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Induzierte Seismizität 22.01.2024, 07:00 Uhr

Menschengemachte Erdbeben: Diese Faktoren beeinflussen ihre Entstehung

Menschliche Aktivitäten wie die Förderung von Bodenschätzen, das Speichern großer Wassermengen oder die Gewinnung geothermaler Energie können Erdbeben auslösen. Um potenzielle Gefahren zu minimieren, ist es wichtig, induzierte Seismizität besser zu verstehen. Forschende haben zwei Schlüsselfaktoren untersucht, die einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung menschengemachter Erdbeben nehmen.

Durch die Injektion oder Förderung von Flüssigkeiten, zum Beispiel von Erdöl, Erdgas oder Kohle, können induzierte Erdbeben auftreten. Foto: PantherMedia /Juan carlos Tardio

Durch die Injektion oder Förderung von Flüssigkeiten, zum Beispiel von Erdöl, Erdgas oder Kohle, können induzierte Erdbeben auftreten.

Foto: PantherMedia /Juan carlos Tardio

Erdbeben entstehen durch die Freisetzung von Energie. Die Erdoberfläche besteht aus mehreren Platten, die ständig in Bewegung sind, vergleichbar mit einer Eisfläche auf dem Meer. Treffen zwei oder mehrere Platten aufeinander und verhaken sich, baut sich Spannung auf, die sich – je nach Intensität – in einem Erdbeben entladen kann.

Doch nicht nur Erdbebenregionen sind anfällig für seismische Spannungen. Große Teile der Erdkruste stehen unter Spannung, selbst wenn dort keinerlei Erdbeben dokumentiert sind. Durch menschliche Aktivitäten, wie zum Beispiel die Förderung von Öl, kann sich diese Spannung verändern und schließlich Erdbeben auslösen. In diesem Fall spricht man von induzierter Seismizität. Wenn es dabei zu einer unkontrollierten Freisetzung von Energie in der Erdkruste kommt, ist die Rede von einem Runaway Event. Dieses hängt wiederum mit bestimmten geologischen Faktoren zusammen.

Um induzierte Erdbeben in Zukunft besser vermeiden zu können, ist das Verständnis der zugrundeliegenden physikalischen Prozesse entscheidend. Forschende des Deutschen Geo-Forschungs-Zentrums GFZ berichten in einer neuen Studie über zwei Schlüsselfaktoren, die bei der Entstehung menschgemachter Erdbeben, den Runaway Events, eine zentrale Rolle spielen: Die Rauigkeit bereits bestehender tektonischer Störungen und die damit verbundene Spannungsheterogenität in geologischen Reservoiren.

Zwei Schlüsselfaktoren bei induzierten Erdbeben

Der erste Schlüsselfaktor, der bei der Entstehung von Runaway Events beteiligt ist, ist die Rauigkeit bereits bestehender tektonischer Störungen. Diese bezieht sich auf die unebene Oberfläche von Verwerfungen oder Bruchzonen in der Erdkruste. Verwerfungen entstehen durch die Bewegung von Gesteinsblöcken entlang von Bruchlinien, die durch tektonische Kräfte verursacht werden. Diese können verschiedene Grade an Rauheit aufweisen. Das Verständnis der Rauigkeit ist wichtig, um das Verhalten von Verwerfungen und das Potenzial für seismische Aktivität besser zu verstehen.

Der zweite Schlüsselfaktor betrifft die Spannungsheterogenität in geologischen Reservoiren. Sie beschreibt die räumliche Variation der Spannungen innerhalb einer Gesteinsformation, die Öl, Gas oder Wasser enthält. Veränderungen in der Spannungsverteilung können Auswirkungen auf die Stabilität des Reservoirs haben, weshalb auch dieser Faktor von entscheidender Bedeutung für die Entstehung von menschengemachten Erdbeben ist.

Erdbebenprozesse im Labor nachstellen

Um herauszufinden, wie sich die beiden Faktoren im Detail verhalten, haben die Forschenden Gesteinsproben im Labor untersucht. Dabei haben sie selbst Verwerfungen mit definierter Oberflächenrauigkeit erzeugt und diese unterschiedlichen Spannungen ausgesetzt, um so möglichst natürliche Prozesse nachzustellen.

Zur Überwachung der Gesteinsaktivität waren die Gesteinsproben mit mehreren Sensoren ausgestattet. Mithilfe dieser konnten sogenannte akustische Emissionen aufgezeichnet werden. Dabei handelt es sich um Schallwellen oder akustische Signale, die während der Deformation entstehen, die einem Erdbeben vorausgehen. Danach wurde den Proben Wasser injiziert, was die hydraulische Stimulation von geologischen Reservoirs simuliert. So werden bei der Förderung von Öl oder Gas häufig Flüssigkeiten in Reservoirs injiziert, um den Druck zu erhöhen.

„Die Kontrolle der Randbedingungen, die Reproduzierbarkeit und der Einsatz eines dichten Überwachungsnetzes im Labor ermöglichten es uns, die Entwicklung induzierter Erdbeben sowie auch langsame aseismische, also bebenfreie Verformungen abzubilden. Wir konnten Schlüsselparameter wie Verwerfungsgleiten und Gleitrate messen“, sagt Georg Dresen, Professor in der GFZ-Sektion Geomechanik und wissenschaftliches Bohren.

Genauere Erdbeben-Vorhersagen treffen

Die Labortest der Gesteinsproben haben den Forschenden neue Informationen geliefert und gezeigt, welche Faktoren Runaway Events beeinflussen. „Wir haben festgestellt, dass sich raue und glatte Verwerfungen in den Gesteinen während unserer Laborexperimente völlig unterschiedlich verhalten. Besonders spannend an unseren Beobachtungen war, dass wir zusehen konnten, wo genau sich mikroseismische Aktivität abspielt. Demnach kommt es während der Flüssigkeitsinjektion zu einer Spannungsübertragung bereits vor großen induzierten Ereignissen – und das können wir messen“, sagt Lei Wang, der die Experimente und die Modellierung konzipiert und durchgeführt hat. Zusammengefasst haben die Untersuchungen ergeben, dass verschiedene Injektions- und Fördermaßnahmen die seismische Gefährdung durchaus beeinflussen können. Sie haben aber auch gezeigt, dass kontrollierte Messungen das induzierte seismische Risiko wirksam verringern können.

Die Studie des Deutschen Geo-Forschungs-Zentrums ist Bestandteil einer Forschungsinitiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Vorhersagbarkeit von induzierten Erdbeben in geologischen Reservoiren zu verbessern. Langfristig sollen die Ergebnisse dazu dienen, auch natürliche Erdbeben besser vorhersagen zu können.

„Studien wie die von Wang und seinen Co-Autoren machen Hoffnung und bergen das Potenzial, vom Menschen verursachte seismische Gefahren zu entschärfen. Dies ist letztlich eine Grundvoraussetzung für die Akzeptanz der Nutzung des geologischen Untergrunds im Kontext der Energiewende“, sagt Marco Bohnhof, Geophysiker und Leiter der GFZ-Sektion „Geomechanik und Wissenschaftliches Bohren“.

Von Ines Klawonn