Heiko Mell 14.12.2025, 14:00 Uhr

Wer eignet sich für den Vertrieb?

Der Karriereberater Heiko Mell diskutiert über Vertriebsbegabung, warum Einser-Kandidaten oft nicht verkaufen, welche Persönlichkeit Vertrieb ausmacht – und wo technische Grenzen auf mentale Hartnäckigkeit treffen.

Vertrieb

m Vertrieb sind Persönlichkeit, Praxisnähe und Beharrlichkeit wichtiger als technische Perfektion.

Foto: panthermedia.net / g_studio

Frage:

Ich erinnere mich – leider nur bruchstückhaft – an eine Antwort von Ihnen zu diesem Thema in den 80er bzw. 90er Jahren. Eines dieser Kriterien lautete „Einser-Kandidaten verkaufen (oft) nichts“. Das zweite war, wenn ich mich recht erinnere, der Einzelkind-Status: Es schult schon in jungen Jahren, wenn man sich gegen seine Geschwister durchsetzen muss – gute Voraussetzungen für die Vertriebstätigkeit.

An das dritte Kriterium kann ich mich leider gar nicht mehr erinnern. Können Sie Licht in meine doch sehr dunkle Erinnerung bringen?

Warum der Vertrieb unverzichtbar ist

Antwort:

Ob ich präzise wiederholen kann, was ich vielleicht vor 40 Jahren geschrieben habe, ist äußerst fraglich. Unterstellen wir einfach, dass Ihre Frage ohne „historischen“ Bezug ganz sachlich gemeint ist und ich versuche, sie auf der Basis meiner aktuellen Erkenntnisse zu beantworten. Ich muss zunächst einige grundsätzliche Worte über den Vertrieb an die Spitze meiner Aussagen stellen:

  1. Der Vertrieb ist eine der Säulen der Marktwirtschaft. Um ihn dreht sich letztlich fast alles. Am Vertrieb hängt der Umsatz, hängen Marktanteile und das so heiß begehrte Wachstum. Ein Unternehmen ohne eigenen Vertrieb ist nahezu undenkbar. Während man notfalls die Entwicklung und ganz sicher die Produktion fremd vergeben kann, ist es äußerst ratsam, den Vertrieb, also den direkten Kontakt zum Markt, zu vorhandenen und potenziellen Kunden, in der eigenen Hand zu behalten.

Ein funktionierender Vertrieb ist also gar nicht  hoch genug zu bewerten. Natürlich kann er nur verkaufen, was die Entwicklung und die Produktion ihm in die Hand geben – insofern handelt es sich um die drei Beine eines stabil stehenden Tisches: Sie brauchen einander, irgendwelche Überlegenheitsgefühle des einen „Beines“ über ein anderes, die in der Praxis gelegentlich beobachtet werden können, sind unberechtigt.

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  1. Der „Vertrieb“ ist ein äußerst komplexes Metier mit zahlreichen Facetten und entsprechend höchst unterschiedlichen Tätigkeits- und Anforderungsprofilen. Das reicht von anspruchsvollen strategisch-konzeptionellen Bereichen über extrem „hochwissenschaftlichen“ Marketing-Sprech (der sich Außenstehenden nicht mehr erschließt) bis zum kontaktorientierten Routine-Besuch des Außendienstlers bei Stammkunden.

Aber: Schließlich läuft das dann doch wieder auf die zentrale Aufgabe hinaus, alles andere ist mehr oder minder Beiwerk: Umsatz generieren. Umsatz zu auskömmlichen Preisen. Daran wird im Vertrieb letztlich nahezu alles gemessen. Und das muss jeder Mitarbeiter, der irgendwo im Vertrieb arbeitet, akzeptieren. Das gilt auch, wenn Sie etwa an hochkomplexen Marketing-Strategien arbeiten, in denen es von Fremdworten nur so wimmelt: Wenn Sie eines Tages Vertriebsleiter, -GF oder -Vorstand werden wollen, dann müssen Sie vorher in die Umsatzverantwortung – und werden in Ihrer Zielposition wieder an der Erfüllung dieser Umsatzziele gemessen. Umsatz ist (fast) alles, ohne Umsatz kein Gewinn – und um den geht es!

  1. Der Vertrieb setzt – noch stärker als andere Fachbereiche – eine entsprechende Begabung für dieses Metier voraus. Ich habe es vor vielen Jahren an dieser Stelle einmal so drastisch formuliert: Ein Entwicklungsingenieur ohne ausgeprägte Begabung dafür ist ein „armes Schwein“, ein entsprechend unbegabter Vertriebsingenieur ist ein „ganz armes Schwein“.

Man erkennt eine entsprechende Grundorientierung ggf. schon in jungen Jahren, wenn z. B. der Schüler oder Student Freude hat am Handel mit gebrauchten Fahrrädern oder Computerkonsolen, wenn er gern dabei ist, wenn das gebrauchte Familienauto in Zahlung gegeben wird oder was auch immer. So mancher künftige Vertriebler hat sich so sein Studium finanziert.

Wege in den Vertrieb: Ausbildung, Praxiswissen und Grenzen technischer Detailtiefe

Es gibt heute schon spezielle Studienrichtungen für die spätere Arbeit im Vertrieb. Aber der spätere Standard-Vertriebsingenieur hat eine übliche Ingenieurausbildung hinter sich – bei der so mancher Technik-Professor erkennen lässt, dass Entwicklung edel, Vertrieb jedoch eher weniger edel ist und bei der Vertriebswissen kaum vermittelt wird. Die für die spätere Tätigkeit unumgänglichen Fachkenntnisse kommen dann aus der Kombination „Begabung und Einarbeitung in der Praxis“. Immer können zielorientierte Praktika schon während des Studiums sehr empfohlen werden, für künftige Vertriebler gilt das ganz besonders.

Heiko Mell

Karriereberater Heiko Mell.

Und ich muss vorsichtshalber noch eine Einschränkung loswerden: Auch wenn man – der Zielgruppe dieser Serie entsprechend – vorrangig Industrieunternehmen und die Ingenieure in deren Vertrieb betrachtet, steht man vor einer sehr großen Vielfalt von Branchen, Produkten und damit Kunden sowie Vertriebsformen. Ich muss daher akzeptieren, wenn der eine oder andere unter Ihnen sagt, bei ihm sei doch vieles ganz anders.

Zwischen Kundenwunsch und Machbarkeit

Jetzt kommt eine gewagte Äußerung, die ich auch gleich relativen muss. Zunächst aber die Kernbehauptung: Bezogen auf die Technik der Produkte geht der Vertrieb recht oberflächlich damit um, nimmt man etwa F+E-Positionen als Maßstab. Er, der Vertrieb, muss sie ja auch nicht entwickeln und nicht produzieren. Er muss nur so tief in „seiner Technik“ zu Hause sein, dass er die Kunden beraten kann, ihre Probleme versteht, er muss diese speziellen Belange dann wieder der eigenen Entwicklung und Produktion vermitteln, die ihm sagen werden, genau so ginge es nun absolut nicht und er müsse das den Kunden nahebringen – die natürlich dennoch kaufen sollen.

Dazu kommt, dass der Vertrieb, der seinen Kunden bei Laune halten will, um so seine Umsatzvorgaben erfüllen zu können, gern dazu neigt, seinen Abnehmern möglichst viel zu versprechen, was später F+E und Produktion besonders erbost.

Ich versuche hier, weil ich ja auch jungen Berufseinsteigern etwas Orientierung geben will, ein etwas gewagtes, aber nach bestem Wissen und Gewissen nicht unrealistisches Beispiel: Wenn der Entwicklungsingenieur bei der Suche nach einer Problemlösung an eine technisch bedingte Grenze stößt, nach der etwa ein Bauteil dieser definierten Belastung nicht standhalten würde, dann hakt er diesen Weg als erledigt ab und sucht ggf. nach anderen Ansätzen. Aber selbst wenn der untersuchte Weg auf einem dringenden, vom Vertrieb auf Nachdruck übermittelten Kundenwunsch beruht, lautet die eindeutige Antwort: Das geht nicht, die Sache ist erledigt.

Kaltakquise: Wenn „Nein“ erst der Anfang ist

Wenn aber ein Vertriebsingenieur etwa zur „Kaltakquise“ (es gibt keinerlei frühere Beziehungen zu diesem potenziellen Kunden, der vermutlich sogar von diesem Lieferanten nie gehört hat) bei einem wichtigen möglichen Partner gezwungen ist und dort vorstellig wird, dann kann auch er – wie oben der F+E-Ingenieur – an eine klare Grenze stoßen: Nein, heißt es, wir haben kein Interesse.

Das aber ist für den Vertriebsingenieur nur Ansporn: Er denkt: „Nun, das sagst du heute, das ist erst der Anfang, jetzt wollen wir doch einmal sehen, was da noch zu machen ist: Gibt es bei uns in der Technik Mitarbeiter mit Kontakten zu einflussreichen Leuten bei der Zielfirma, lässt sich über gemeinsames Golfspielen etwas machen, kann ich unseren Geschäftsführer motivieren, es einmal auf höchster Ebene zu versuchen etc.“  Schlimmstenfalls schenkt er der Sekretärin des zuständigen Entscheidungsträgers einen Karton Pralinen (als Aufmerksamkeit, nicht als Bestechung), damit sie ihm nach seinem fünften Anruf nun doch einmal einen Termin bei ihrem Chef möglich macht. Die Grenze, an die der Vertriebler da zunächst gestoßen war, ist für ihn nicht das Ende, sondern lediglich der Einstieg in eine interessante neue Herausforderung.

Das aber kann man nur bedingt lernen, dafür braucht man eine entsprechende Begabung. Und da sind wir beim Kern des Themas: Es hat sich gezeigt, dass technisch hochqualifizierte Ingenieure mit Einser-Examen mit dieser Art des Vorgehens grundsätzlich schlechter oder gar nicht zurechtkommen. Sie erkennen mit ihrem Wissen eine etwaige Grenze, sehen diese dann als unumstößlich an  und haken den Weg endgültig ab. Und die Geschichte mit dem Pralinenkarton nach dem fünften Anruf liegt ihnen auch nicht.

Warum Top-Noten im Vertrieb kaum zählen

Überhaupt die Kunden: Diese sind nett, aber inkompetent, teilweise bösartig, mitunter von Fachwissen ungetrübt und heutzutage vor allem auf Preisreduktion, Rabatte und ähnliches Entgegenkommen aus. Auch das liegt dem typischen Einser-Kandidaten eher nicht. Er will mit der Brillanz seiner Technik überzeugen, und wenn er Pech hat, hört ihm der potenzielle Kunde dabei überhaupt nicht zu.

Daher kommt meine seit Jahrzehnten gereifte Erkenntnis: Einser-Kandidaten sind im Vertrieb grundsätzlich nicht optimal aufgehoben. Sie „verkaufen nix“. Natürlich gibt es immer auch Ausnahmen, aber die bestätigen nur die Regel.

Es geht noch weiter: Da im üblichen technischen Studium diese spezielle Vertriebsbegabung weder gefördert noch geprüft wird, sie aber in diesem Bereich wichtiger ist als technisches Top-Wissen, gilt: In keinem anderen Tätigkeitsbereich als gerade im Vertrieb spielen Kriterien wie Abi-Note, Studiendauer und Examensnote eine geringere Rolle. Hinter jedem sonst als völlig „uninteressant“ einzustufenden Ausbildungs-Werdegang kann sich Vertriebsbegabung verstecken. Aber natürlich ist diese nicht etwa zwangsläufig mit schlechten Noten verbunden, sie kann(!) sich aber hinter diesen verstecken.

Fazit: Während man bei schwachen Schul- und Studienergebnissen ziemlich sicher vorhersagen kann, dass aus diesem Kandidaten kaum ein interessanter Mitarbeiter in F+E werden wird, geht das bei Bewerbern für den Vertrieb nicht so einfach. Aber ein entsprechender Kandidat muss dann schon auf mehr an Qualifikation verweisen können als auf schlechte Noten. Nun, man sagt ja: Talent bricht sich Bahn. Wer also vertriebsbegabt ist, wird seine entsprechende Begabung irgendwie unter Beweis stellen können. Und eben müssen.

Vertriebsbegabung erkennt man – aber selten an Fakten

Die Geschichte mit den Einzelkindern ist, so glaube ich, nicht von mir. Ihre Ausführungen klingen logisch, mir fehlen aber die Beweise. Vielleicht ist echte Vertriebsbegabung so dominant, dass sie den eventuell hemmenden Status des Einzelkindes überspielt. Immerhin: Ich bin Einzelkind und nicht vertriebsbegabt. Aber diese Basis ist für eine Statistik etwas dünn.

Ein drittes Kriterium lt. Ihrer Frage könnte sein: Der für den Vertrieb geeignete Kandidat ist von sympathischem Äußeren, korrekt gekleidet, kommunikationsfreudig, aber auch dabei stets auf den Kunden bezogen. Er hat gute Umgangsformen (Geschäftsessen), ist reisefreudig und liebt i. d. R. schöne Dienstwagen (aber das ist keine direkte Voraussetzung).

Zuletzt noch ein Beispiel, das unterstreichen soll, wie einseitig manche Vertriebsleute entweder sind oder werden: Ich lernte den sehr erfolgreichen Geschäftsführer einer namhaften Handelsgesellschaft kennen. Eines Tages beschloss er, mir als besonderes Geschenk sein zentrales Erfolgsgeheimnis anzuvertrauen (in seiner Aussage steckt ein Dialekt, den ich nie sicher zuordnen konnte):

„Käufen und verkäufen, darum geht es, lieber Herr Mell. Und man muss immer teurer verkäufen als man eingekäuft hat.“

Ich war nun im Besitz des zentralen Erfolgsbausteins – und kam zu der Erkenntnis: Direkt vom Stuhl hauen würde das einen Einser-Kandidaten tatsächlich nicht.

Ein Beitrag von:

  • Heiko Mell

    Heiko Mell ist Karriereberater, Buchautor und freier Mitarbeiter der VDI nachrichten. Er verantwortet die Serie Karriereberatung innerhalb der VDI nachrichten.  Hier auf ingenieur.de haben wir ihm eine eigene Kategorie gewidmet.

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