitkonto im Umbruch 18.08.2025, 20:11 Uhr

Steuerfreie Überstunden: Wie soll das konkret aussehen?

Noch im Jahr 2025 sollen Überstundenzuschläge steuerfrei werden. Wer profitiert und welche Probleme für Unternehmen drohen.

Überstunden

Noch 2025 sollen Zuschläge für Überstunden steuerfrei sein – doch wie genau die Regelung umgesetzt wird, ist noch offen.

Foto: PantherMedia / coffeekai

Mehr Arbeit, mehr Netto – das ist das Versprechen der Bundesregierung. Noch im Jahr 2025 sollen Zuschläge für Überstunden steuerfrei werden. Was auf den ersten Blick nach einem klaren Plus für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer klingt, wirft in der Praxis viele Fragen auf. Wer profitiert wirklich? Welche Grenzen sind vorgesehen? Und was bedeutet die Regelung für Unternehmen, die Überstunden organisieren und abrechnen müssen?

Hintergrund: Warum das Thema jetzt wichtig wird

Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD ist die Idee festgeschrieben: „Wer freiwillig mehr arbeiten will, soll mehr Netto vom Brutto haben.“ Damit sollen Anreize geschaffen werden, die Arbeitszeit flexibel auszuweiten und Engpässe am Arbeitsmarkt zu lindern.

Die Bundesregierung plant, Zuschläge für Mehrarbeit steuerfrei zu stellen. Dabei geht es nicht um die Bezahlung der Überstunde selbst, sondern nur um den Zuschlag, den viele Tarifverträge oder individuelle Vereinbarungen vorsehen. Das bedeutet: Auch künftig bleibt der Grundlohn für Überstunden steuerpflichtig.

Laut Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) leisteten Beschäftigte 2024 im Schnitt 28,2 Überstunden. Hochgerechnet auf 42 Millionen Menschen ergibt das über eine Milliarde Mehrstunden. Von diesen wurden 13,1 Stunden bezahlt, 15,1 blieben unvergütet. Die geplante Steuerbefreiung zielt also nur auf einen Teil dieser Arbeit ab.

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Was genau soll steuerfrei werden?

Die geplante Neuregelung unterscheidet klar zwischen dem Grundlohn und den Überstundenzuschlägen. Steuerfrei wären nur die Zuschläge, die über das reguläre Gehalt hinaus gezahlt werden.

Beispiel:
Eine Angestellte verdient 3.000 Euro brutto im Monat bei 40 Stunden pro Woche. Ihr Stundenlohn liegt bei rund 17,24 Euro. Leistet sie 15 Überstunden, kommen 258,60 Euro hinzu. Zahlt der Arbeitgeber zusätzlich einen Zuschlag von 30 %, macht das 77,58 Euro.

Nach geltendem Recht muss auch dieser Zuschlag versteuert werden. Künftig könnte er steuerfrei sein. Das würde im Beispiel rund 34 Euro mehr Netto ausmachen.

Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sind bereits heute unter bestimmten Bedingungen steuerfrei. Sie bleiben von der Reform unberührt.

Wer profitiert – und wer nicht?

Die Regierung kann bisher nicht sagen, wie viele Menschen wirklich von der Neuregelung profitieren würden. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage hieß es: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Angaben vor.“

Klar ist: Profitieren können nur Beschäftigte, deren Überstunden ausbezahlt werden. Wer Überstunden auf einem Arbeitszeitkonto sammelt und später in Freizeit umwandelt, geht leer aus.

Auch Teilzeitkräfte könnten Nachteile haben. Da die Regelung an die tarifliche Vollzeit gekoppelt ist, bleiben viele Stunden von Teilzeitbeschäftigten möglicherweise außen vor. Laut Statistischem Bundesamt arbeiten fast 50 % der Frauen in Teilzeit, aber nur 13 % der Männer. Damit könnten Frauen strukturell benachteiligt werden.

Sascha Müller von den Grünen warnt: „Überproportional profitieren vor allem Gutverdiener, meist Männer in Vollzeitjobs, während Geringverdienende und Teilzeitkräfte – überwiegend Frauen – weitgehend leer ausgehen.“

Arbeitszeitkonten im Umbruch

Das Jahr 2025 könnte eine spürbare Zäsur im Arbeitsrecht bringen. Mit der geplanten Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge steht das klassische Arbeitszeitkonto vor einem Umbruch. Bislang galt es als flexibles Modell: Mehrarbeit konnte gesammelt, später abgebaut oder auf Wunsch ausgezahlt werden.

Mit der Reform könnte sich das ändern. Viele Beschäftigte werden künftig darauf drängen, Überstunden direkt steuerfrei vergütet zu bekommen. Für Unternehmen bedeutet das ein Risiko: Was bisher planbar war, könnte zur Quelle neuer Konflikte werden.

Die Fragen liegen auf der Hand:

  • Wie lässt sich sauber dokumentieren, welche Überstunden steuerfrei sind?
  • Wie wird festgelegt, ob die Mehrarbeit freiwillig war?
  • Was passiert mit bestehenden Konten, die auf Freizeitausgleich setzen?

Juristinnen und Juristen sprechen schon jetzt von einer „tickenden Zeitbombe“. Arbeitszeitkonten, die auf pauschalen Regeln beruhen, passen nicht mehr zur neuen Logik.

Mögliche Probleme für Arbeitgeber

Arbeitgeber stehen vor handfesten Herausforderungen. Werden steuerfreie und normale Überstunden nicht klar getrennt, drohen Nachzahlungen nach Lohnsteuerprüfungen – inklusive Zinsen und Bußgeldern. Alte Arbeitsverträge, die bisher nur Freizeitausgleich vorsahen, könnten rechtlich unsicher werden.

Hinzu kommt die Technik. Viele Zeiterfassungssysteme unterscheiden nicht sauber zwischen tariflicher Arbeitszeit und freiwilliger Mehrarbeit. Nachrüstungen kosten Geld und Zeit. Und jeder Fehler kann zu Konflikten mit Beschäftigten oder sogar zu Klagen führen.

Rechtsanwalt Alexander Meyer bringt es auf den Punkt: „Wer jetzt nicht aufpasst, riskiert Chaos bei Arbeitszeitkonten, fehlerhafte Abrechnungen und Konflikte mit der Belegschaft.“

Wie Unternehmen reagieren sollten

Für Arbeitgeber gilt: Nicht warten, sondern handeln. Wer sich vorbereiten will, muss Prozesse anpassen. Dazu gehören:

  • eine klare Trennung der Überstundenarten,
  • überarbeitete Arbeitszeitkonten mit neuen Kategorien,
  • angepasste Arbeitsverträge, die ein Wahlrecht auf Auszahlung berücksichtigen,
  • aktualisierte Zeiterfassungssysteme,
  • sowie eine transparente Kommunikation mit den Mitarbeitenden.

Gerade dort, wo ohnehin Veränderungen anstehen, lohnt es sich, die Gelegenheit für eine umfassende Neugestaltung der Überstundenregelungen zu nutzen. Denn die Einführung steuerfreier Zuschläge ist kein kleines Detail – sie verändert die gesamte Logik der Arbeitszeitgestaltung.

Auswirkungen auf Arbeitnehmer

Für Beschäftigte bedeutet die Neuregelung mehr Netto – wenn auch oft nur in überschaubarem Umfang. Rechenbeispiele zeigen, dass pro Überstunde meist nur wenige Euro zusätzlich im Portemonnaie bleiben.

Ob dieser Betrag Motivation zur Mehrarbeit schafft, ist umstritten. Studien deuten darauf hin, dass höhere Bezahlung zwar Anreize setzt, die Wirkung auf das Arbeitsvolumen aber begrenzt bleibt.

Problematisch könnte eine zunehmende Arbeitsbelastung werden. Wer regelmäßig Überstunden macht, läuft Gefahr, gesundheitlich darunter zu leiden. Gewerkschaften weisen auf das Risiko von Stress und Burnout hin. Deshalb fordern sie klare Grenzen.

Vergleich mit Frankreich

Ein Blick nach Frankreich zeigt mögliche Risiken. Dort führte eine ähnliche Regelung dazu, dass Beschäftigte in Absprache mit Arbeitgebern mehr Überstunden meldeten, als sie tatsächlich leisteten – um vom Steuerbonus zu profitieren. Auch in Deutschland warnen Fachleute vor solchen Mitnahmeeffekten.

Alternative Modelle: Freizeit statt Geld

Nicht alle Überstunden werden ausgezahlt. Viele Beschäftigte nutzen Arbeitszeitkonten oder bauen Mehrstunden durch Freizeitausgleich ab. Diese Modelle bleiben von der Steuerfreiheit unberührt.

Auch Lebensarbeitszeitkonten sind möglich: Überstunden können für längere Freistellungen wie Elternzeit oder Sabbatical angespart werden. Erst wenn diese Stunden ausbezahlt werden, fallen wieder Steuern an.

Was noch unklar ist

Die Bundesregierung arbeitet an den Details. Noch offen sind Fragen wie:

  • Wird es branchenspezifische Ausnahmen geben?
  • Wie hoch liegt der endgültige Zuschlagdeckel?
  • Welche Regeln gelten für Teilzeit- und Minijob-Beschäftigte?
  • Wie streng wird die Dokumentation überprüft?

Erste Entwürfe für das Gesetz sollen noch 2025 vorliegen. Ob die Steuerfreiheit langfristig spürbare Effekte auf Arbeitsmarkt und Wirtschaft hat, bleibt abzuwarten.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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