Dresden wird zum Hotspot für Frauen in Technik
Im Interview spricht Burghilde Wieneke-Toutaoui über den Frauenkongress am 26. und 27. September 2025 in Dresden, den deutsch-japanischen Austausch sowie über Strategien zur Förderung von Frauen in MINT-Berufen.
Netzwerken, Vorbilder, Sichtbarkeit – Dresden wird Hotspot für Ingenieurinnen.
Foto: panthermedia.net / pressmaster
Burghilde Wieneke-Toutaoui ist pensionierte Professorin für Industrial Engineering, Maschinenbauingenieurin und Ehrenmitglied des VDI. Als Co-Vorsitzende des Netzwerks „Frauen im Ingenieurberuf“ vertritt sie fast 11.000 Ingenieurinnen im VDI und setzt sich seit Jahrzehnten für Sichtbarkeit, Vernetzung und Chancengleichheit in Technikberufen ein.
Frau Prof. Wieneke-Toutaoui, was erwartet die Teilnehmenden beim Frauenkongress am 26. und 27. September 2025 in Dresden?
Burghilde Wieneke-Toutaoui: Das Thema unseres Kongresses lautet „Ingenieurin für eine nachhaltige Welt“. Jedes Mal wählen wir ein spezielles Motto, mit dem sich viele Kolleginnen identifizieren können.
Das Programm ist eine gelungene Mischung aus Empowerment-Seminaren, Fachvorträgen zu technischen Themen und Soft-Skill-Workshops, sodass jede Teilnehmerin etwas für sich mitnehmen kann.
Wir legen großen Wert darauf, dass sowohl die fachlichen als auch die Soft-Skill-Angebote von Frauen gestaltet werden – also von Kolleginnen, die als Vorbilder agieren und eine Bühne bekommen. Glücklicherweise sind die Anmeldungen sehr zahlreich, der Kongress wird sicher ausgebucht sein.
Außerdem verleihen wir den Dr.-Wilhelmy-VDI-Preis für herausragende Promotionen von Frauen in den Ingenieurwissenschaften. Dieses Jahr feiern wir zudem das 60-jährige Bestehen des Netzwerks „Frauen im Ingenieurberuf“ – dazu werde ich bei der Wilhelmy-Preis-Verleihung sprechen.
Zudem sind die deutsch-japanischen Studentinnen sowie zahlreiche Mentees und Mentorinnen aus dem VDI-WoMentorING-Programm mit dabei. Kurz gesagt: Wir werden Dresden ordentlich „unsicher“ machen!
Deutsch-japanisches Treffen vor dem Kongress in Dresden
Genau, ich habe gehört, dass vor dem Kongress in Dresden eine Gruppe aus Japan zu Besuch kommt. Was ist dort geplant?
Wir haben eine Gruppe von zwölf japanischen Studentinnen und eine Gruppe von zehn Studentinnen von deutschen Hochschulen organisiert. Diese treffen sich am Sonntag vor dem Kongress in Bielefeld und nehmen bis Donnerstag an einem Programm bei Firmen und Hochschulen teil. Am Donnerstagabend fahren wir gemeinsam nach Dresden zum Kongress „Frauen im Ingenieurberuf“, um viele weitere engagierte Frauen zu treffen.
Die japanischen Studentinnen sind im vierten und damit letzten Jahr ihres Ingenieurstudiums. Die deutschen Teilnehmerinnen kommen von verschiedenen Hochschulen und aus unterschiedlichen Studiengängen und sind sehr motiviert, voneinander und miteinander zu lernen. Das wird ein großes, spannendes Treffen, das von einem interkulturellen Workshop begleitet wird.
Wir werden dabei sehr gut unterstützt – von DMG Mori und verschiedenen japanischen Firmen sowie in Deutschland vom VDI und Nikon SLM Solutions.
Die Unterrepräsentanz von Frauen in Ingenieurwissenschaften
Warum sind Frauen im Ingenieurberuf nach wie vor unterrepräsentiert, und wie sehen Sie die Gründe dafür?
Zunächst einmal ist es nicht weltweit so, dass Frauen im Ingenieurberuf so stark unterrepräsentiert sind wie in den DACH-Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz). In einigen Mittelmeerländern haben Frauen in den MINT-Fächern – also auch in den Ingenieurwissenschaften – bereits fast oder sogar völlige Parität mit Männern erreicht. Das ist bemerkenswert und zeigt: Gleichstellung ist möglich.
Im Gegensatz dazu tragen Deutschland und die anderen deutschsprachigen Länder in Europa die „rote Laterne“ – hier sind die Frauenanteile in den Ingenieurwissenschaften traditionell besonders niedrig. Die Gründe dafür wurden vielfach untersucht, und es gibt eine ganze Reihe möglicher Erklärungen.
Unser Ziel muss sein, diese Situation zu verbessern. Ein entscheidender Ansatz ist, die Einstellung der Peergroups zu verändern – also wie Jugendliche und ihr Umfeld zu Frauen in technischen Berufen stehen. Es muss als selbstverständlich gelten, dass junge Frauen sich für Ingenieurwissenschaften interessieren und diese Fächer studieren.
Das gilt nicht nur für Studiengänge, sondern auch für technische Ausbildungsberufe, in denen der Frauenanteil oft noch geringer ist. Dabei brauchen wir dringend mehr Nachwuchskräfte in technischen Berufen – ob im Handwerk oder in der Industrie. Das Defizit an Frauen ist in den DACH-Ländern überall spürbar.
Ein möglicher Grund für diese Situation ist, dass der Ingenieurberuf hierzulande ein besonders hohes gesellschaftliches Ansehen genießt – was paradoxerweise dazu führen kann, dass die Branche konservativer bleibt und bestehende Strukturen bewahren möchte.
Hinzu kommt, dass Mädchen in der Schule häufig früh das Interesse an Mathematik und Physik verlieren. Mehr weibliche Mathematik- und Physiklehrerinnen könnten als Vorbilder wirken und zeigen, dass technische und naturwissenschaftliche Berufe für Frauen genauso möglich sind. Interessanterweise liegt der Frauenanteil in der Mathematik bereits deutlich höher als in den Ingenieurwissenschaften – ein Umstand, der viele Ingenieure überrascht.
Schließlich haftet dem Ingenieurberuf noch immer ein „Nerd“-Image an – das Bild von Menschen, die im Keller Modelleisenbahnen bauen oder stundenlang an technischen Details tüfteln. Dieses Klischee schreckt viele Frauen ab und sollte dringend aufgebrochen werden.
Typische Vorurteile im Ingenieurberuf
Welche Vorurteile spielen dabei eine Rolle, und gibt es bestimmte, die besonders häufig vorkommen?
Ja, genau. Das typische Vorurteil, dass Ingenieure vor allem Leute sind, die stundenlang an Autos schrauben und schlecht kommunizieren können, hält sich hartnäckig. Solche Klischees existieren tatsächlich – und sie wirken oft abschreckend.
Viele junge Frauen möchten vor allem sehen, wie der Beruf einen konkreten Bezug zu ihrer Lebenswelt hat. Leider wird dieser Zusammenhang häufig nicht deutlich genug vermittelt.
Interessanterweise wählen Frauen eher die sogenannten „Bindestrich“-Ingenieur- und Naturwissenschaften, also Studiengänge wie Wirtschaftsingenieurwesen oder Energie- und Umwelttechnik. Diese Bereiche haben einen deutlich höheren Frauenanteil als klassische Fächer wie Maschinenbau oder Elektrotechnik.
Branchen mit besonders niedrigen Frauenanteilen
Welche Branchen und Industriezweige sind besonders davon betroffen, dass dort weniger Frauen vertreten sind?
Besonders niedrige Frauenanteile gibt es in den Branchen Maschinenbau und Elektrotechnik – diese Bereiche zählen zu den am wenigsten weiblich besetzten Studien- und Arbeitsfeldern.
Beim Maschinenbau denken viele sofort an dreckige, ölverschmierte Maschinen – vielleicht wirkt dieses Bild abschreckend. Ich selbst habe Maschinenbau studiert und kenne diese Vorurteile aus eigener Erfahrung.
Anders sieht es beim Wirtschaftsingenieurwesen aus, wo der Frauenanteil deutlich höher ist. Auch Studiengänge mit Informationstechnik ziehen mehr Frauen an, sind aber noch nicht optimal besetzt.
Generell scheinen Studiengänge, die einen direkten Bezug zur Umwelt und zum Alltag herstellen, mehr Frauen zu begeistern.
Was hat Sie persönlich dazu bewegt, Maschinenbau zu studieren? Hatten Sie Vorbilder oder gab es andere entscheidende Gründe?
Für mich war entscheidend, dass ich einen Beruf gesucht habe, von dem ich annahm, dass ich gute Berufsaussichten habe, international tätig sein kann und im Team arbeiten werde. Damals hatte ich nur sehr wenige Informationen, wusste also nicht, dass das ein sehr männerdominiertes Umfeld sein wird.
Ich dachte auch, dass ich in Mathe und Naturwissenschaften nicht schlecht bin. Mein Abitur war neusprachlich, sodass ich wenig Gelegenheit hatte, meine Fähigkeiten in Mathe auszuprobieren. Trotzdem dachte ich: Das schaffst du – und es hat ja auch funktioniert.
Praktische Erfahrung hatte ich auch: Ich habe mehrfach in einer Landmaschinen-Reparaturwerkstatt ausgeholfen und fand es spannend, wie Motoren funktionieren.
Vorbilder hatte ich keine. Von meinem Abiturjahrgang mit 120 Absolventen und Absolventinnen haben nur drei Personen Technik-Fächer studiert – einer Informatik, einer Elektrotechnik und ich eben Maschinenbau.

Setzt sich seit Jahrzehnten für Ingenieurinnen ein: Prof. Burghilde Wieneke-Toutaoui.
Foto: Anna Müller
Frauen fördern – Programme und Initiativen für den Ingenieurberuf
Welche Initiativen oder Programme fördern gezielt Frauen in Ingenieurberufen? Sie sind ja selbst sehr engagiert und viel unterwegs – könnten Sie dazu aus Ihrer Erfahrung berichten?
Ja, wir haben selbst ein sehr erfolgreiches VDI-WoMentorING-Programm, und deutschlandweit gibt es viele Angebote an Hochschulen. Ich habe inzwischen viele junge Frauen kennengelernt, die solche Mentoring-Programme als große Unterstützung und Bereicherung erleben.
Wichtig ist zu sagen, dass jungen Frauen heute oft noch erzählt wird, sie seien Pionierinnen – obwohl es Ingenieurinnen in Deutschland bereits seit 1913 gibt. In unserem Netzwerk sind rund 11.000 Ingenieurinnen organisiert. Die Vorstellung, Pionierin zu sein, setzt die Studentinnen oft unter unnötigen Erwartungsdruck.
Gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass viele Ingenieurinnen überwiegend mit männlichen Kollegen arbeiten. Deshalb sind unsere Netzwerkaktivitäten im VDI sehr sinnvoll, um Frauen im Ingenieurberuf den Austausch über ihre spezifische Situation zu ermöglichen. Es geht dabei nicht darum, eine Sonderrolle einzufordern, aber als Minderheit zu arbeiten, ist immer herausfordernd – daher ist der Austausch umso wichtiger.
Außerdem haben wir das Programm „Ingenieurin der Woche“ , in dem wir jede Woche eine Ingenieurin vorstellen – das ist auch auf unserer Webseite zu finden. Die Frauen, die daran teilgenommen haben, berichten von sehr positivem Feedback in ihren Firmen. Unser Ziel ist es, die Sichtbarkeit von Ingenieurinnen zu erhöhen.
Durch das VDI-WoMentorING sind viele Frauen im VDI aktiver geworden, was hoffentlich dazu führen wird, dass der VDI keine männliche Domäne mehr ist, sondern auch Ingenieurinnen mitgestalten können.
Zudem kommen immer mehr Ingenieurinnen nach Deutschland, und wir arbeiten daran, sie noch besser in unser Netzwerk zu integrieren.
Generell haben wir lange daran gearbeitet, Frauen auf die Bedingungen im Ingenieurberuf aufmerksam zu machen und sie darauf vorzubereiten. Nun wird es Zeit, diese Bedingungen so zu verändern, dass Frauen und Männer gleichermaßen gut zurechtkommen.
Dabei liegt die Verantwortung nicht allein bei den Frauen, sondern bei den Männern, der Gesellschaft und den Unternehmen.
Darüber hinaus sollten mehr Summercamps für technische Themen speziell für Mädchen angeboten werden, in denen sie in entspannter Atmosphäre Technik ausprobieren können. Solche Angebote sind in Deutschland bislang noch zu selten. Aus Japan weiß ich, dass Unternehmen solche Camps dort durchaus regelmäßig anbieten.
Wie Firmen und Hochschulen junge Frauen für Ingenieurberufe gewinnen
Bieten Firmen solche Programme selbst an, ähnlich wie hierzulande der Girls’ Day, der ja meist im Mai stattfindet?
Gut, ja, solche Programme werden auch von der Regierung unterstützt. Der Girls’ Day allein reicht nicht aus – das ist schließlich nur ein einzelner Tag. Viel wirkungsvoller wären Summercamps, in denen junge Frauen unter Anleitung von Studentinnen, die als Vorbilder fungieren, technische oder naturwissenschaftliche Fragestellungen bearbeiten können. Solche Angebote, speziell für Mädchen, kämen sicher gut an.
Generell glaube ich, dass wir lange genug versucht haben, nur Mädchen zu motivieren. Jetzt sollten wir auch die Jungen mitnehmen und ihre Sichtweise verändern, damit der Ingenieurberuf in den Peergroups insgesamt attraktiver wird. Denn wir haben ja auch rückläufige Einschreibezahlen bei männlichen Studierenden in den Ingenieurstudiengängen in Deutschland.
Die Zahl der Studierenden sinkt insgesamt, und daran müssen wir unbedingt arbeiten. Meiner Ansicht nach sollten die Studiengänge attraktiver gestaltet werden. Zwar gibt es erste Ansätze, aber sie reichen noch nicht aus. Beispielsweise fände ich es gut, wenn es zu Beginn des Studiums eine praktische Einführung in verschiedene Ingenieurberufe gäbe – bevor man sich festlegt, was man genau studieren möchte. So hätten die Studierenden ausreichend Informationen und die Möglichkeit, sich selbst auszuprobieren, bevor sie eine Entscheidung treffen.
Wie lange sollte diese Phase idealerweise dauern, in der man sich im Studium ausprobieren und orientieren kann?
Eine solche Orientierungsphase ist auf jeden Fall sinnvoll und bedeutet keinesfalls Zeitverlust. Viele Studiengänge haben gemeinsame Grundlagenfächer wie Mathematik oder Informatik, die alle Studierenden absolvieren. Zusätzlich kann man sie in dieser Phase an verschiedene Ingenieurdisziplinen heranführen
Es schadet auch nicht, wenn zum Beispiel Maschinenbau-Studierende wissen, was Bauingenieure tun und wie sich Hochbau und Tiefbau unterscheiden. So werden die Berufsbilder realistischer; die Studierenden können in dieser Phase bereits Credits sammeln.
Besonders gut sind kleine Projekte, die früh im Studium durchgeführt werden. An der Hochschule in Japan, mit der ich zusammenarbeite, setzt man von Anfang an stark auf projektbasiertes Lernen: Studentinnen bekommen Aufgaben, arbeiten im Team daran und lösen sie mit Unterstützung. Das fördert Verständnis und Praxisorientierung enorm.
Hilfreich wäre es zudem, wenn die Studierenden mehr Informationen hätten und die Möglichkeit, auszuprobieren, ob das Studium wirklich zu ihnen passt. Der Ingenieurstudiengang, den ich aus Japan kenne – ein reiner Frauenstudiengang – hat zum Beispiel eine sehr geringe Abbrecherquote. Dort werden die Studierenden besonders gut betreut, was wahrscheinlich einen großen Unterschied macht.
Auf dem Weg zu mehr Diversität und fairen Arbeitsbedingungen
Was möchten Sie mit dieser Initiative erreichen?
Ein wichtiger Appell richtet sich an die „männlichen Verbündeten“ – also die Männer, die aktiv mitgestalten. Es gibt inspirierende Beispiele von Männergruppen, die sich weigern, auf Podien aufzutreten, wenn dort keine Frau vertreten ist. So sorgen sie dafür, dass Frauen sichtbarer werden.
Wir müssen die Arbeitszufriedenheit in den Ingenieurberufen steigern – das kommt sowohl Männern als auch Frauen zugute. Dadurch gewinnen wir auch wieder mehr männliche Studierende.
Denn leider bestehen Vorurteile gegen Kolleginnen nach wie vor, und viele Ingenieurinnen steigen nach 15 bis 20 Jahren Berufserfahrung aus dem Beruf aus und wechseln die Branche – was keinesfalls unser Ziel sein kann.
Die Arbeitsbedingungen sollten so gestaltet sein, dass man interessante Herausforderungen findet – aber nicht ständig angezweifelt wird, ob man denn den Anforderungen gewachsen ist.
Es ist wichtig, dass wir anerkennen, dass strukturelle Hindernisse existieren, die Frauen davon abhalten, Ingenieurwissenschaften zu studieren und langfristig im Beruf zu bleiben.
Darüber müssen wir nicht mehr nur reden – diese Barrieren sind real, und wir müssen sie aktiv angehen!
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