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Seismische Aktivitäten messen 06.11.2023, 07:00 Uhr

Genauere Erdbebenprognosen mithilfe maschinellen Lernens

Erdbeben stellen eine erhebliche Naturgefahr dar. Die Vorhersage des Zeitpunkts, der Stärke und des Ortes von Erdbeben ist somit von entscheidender Bedeutung. Diese gestaltet sich jedoch bislang als schwierig. Nun sollen neue Techniken des maschinellen Lernens Erdbebenprognosen deutlich verbessern.

Der Erdmantel besteht aus mehreren Platten, die ständig in Bewegung sind und aufeinandertreffen können. Foto: PantherMedia /
vampy1

Der Erdmantel besteht aus mehreren Platten, die ständig in Bewegung sind und aufeinandertreffen können.

Foto: PantherMedia / vampy1

Erdbeben gehören zu den gewaltigsten Naturkatastrophen und sind die Folge von seismischen Aktivitäten. Die Erdkruste besteht aus vielen einzelnen Erdplatten, die ständig in Bewegung sind. Wenn zwei oder mehrere Platten aufeinandertreffen, sich untereinander schieben, aneinander reiben oder sich verkanten, entsteht Spannung. Die kann sich manchmal über viele Jahre aufbauen. Ist diese Spannung irgendwann zu groß, entlädt sie sich in einem gewaltigen Ruck, einem Erdbeben. Die Stelle, an der sich die Spannung entlädt, wird als Epizentrum bezeichnet. Von dort aus breitet sich die freigesetzte Energie in Form von Wellen aus und erreicht in Sekundenschnelle den Meeres- oder Erdboden. Nach dem ersten Erdstoß kann es zu heftigen Nachbeben kommen, wenn benachbarte Platten nachrücken.

Die Stärke eines Bebens wird durch die Magnitude angegeben. Je höher die Magnitude, desto stärker das Erdbeben. Die Auswirkung starker Beben können verheerend sein. Neben dem Einsturz von Gebäuden können Erdbeben auch Erdrutsche, Brände oder Tsunamis auslösen und sind damit nach tropischen Stürmen die zweitgrößte Naturgefahr. Die Vorhersage des Zeitpunkts, der Stärke und des Epizentrums von Erdbeben sind daher von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit von Menschen und Tieren. Doch bisher ist dies nicht möglich. Zwar gibt es in einigen Ländern Frühwarnsysteme, die Sekunden bis Minuten vor einem Erdbeben Alarm schlagen, doch gibt es keine Methode, um den genauen Zeitpunkt eines Erdbebens weit im Voraus vorherzusagen. Nun berichten Forschende über einen vielversprechenden Ansatz, den sie entwickelt haben, um die Zeit bis zu einem Erdbeben vorherzusagen.

Gesteinsproben analysieren mit maschinellem Lernen (ML)

Die Wissenschaft geht davon aus, dass seismischen Ereignissen im allgemeinen bestimmte Vorläuferprozesse vorausgehen, die sich auf das Gestein auswirken. Diese Prozesse lassen sich in der Natur jedoch nur schwer nachvollziehen, da sie meist in mehreren Kilometern Tiefe stattfinden. Aus diesem Grund haben die Forschenden entsprechende Gesteinsproben im Labor unter Kontrolle der Randbedingungen untersucht. Dafür nutzten sie neuartige Techniken des maschinellen Lernens (ML).

„Bei diesen Experimenten können wir systematisch Vorläuferprozesse beobachten, die dem Gesteinsbruch vorauseilen, sogenannte akustische Emissionen“, sagt Grzegorz Kwiatek vom Deutschen Geo-Forschungs-Zentrum (GFZ). Akustische Emissionen sind hochfrequente Schallwellen, die von Materialien ausgesendet werden, wenn sie unter Spannung oder Belastung stehen. Diese Emissionen werden oft bei strukturellen Tests und Überwachung von Materialien und Bauwerken verwendet, um Anzeichen von Deformationen, Rissen oder Versagen zu erkennen. „Dank der hochauflösenden Überwachung im Labor können diese Prozesse erkannt, interpretiert und dann für die Erdbebenprognose im Labor genutzt werden“, sagt Kwiatek.

Zwei bislang unbekannte Vorläuferphänomene

Die Laborumgebung bietet den großen Vorteil, gleich mehrere Erdbebenzyklen einschließlich der Erdbebenvorläuferprozesse in einer vollständig kontrollieren Umgebung nachstellen zu können. Auf diese Weise konnten die Forschenden Tausende von akustischen Emissionen erzeugen. Aus den aufgezeichneten seismischen Daten im Labor hat das Forschungsteam 47 seismo-mechanische und statistische, zeitabhängige Parameter ausgewählt und extrahiert, die Informationen über die räumliche und zeitliche Entwicklung von Spannungen und Schäden in der Labor-Störungszone liefern. Besonders interessant waren dabei zwei bislang unbekannte Vorläuferphänomene, die Hinweise auf die lokale Schadensentwicklung und die Verteilung des Spannungsfeldes geben.

Mithilfe von maschinellem Lernen ist es den Forschenden gelungen, die Parameter zu bewerten und zu quantifizieren, um so die Zeit bis zum bevorstehenden Versatz im Gestein erfolgreich vorhersagen zu können.

Maschinelles Lernen birgt viel Potential für die Erdbebenprognose

Trotz erster erfolgreicher Berechnungen gilt es zu bedenken, dass Erdbeben das Ergebnis eines komplexen tektonischen Ladeprozesses sind und von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. So spielt beispielsweise die Verwerfungsstruktur, also die Bruchzone der Erdkruste eine wichtige Rolle bei der Auslösung und Stärke von Erdbeben und nimmt erheblichen Einfluss auf die Möglichkeiten der Erdbebenvorhersage. So sei die Vorhersage der Zeit bis zum Erdbeben für komplexe raue Verwerfungen viel schwieriger als für glatte Bruchzonen, so die Forschenden.
„Unsere Beobachtungen des ML-Trainingsprozesses deuten jedoch darauf hin, dass wir mit mehr Eingabedaten aus mehr Experimenten die Leistung des Modells verbessern könnten“, sagt Sadegh Karimpouli vom GFZ. Insgesamt sind sich die Forschenden jedoch einig, dass die neuen Erkenntnisse das Potenzial haben, die Vorhersage natürlicher Erdbeben entlang tektonischer Verwerfungen in der Natur erheblich voranzubringen.

Von Ines Klawonn