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Ökologische Automobilteile 14.03.2023, 11:50 Uhr

Im Trend: Karosserie-Bauteile aus Naturfaser-Verbundmaterialien

Vor allem der Automobilindustrie und dem Motorsport verdankt ein Unternehmen aus Pulheim den Aufstieg zum mittelständischen Composite-Spezialisten. Bei der Herstellung der Karosserieteile kommt es auf besonderes Werkstoff-Know-how, aber auch auf innovative Fertigungstechnik an.

Germa Composite stellt aus Naturfasern vor allem Karosseriebauteile her. Im Bild ist eine Innenverstärkungsschale für eine Fahrzeug-Fronthaube zu sehen. Foto: HG Grimme SysTech/Kai Rüsberg

Germa Composite stellt aus Naturfasern vor allem Karosseriebauteile her. Im Bild ist eine Innenverstärkungsschale für eine Fahrzeug-Fronthaube zu sehen.

Foto: HG Grimme SysTech/Kai Rüsberg

Die Kernkompetenz des nahe Köln ansässigen Betriebs liegt in der Herstellung von High-Performance-Bauteilen. Sie entstehen aus mit Harz getränkten Fasermatten, die im beheizbaren Druckbehälter (Prepreg-Autoklaven) unter Vakuum, Überdruck und Wärme gehärtet werden. Germa Composite gelang es nun – in einer Kooperation mit einem bayrischen Maschinenhersteller – das Besäumen von Karosserie-Bauteilen aus Naturfaser-Verbundmaterialien zu beschleunigen und zu automatisieren.

Teamwork in Sachen Naturfaser macht vieles möglich

Das eine Unternehmen baut Maschinen in den Allgäuer Bergen, das andere entwickelt und fertigt unweit vom Kölner Dom anspruchsvolle Fahrzeugkomponenten. Beide Betriebe vereint eine „Leidenschaft“: Das komplexe Thema „Faserverbundwerkstoffe“ mit allen zur Herstellung sowie Fertigbearbeitung notwendigen Technologien. Ein wichtiger Schritt ist dabei die Nachbearbeitung der ausgehärteten Composite-Teile in möglichst kurzer Zeit, ohne das Material zu schädigen, sowie mit bestmöglichen Oberflächenqualitäten. Der Firma Germa Composite gelang dabei Kürzlich ein Durchbruch: Im „Teamwork“ mit der bayrischen HG Grimme SysTech wurde das Besäumen von Karosserie-Bauteilen aus Naturfaser-Verbundmaterialien erheblich beschleunigt und zudem automatisiert.

„Mit seinen spezifischen Eigenschaften eignen sich Naturfasern für viele Anwendungen – nicht nur im Motorsport oder im Serienfahrzeug“, sagt Jörg Gehrmann, Geschäftsführer Germa Composite GmbH aus Pulheim.

Foto: HG Grimme SysTech/Kai Rüsberg

Dies ist ein weiterer von vielen „Meilensteinen“ in der Firmenentwicklung. Dabei klingt die Historie von Germa wie eine der typischen Erfolgsstorys, die man gerne in der Zeitung liest: 2010 in einer Garage gegründet, entstand daraus bis heute ein mittelständisches Familienunternehmen mit guter Auftragslage. Dies ist vor allem auf die Nachfrage aus der Automobilindustrie und dem Motorsport zu verdanken, die rasch auf die Kompetenzen aufmerksam wurden.

Im Profil: Der Werkstoffspezialist

Ein Blick auf die Firmenhistorie beweist: Das Konzept der Firma mit aktuell 54 Mitarbeitenden „kommt an“. 2010 wird die Germa Composite GmbH in Bergheim in einer Garage gegründet mit dem Ziel, Composite-Bauteile auf höchstem Niveau zu entwickeln und zu produzieren. Es folgten kurz darauf erste Prototypen für die Auto-Industrie und sogar Großaufträge für Formel 1-, Le Mans- und DTM-Fahrzeuge. Bereits 2013 folgte der Umzug in eine eigene Fabrik in Pulheim, die sich durch hohe Fertigungs- und Entwicklungstiefe auszeichnet: Das Unternehmen beherrscht den gesamten Prozess – von der Planung, zertifizierten Entwicklung über Konstruktion, Modell- und Werkzeugbau, Prototypenbau bis hin zur Vor- oder Kleinserienproduktion. Aktuell entstehen in Pulheim vor allem Karosseriebauteile für viele namhafte deutsche Automobilhersteller und Zulieferer. Seit der Gründung arbeiten die Composite-Experten aber auch für Branchen aller Art – vom Schiff-, Maschinen- und Anlagenbau, Windenergie, Medizintechnik bis hin zur Luft- und Raumfahrt.

Naturfaser-Boom erfordert Prozessbeschleunigung

Zwei Autoklaven stehen in der Produktionshalle, an denen Geschäftsführer Jörg Gehrmann den jüngsten Trend erklärt: „Neuerdings härten wir hier drin immer öfter Composites mit Naturflachfasern aus, auf die wir uns vor rund zwei Jahren – neben diversen anderen Fasertypen – zusätzlich spezialisiert haben. Wegen des Booms geht der Trend aktuell hin zu immer größeren Serien bis zur Losgröße 1000, wegen denen wir den Prozess nun weiter automatisieren.“

Das betrifft auch die Nachbearbeitung der in den Autoklaven gehärteten Fasermaterialien, die bisher entweder manuell oder auf einer großen CNC-Fräsmaschine ablief. „Unsere große, schwer gängige Portalfräsmaschine eignet sich mit ihrem sehr großen Bearbeitungskopf eigentlich nur für einfache XXL-Bauteile“, erklärt Jörg Gehrmann. „Wir fertigen jedoch immer mehr Bauteile mit sehr komplexen Geometrien. Dafür brauchen wir eine Maschine mit kleinem, wendigen Bearbeitungskopf und sehr schnellem Vorschub.“

Der selbst entwickelte Bearbeitungskopf lässt sich um 550 Grad drehen, sodass sich damit vieles in einer „Durchfahrt bearbeiten lässt“.

Foto: HG Grimme SysTech/Kai Rüsberg

Empfehlung aus Süddeutschland brachte den Durchbruch

Über eine Empfehlung aus der süddeutschen Automobilindustrie lernt Jörg Gehrmann die Firma HG Grimme SysTech GmbH aus Wiedergeltingen (Unterallgäu) kennen, die seit rund 35 Jahren CNC-Maschinen unter anderem zum Fräsen von Kunststoffen und Verbundwerkstoffen herstellt. So fräst ein bekannter Fahrzeughersteller mit mehreren Anlagen aus Wiedergeltingen bereits serienmäßig Rahmenteile aus CFK (kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff). Nach einem Benchmark mit Wettbewerbsprodukten entscheidet sich das Pulheimer CNC-Team schließlich für ein 5-Achsen-CNC-Gantry-Fräsanlage aus dem Allgäu mit einem in zwei Arbeitsbereiche teilbaren Tisch. Ein großer Vorteil des Konzepts: Es ist eine frei stehende Maschine, die sich ohne Bodenvorarbeiten installieren ließ.

Zum Einsatz kommt eine Eigenentwicklung des Werkzeugmaschinenbauers: ein einseitig gelagerter Fräskopf mit hochdynamischen Drehachs-Getriebe. Beim Blick in den Maschinenraum fällt auf: Im Gegensatz zu anderen Maschinen bewegt sich der Balken mit dem Fräskopf nicht von vorne nach hinten und retour, sondern von links nach rechts. Für die Maschine sprach laut Jörg Gehrmann der kleine, flexible Fräskopf, der im Pendelbetrieb die Nachbearbeitung von zwei nebeneinander im Arbeitsraum auf zwei Vakuumspanntischen aufgespannten Werkstücken erlaubt. Als positiv bezeichnet er außerdem, dass sich der Bearbeitungskopf um 550 Grad drehen lässt, so dass sich damit eigentlich fast alles in einer „Durchfahrt bearbeiten lässt“.

Die Forderung: saubere Schnittkanten und hochwertige Oberflächen

Germa stellt aus Naturfasern vor allem Karosseriebauteile her. Bei diesen Außenhaut (Exterieur)-Komponenten ist außer der präzisen Bearbeitung vor allem das Aussehen gefragt. „Wichtig sind für uns saubere Schnittkanten und qualitativ hochwertige Oberflächen“, erläutert der Geschäftsführer. „Wir setzen dazu Spezialfräswerkzeuge ein, die aber nur mit hohen Drehzahlen optimale Ergebnisse liefern. Die Technik erfüllt die Anforderungen: Aktuell erzielen wir auf der neu installierten Maschine bei Drehzahlen von 15.000 bis 25.000 Umdrehungen pro Minute beste Schnittkanten und Oberflächen.“ Die Gantry-Maschine bietet bei einer Maximalspindeldrehzahl von 40.000 Umdrehungen in der Minute und einem Vorschubtempo von 80 Metern pro Minute genügend dynamische Reserven.

Dominik Münch, Teamleiter Assembly (li.), und Markus Schmaling, Abteilungsleiter CNC, legen eine große Innenverstärkungsschale für eine Fahrzeug-Fronthaube auf die Vorrichtung, die bereits in der Gantry-Anlage auf dem Vakuumspanntisch liegt.

Foto: HG Grimme SysTech/Kai Rüsberg

Wie produktiv und ergonomisch die neue Investition arbeitet, zeigt sich bei einem Besuch in Pulheim: Ein Bediener legt zur Nachbearbeitung eine große Innenverstärkungsschale für eine Fahrzeug-Fronthaube auf eine Vorrichtung, die bereits in der Gantry-Anlage auf dem Vakuumspanntisch liegt. Während der Facharbeiter die Schale mit beiden Händen im Werkzeug positioniert, startet er die Vakuumpumpen mit einem Knieschalter: Der Spanntisch hält nun das Werkzeug mit der Schale vibrationsfrei fest, die Germa Composite in Losgröße 500 bis maximal 1000 herstellt.

Überzeugendes Ergebnis: nur noch sechs Minuten Nachbearbeitungszeit

„Das Nacharbeiten dauerte früher eineinhalb bis zwei Stunden“, berichtet Gehrmann. „Nach einer Optimierung des CNC-Programms liegen wir aktuell bei unter sechs Minuten. Das sind eindeutige Vorteile bei der Geschwindigkeit und auch bei der Qualität.“ In dieser knappen Zeit steht die Aufgabe an, eine komplexe Form mit einer rund sieben Meter langen Kontur zu besäumen, Löcher auszuschneiden und Bohrungen zum Anbringen von Bauteilen zu fräsen.

Eine Lösung mit Robotern nahmen die Pulheimer vorher ebenfalls unter die Lupe, entschieden sich aber aus Kosten- und Qualitätsgründen schließlich für eine klassische Werkzeugmaschine. „Wir kamen mit dem Roboter nicht auf die Toleranzen und Wiederholgenauigkeit, die uns eine Gantry-Maschine bietet“, sagt der Geschäftsführer. „Außerdem ist dieser Maschinentyp flexibler einsetzbar. So können wir auf ihr auch unsere Werkzeuge- und Vorrichtungen bearbeiten.“

Neue Gantry-Anlage nach nur einem Tag beherrschbar

Weitere Vorteile waren: Auch die Mehrkosten für Gantry-Anlage, das Programmiersystem sowie der anstehende Schulungs- und Ausbildungsaufwand stellten keine Hürden dar. So ist die neue Anlage mit demselben Programmiersystem wie die anderen Maschinen ausgestattet. Das Bedienungsteam in Pulheim konnte sie sofort nutzen. „Alles in allem fiel der Schulungsaufwand gering aus“, stellt der Germa-Chef zufrieden fest. „Der Maschinenbauer hat unser Team so effektiv geschult, dass es die Maschine bereits am nächsten Tag produktiv bedienen konnte.“

Die neue Anlage ist mit demselben Siemens-Programmiersystem wie die anderen Maschinen des Composite-Spezialisten ausgestattet, sodass das Bedienungsteam sie sofort nutzen konnte.

Foto: HG Grimme SysTech/Kai Rüsberg

Den Einsatz erleichtert ein unauffälliger gelber Kasten, der sich unten an der Anlage befindet: Es handelt sich um einen „PLS“-Laserscanner, der den Gefahrenbereich der Maschine überwacht. Dr.-Ing. Ingo Gehlhaar, Kundenbetreuer bei HG Grimme, erläutert: „Der optische Scanner stellt sicher, dass niemand im Arbeitsraum ist. Nach dem Einlegen des Teils drückt der Bediener „Zyklus Start“: Die Türen schließen sich und die Bearbeitung startet automatisch. Das spart viel Zeit.“ Außerdem lässt sich die Maschine so auch von ungeschultem Personal bedienen.

Eine besondere Herausforderung sind bei der Composite-Bearbeitung Späne und Stäube: Damit sie nicht die Antriebstechnik blockieren, sitzt diese in der Gantry-Maschine oben. Das Bedienpersonal wird durch eine besondere Einhausung vor gesundheitsschädlichen Stäuben geschützt. Zusätzlich wurde eine leistungsfähige, horizontale Absaugung installiert.

Prognose: Naturfaserwerkstoff ist für viele Anwendungen geeignet

Die Investition in die neue Fräsmaschine war für Germa Composite nur ein weiterer Schritt in eine nachhaltigere Zukunft. Gehrmann sagt dazu: „Wir brauchen jetzt auch biokompatible Harzstoffe, um damit ,echt‘ nachhaltige Bauteile herzustellen. Mit verbesserten Eigenschaften eignen sich dann Naturfasern für viele Anwendungen – nicht nur im Motorsport oder im Serienfahrzeug.“

Mehr über das Fräsen von dem im Beitrag beschriebenen sowie weiteren Verbundwerkstoffen erfahren Interessenten vom 25. bis zum 27. April 2023 in Paris auf der Messe „JEC World“ auf dem Stand von HG Grimme SysTech: Halle 6, G74.

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Von Nikolaus Fecht

Nikolaus Fecht ist freier Fachjournalist in Gelsenkirchen.