Aufstieg per Branchenwechsel?
Heiko Mell diskutiert mit einem langjährigen Leser über Branchenwechsel, Karriere als Projektleiter, Gehaltsfragen und die Risiken beruflicher Veränderungen.
Ein Branchenwechsel eröffnet Chancen – birgt für Projektleiter aber auch hohe Risiken, wenn Fachrichtung und roter Faden im Lebenslauf verloren gehen.
Foto: panthermedia.net / mikdam
Frage: Seit meinem Start in den Beruf vor siebzehn Jahren bin ich treuer Leser Ihrer Karriereberatung. Vielen Dank für die stets lehrreichen und manchmal unterhaltsamen Beiträge.
Aktuell bin ich (Mitte 40) etwas unzufrieden mit meiner beruflichen Situation und möchte den „nächsten Schritt“ machen. Ich bin seit ca. zehn Jahren bei einem größeren Unternehmen einer speziellen, eigentlich als zukunftssicher geltenden Branche mit sehr anspruchsvollen Produkten in der Entwicklungsabteilung tätig. In dieser Zeit habe ich es immerhin zum Projektleiter (seit vier Jahren) geschafft und fühle mich in dieser Rolle auch wohl.
Mein aktuelles Projekt läuft aber aus und es sind keine neuen Projekte in Sicht, bei denen ich als Projektleiter in Frage käme. Das Unternehmen hat seit Jahren meinen Entwicklungsbereich „verkümmern“ lassen. Viele Kollegen haben den Bereich gewechselt oder das Unternehmen verlassen. Ihre frei gewordenen Stellen wurden zum größten Teil nicht nachbesetzt.
Berufsziel – Projektleiter
Mein Ziel ist es, eine neue Stelle als Projektleiter, möglichst im Entwicklungsbereich meiner Branche, zu finden. Leider gibt es in der Region nicht viele Firmen dieser Art, so dass angebotene passende Stellen äußerst begrenzt bzw. gar nicht vorhanden sind.
Aus meiner Sicht gibt es folgende Optionen:
- Branchenwechsel: Projektleiter in einer anderen Branche, mein Wunsch wären erneuerbare Energien.
- Interner Wechsel (raus aus der Entwicklung, Veränderung in Richtung Validierung oder ähnlich).
Ich habe folgende Fragen:
a) Wie wird ein Branchenwechsel gesehen, insbesondere wenn man bereits einen entsprechend spezialisierten Studiengang wie ich aufweist (die heutige Branche steht bereits in meiner Bezeichnung des Ingenieurabschlusses und prägt seit mehr als zwanzig Jahren meinen Lebenslauf)?
In vorherigen Beiträgen haben Sie empfohlen, eher einen allgemeinen Studiengang zu wählen (wie etwa Maschinenbau, Wirtschafts-Ingenieurwesen). Das würde ich im Nachgang auch so machen. Ich fürchte, eine Bewerbung von mir im Bereich Erneuerbare Energien würde mit dem Vermerk abgelehnt: „Fachlich zu weit entfernt“.
b) Wie ermittelt man das realistische Gehalt einer potenziellen neuen Stelle? Hintergrund: Ich befinde mich in dem von Ihnen beschriebenen „goldenen Käfig“. Ich befürchte, für kleinere Firmen zu teuer zu sein – vor allem nach meiner erfolgten Höhergruppierung auf die Projektleitungs-Ebene. Zu „billig“ möchte ich mich aber auch nicht verkaufen.
Wechsel und seine Risiken
Antwort: Es gibt zahlreiche Leser, die es sich angewöhnt haben, nach dem sorgfältigen Studieren der veröffentlichten Frage erst einmal zu überlegen: Was macht der Mell jetzt damit, wo setzt er an, was wird er zu den Ursachen des Problems sagen und wozu wird er raten? Mir gefällt das sehr, zeigt es doch die Bereitschaft dieser Leser, sich intensiv mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Und genau darum geht es mir. Kurz gesagt: Wenn Ihnen eines Tages Ihre berufliche Welt „um die Ohren fliegt“, dann sollen Sie zumindest erkennen, warum das so kommen konnte und noch viel lieber würde ich Sie dabei unterstützen, Schwierigkeiten aller Art schon im Vorfeld wirkungsvoll entgegentreten zu können. Das aber funktioniert nur, wenn Sie sich rechtzeitig mit den „Spielregeln des Systems“ vertraut machen.
Also, liebe Leser, haben Sie jene drei so harmlos klingenden Worte in dieser Zuschrift als „Problem-Verstärker“ oder vielleicht sogar „…-Verursacher“ identifiziert? Ich gehe erst auf Grundsätzliches ein und komme dann darauf zurück.
Zum Wechsel überhaupt: Jeder davon beinhaltet mehr oder minder große Risiken – Sie verlassen vertrautes Terrain und stehen vor einem Neuanfang. Allerdings ist der Wechsel oft die einzige verbleibende Chance. Einigen wir uns darauf: Chancen und Risiken gehören unbedingt zu unserem Wirtschaftssystem. Grundsätzlich gilt: keine Chance ohne Risiko – beide müssen nur in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Und bei einem Wechsel sind beide Aspekte meist nennenswert groß.
Theorie des „roten Fadens“
Solche Wechsel können z. B. neben der eigentlichen Position betreffen: die Branche, die Fachrichtung, die Tätigkeit, die Hierarchie-Ebene, die interne organisatorische Einheit, das Unternehmen. Nach der Theorie des „roten Fadens“, der in Ihrem Werdegang stets erkennbar sein sollte, wird davon abgeraten, zu viele dieser Kriterien gleichzeitig zu ändern. Eines muss mindestens anders werden, sonst wäre es ja kein Wechsel. Als Faustregel mag gelten, höchstens noch ein zweites Kriterium zu verändern, aber bei dreien oder mehr steigt das Risiko in erheblichem Maße.
Wenn es sich nun aus einem Werdegang ergibt, dass eines jener Kriterien dort besonders auffällig bzw. prägend verankert ist, dann gilt zusätzlich: Versuchen Sie, dieses Element zu erhalten, konzentrieren Sie sich beim Wechsel möglichst auf eines von den anderen. Oder (im Extremfall): Wenn Sie schon jenes prägende Element verändern müssen, dann versuchen Sie wenigstens, nicht noch ein zweites oder gar ein drittes völlig neu zu gestalten.
Für Ihren Fall heißt das: Ich würde Ihre vom Studium bis heute prägende Fachrichtung möglichst beibehalten, Sie würden zu viel aufgeben, wenn Sie ausgerechnet in dem Bereich den Wechsel versuchen. Vergessen Sie nicht: In der neuen Fachrichtung wären Sie Anfänger, als Bewerber entsprechend vorerfahrenen Mitbewerbern hoffnungslos unterlegen.

Karriereberater Heiko Mell.
So etwas geht noch bei einem Sachbearbeiter mit zwei Berufsjahren nach dem Studium. Der wäre im neuen Metier zwar wieder Einsteiger, hätte aber gegenüber den anderen sich bewerbenden Berufsneulingen immerhin eine „erste allgemeine Berufspraxis“ zu bieten. Aber dass man Ihnen in einer völlig neuen Fachrichtung in einem anderen Unternehmen einer völlig neuen Branche eine Projektleitungs-Verantwortung überträgt, halte ich für sehr wenig wahrscheinlich.
Zwei Wechseloptionen
Es bleiben zwei sich hier abzeichnende Varianten übrig:
Der Normalfall, der relativ problemlos zu realisieren sein sollte, ist der Wechsel wieder als Projektleiter in der Entwicklung hin zu einem anderen Unternehmen in Ihrer so „festgeschriebenen“ Branche. Nun sind wir an dem oben erwähnten kritischen Punkt. Ihre drei ins Auge fallenden Worte lauten: „In der Region“ gäbe es so etwas kaum. Ich weiß, was alles gegen eine Umzugsbereitschaft sprechen kann, aber wenn Sie Ihre Projektleiterlaufbahn solide und aussichtsreich fortführen wollen, dann dürfen Sie diese Variante (oder ein Wochenendpendeln) nicht ausschließen.
Die zweite Möglichkeit ist – ebenfalls unter Beibehaltung der Sie prägenden Grundausrichtung – der hausinterne Wechsel in ein anderes Tätigkeitsgebiet (Verlassen der vertrauten Entwicklung). Ich bin in Ihrem Interesse davon etwas weniger begeistert – man ist entweder Entwickler oder man widmet sich anderen Gebieten. Sollten Sie das ins Auge fassen, spielen Sie einmal durch, wie Sie daständen, wenn Sie in ca. zwei Jahren die ganze Firma wechseln wollten oder müssten: Aus der Entwicklung wären Sie dann raus, im neuen Gebiet wären Sie für Ihr Alter und Ihre gesamte Berufspraxis noch viel zu kurz drin, um uneingeschränkt wettbewerbsfähig auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Und ob ein in der Wolle gefärbter Entwickler in der doch völlig anders ausgerichteten Validierung letztlich glücklich wird, müssen Sie entscheiden.
Branchenwechsel, Gehalt & Risiken für Projektleiter
Sie haben mit der Festlegung Ihrer Spezialisierung im Studium eine Vorentscheidung getroffen: Unternehmen dieser Richtung sollten es für Sie in der Zukunft sein – und wenn es dort, wo Sie zufällig wohnen, nicht genügend davon gibt, dann müssen Sie eben dorthin ziehen, „wo die Mammuts sind“, wenn Sie eine Art Optimum aus Ihren Gegebenheiten herausholen wollen. „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ – das führt zu halbherzigen,. zweitklassigen Resultaten.
Zu Ihrer Frage b: Eine perfekte Lösung dafür gibt es nicht. Es kann aber hilfreich sein, die meist in Anzeigen stehende Kontaktadresse anzurufen und die Frage ganz offen anzusprechen. Der Partner am Telefon wird Ihnen nicht gern verraten, wie hoch sein Spielraum reicht, aber wenn Sie ihm Ihr Ist-Gehalt nenne, wird er – noch unverbindlich – eine Aussage dazu machen, ob Sie damit für ihn noch bezahlbar oder schon zu teuer sind.
Solange Sie ohne konkreten Druck aus völlig ungekündigter Position operieren, ist eine ganz solide Vorgehensweise etwa jene, bei der Sie schreiben (natürlich in ganzen Sätzen formuliert):
„Bin erfahrener Projektleiter der XY-Technik, mit entsprechender fachlicher Ausrichtung vom Studium an; suche wegen fehlender neuer Projekte in meinem Fachgebiet eine neue Herausforderung als Projektleiter; mein Einkommen beträgt ca. XX.000 EUR, für mich entscheidend sind jedoch Aufgabenstellung und betriebliches Umfeld.“
Wer Sie daraufhin zur Vorstellung einlädt, hat die Gehaltsgrößenordnung (meist + einer angemessenen Steigerung von 10 – 15%) akzeptiert. Wenn Sie daraufhin unangenehm oft nicht eingeladen werden, kann es am Gehalt liegen. Sie rechnen dann Ihr Ist noch einmal nach – geben 5-10.000 EUR weniger an und warten auf die Reaktion neuer Empfänger.
Bedenken Sie: Auf Nr. 1 Ihrer Prioritätenliste sollte stehen: eine neue Projektleiterstelle in der Entwicklung meiner Branche. Alles andere sind dann fast schon „Nebenkriegsschauplätze“ auf den nachgeordneten Rangstufen.
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