Künstliche Intelligenz bringt 37 Prozent mehr beim Stromhandel
Mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) sind Fraunhofer-Forschende in der Lage den Regelleistungsmarktpreis – den Preis für kurzfristig bereitgestellten Strom zur Netzstabilisierung – vorherzusagen.

Forschende konnten durch den Einsatz einer KI-gestützten Prognoseplattform die Erlöse flexibler Stromanpasser auf dem Regelenergiemarkt um bis zu 37 % steigern.
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In dem Projekt am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA konnten die Forschenden durch den Einsatz einer KI-gestützten Prognoseplattform die Erlöse flexibler Stromanpasser auf dem Regelenergiemarkt um bis zu 37 % steigern. Ihre Grundannahme: Wenn Unternehmen flexibel auf Preisänderungen reagieren, können sie nicht nur Netzdienste erbringen, sondern auch wirtschaftlich davon profitieren. Der Regelenergiemarkt ist essenziell für die Netzstabilität: Es entstehen Ungleichgewichte, etwa wenn wetterabhängige Erzeuger weniger liefern als prognostiziert oder Verbraucherlasten plötzlich schwanken. Zwar existiert dieser Markt lange, doch die meisten Kraftwerks- oder Anlagenbetreiber nutzen bislang einfache Strategien: Gestützt auf Tages- oder Wochendurchschnitte wird ein statischer Richtpreis abgegeben. Ein solches Vorgehen verkennt größere Erlöspotenziale. Anders ist der neue KI-Ansatz strukturiert, der auf unterschiedliche Machine-Learning (ML)-Modelle setzt und für die vier untersuchten Teilmärkte deutsche Regelenergie signifikante Mehrerlöse verzeichnet.
Beim kombinierten Verfahren wird die ML-Vorhersage durch ein spezielles Offset-Modul veredelt – ein Technik-Kniff, der sich an den Marktregeln des Pay-as-Bid-Modells orientiert. Dort erhält der Gewinner seinen Gebotspreis, verliert aber komplett, wenn sein Angebot höher als der reale Marktpreis liegt. Das Offset-Verfahren reduziert gezielt den prognostizierten Preis, sodass Gebote meist knapp unter dem realen Marktpreis bleiben und Gewinnerquoten steigen. Die Visualisierung des Verfahrens zeigt: Während ohne Offset zahlreiche Gebote über dem tatsächlichen Preis liegen, verlagert sich das Verhältnis nach der Korrektur so, dass Anbieter fast immer unterbieten – und damit konstant den Zuschlag erhalten.
KI im Stromhandel: Wie Algorithmen Marktmechanismen ausreizen
Technisch ist das eine smarte Lösung für ein klassisches Auktionsproblem. Der Effekt wirkt sich direkt aus: Schon ein Fehler von 1 €/MWh kann mehreren 1 000 € Mehrerlös pro Megawatt erzeugter Leistung bedeuten. In Studien wurde pro Megawatt und Jahr ein möglicher Vergütungsanstieg von bis zu 3 631 € dokumentiert. Damit nicht genug: Auf dem insgesamt digitalen Regelenergiemarkt erschließt sich ein bislang weitgehend unerschlossenes Optimierungspotenzial.
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Die Relevanz dieses Ansatzes wächst zugleich mit der steigenden Volatilität von Stromnetzen durch erneuerbare Energien. Beispielhaft verweist Fraunhofer IPA auf den Blackout im April 2025 in Spanien und Portugal – ein akutes Signal, wie fragil Netze sein können. Genauso bedeutsam ist jedoch, dass das IPA-Konzept nicht nur technische Raffinesse bietet, sondern konkrete betriebliche Vorteile realisiert. Die KI-gestützte Software ist modular aufgebaut und lässt sich theoretisch auf ähnliche Pay-as-Bid-Systeme, wie sie in Finanzmärkten üblich sind, übertragen. Auch ein Markt außerhalb Deutschlands – etwa bei Energiehandel oder Finanzprodukten – kann durch diese Methodik profitieren.
Gute Aussichten
Der Blick in die Zukunft fällt vielversprechend aus: Die Forschenden vom Fraunhofer IPA planen, externe Datenquellen wie Wetterprognosen und Wahrscheinlichkeitsanalysen in ihre Modelle zu integrieren. Ziel ist es, die Prognosegüte weiter zu erhöhen und flexibelere Offsets zu ermöglichen. Damit rücken hybride Data-Science-Konzepte in den Fokus, die erkannt haben, dass reine historische Datenbasen zwar ein Anfang, aber nicht ausreichend sind – Kontextdaten wie Wetter, Netzlast oder saisonale Schwankungen erweitern den Modellhorizont.
Aus technischer Sicht fordert das Projekt eine Architektur, die mehrere intelligente Komponenten orchestriert: Datenaggregation, Modelltraining, Echtzeit-Offset-Kalkulation, automatisierte Bid-Abgabe. Gleichzeitig muss der gesamte Prozess robust, skalierbar und latenzarm sein, um am Echtzeitmarkt bestehen zu können. Fraunhofer IPA nutzt dafür eine Modularisierung auf Containerebene oder Microservices, die sich je nach Bedarf skalieren lassen – was etwa auch bei Integration weiterer Datenquellen ein entscheidender Vorteil ist.
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Das Projekt zeigt zudem eine Verschiebung in der Wahrnehmung von Energiemanagement – weg von rein technischen Einspeisemodellen hin zu datengetriebenen Geschäftsmodellen, bei denen Flexibilität zunehmend zur strategischen Ressource wird. Überdies unterstützt das Verfahren die Netzstabilität, indem es Anreize schafft, Lastspitzen gegenzusteuern. So entsteht ein kollaborativer Wettbewerb, der den Markt effizienter und resilienter macht.
Grundstein für weiterführende Forschung ist gelegt
Auf akademischer Ebene bietet die Veröffentlichung auf dem offenen Archiv „arXiv“ eine Basis für weitere Forschung – nicht nur in der Energieökonomie, sondern auch in verwandten Disziplinen wie Finanzengineering, Supply-Chain-Optimierung oder IoT-Anwendungen für Smart Grids. Auf praktischer Ebene sehen sich Energieversorger wie Industrieunternehmen in der Pflicht, nachgerüstete Bid-Agenten mit KI-Komponente zu integrieren, um in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben. Zudem eröffnet der Ansatz Möglichkeiten für Drittanbieter: Unternehmen, die als Aggregatoren im Flexibilitätsmarkt agieren, könnten eine Handelsplattform entwickeln, die KI-gestützte Prognosen gegen Nutzungsgebühr anbietet. Gleichzeitig ist das Verfahren ein Einstiegspunkt für regulatorische Fragen, etwa zur Haftung bei fehlerhaften KI-Geboten oder zur Transparenz in Auktionsprozessen.