Arzneimittel 12.03.1999, 17:20 Uhr

Zweite Karriere der Acetylsalicylsäure

Aspirin, eines der erfolgreichsten Medikamente der Welt, sorgt erneut für Überraschungen. Als Schmerzmittel und Entzündungshemmer lange erprobt, wirkt es vorbeugend gegen Herzinfarkt und Schlaganfall und wird selbst zum Hoffnungsträger gegen Krebs.

Ein Pharmaklassiker mit überraschender Zukunft – so präsentiert sich heute „Aspirin“, dessen Markennamen vor genau 100 Jahren, am 6. März 1899, in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamtes in Berlin eingetragen wurde. Das war der Beginn einer Erfolgsstory, deren Ende offenbar noch nicht abzusehen ist. Jährlich erscheinen etwa 3500 Publikationen, die sich mit dem Wirkstoff von Aspirin, der Acetylsalicylsäure (ASS), befassen, „und die Liste der möglichen Anwendungen wächst weiter“, so Bayer-Chef Dr. Manfred Schneider vergangene Woche in Leverkusen. Kein anderer therapeutisch eingesetzter Wirkstoff wird weltweit in so großen Mengen hergestellt: Rund 50 000 t sind es derzeit pro Jahr. Mehr als 200 Unternehmen produzieren heute ASS-haltige Medikamente. Allein aus der Bayer-Produktion kamen im vergangenen Jahr 12,7 Mrd. Aspirin-Tabletten. Damit ist ASS auch 100 Jahre nach seiner Einführung noch immer der erfolgreichste Arzneistoff des Konzerns. 1998 machte Bayer mit Aspirin einen Umsatz von über 1 Mrd. DM.
Die Wurzeln von Aspirin reichen bis zu den Anfängen der Heilkunst zurück. Im 5. Jahrhundert v. Chr. entdeckte Hippokrates, daß ein Extrakt aus der Rinde der Silberweide schmerzstillende Wirkung besitzt, und auch in der chinesischen Medizin hatte die Weidenrinde lange vor Christus ihren festen Platz. Erst im 19. Jahrhundert wurde in der Salicylsäure das wirksame Prinzip des Heilmittels erkannt, das über mehr als 2 000 Jahre hinweg wesentlicher Bestandteil des damaligen Arznei-Arsenals war.
Doch der Naturstoff war stark schleimhautreizend, rief Übelkeit und Brechreiz hervor und hatte einen widerlichen Geschmack. Auf der Suche nach einer verträglicheren Form dieser Medizin gelang dem Bayer-Chemiker Felix Hoffmann der entscheidende Durchbruch. Er veredelte erstmals 1987 die Substanz durch Verbindung mit Essigsäure (siehe auch VDI nachrichten 32/97) zur Acetylsalicylsäure. Als Mittel gegen Schmerzen, Fieber und Entzündungen wurde Aspirin – zumal es eine äußerst preiswerte Substanz ist – schnell zu einem populären Medikament, das sich in wenigen Jahren die internationalen Märkte eroberte.
Wie aber die Wirkung der Substanz im Organismus zustande kommt, diese Frage blieb über Jahrzehnte hinweg unbeantwortet. Erst 1971 konnte der britische Pharmakologe Sir John Vane dieses Geheimnis lüften, wofür er 1982 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde. ASS hemmt die Produktion von Prostaglandinen, also hormonähnlichen Substanzen, die im Organismus als Schmerzverstärker wirken. Nahezu zeitgleich konnten amerikanische Forscher zeigen, daß ASS das Zusammenklumpen der im Blutplasma schwimmenden Blutplättchen, der Thrombozyten, erschwert. Dieses Zusammenklumpen kann gefährlich werden, wenn es zu einem Thrombus führt, der die Gefahr eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls birgt.
Mit diesen Erkenntnissen begann eine neue Ära für den Wirkstoff ASS. Millionen von Menschen, die an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung leiden oder bereits einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten, nehmen inzwischen routinemäßig ASS ein. Breit angelegte Studien haben bestätigt, daß der Wirkstoff tatsächlich Gefäßverstopfungen hemmen und damit eine schützende Wirkung entfalten kann, die das Risiko, einen zweiten Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, erheblich verringert.
Doch nach neuen Untersuchungen ist das Anwendungsspektrum von ASS noch nicht ausgeschöpft. Wie Dr. Frank Morich, Leiter des Geschäftsbereiches Consumer Care von Bayer, mitteilte, häufen sich die Hinweise, daß ASS eine der gefürchteten Spätschäden der Zuckerkrankheit verhindern kann, bei der sich die winzigen Äderchen der Netzhaut des Auges und in den Nieren verschließen. Erste Studien weisen darauf hin, daß ASS auch den Beginn der Alzheimer-Krankheit und bei frühzeitiger Diagnose den Fortschritt verzögern kann. Selbst Vielfliegern, die an Durchblutungsstörungen leiden, kann ASS empfohlen werden, so Morich. Denn es verringere das Risiko, während des langen regungslosen Sitzens eine Thrombose zu erleiden.
Eine überraschende Nachricht kam 1988 aus Australien. Dort war dem Melbourner Epidemologen Prof. Gabriel A. Kune bei der Auswertung einer Studie zufällig aufgefallen,daß Menschen, die ASS regelmäßig einnahmen, ein um 40 % geringeres Risiko zeigten, an Dickdarmkrebs zu erkranken. Seitdem haben mehrere Studien diese Zufallsentdeckung bestätigt. Prof. Friedrich Marks vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg: „Inzwischen gibt es etwa ein Dutzend Studien, die klar gezeigt haben, daß sich bei regelmäßigem Verbrauch von ASS über Jahre hinweg das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, um etwa 50 % verringert.“ Und er sieht erste Hinweise, daß auch andere Krebsarten wie Magen- oder Speiseröhrenkrebs – vielleicht sogar Brustkrebs – durch regelmäßige Einnahme von ASS eingeschränkt werden könnten.
URSULA SCHIELE-TRAUTH
Auch die Sprinterin Anke Feller stellte ihren Namen – zumindest für kurze Zeit – in den Dienst von Aspirin. Bei der Feier zum 100jährigen Jubiläum der Arznei am 5. März seilte sie sich vom verhüllten Bayer-Hochhaus ab.

 

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