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Energie auf dem Deutschen Ingenieurtag 2025 19.05.2025, 15:30 Uhr

Die Zukunft der Energieversorgung muss jetzt starten

Damit die Energiewende gelingt und die zukünftige Energieversorgung Deutschlands nachhaltig und sicher gewährleistet werden kann, darf keine Zeit mehr verstreichen.

Interessante Diskussion (v.l.n.r.): Gerhard Stryi-Hipp, Prof. Dr.-Ing. Harald Bradke, Dr. Tim Meyer, Prof. Dr. rer. nat. Sebastian Lehnhoff sowie Prof. Dr. Anke Weidlich nahmen an der von Stefanie Mollemeier moderierten Runde teil. Foto: elk

Interessante Diskussion (v.l.n.r.): Gerhard Stryi-Hipp, Prof. Dr.-Ing. Harald Bradke, Dr. Tim Meyer, Prof. Dr. rer. nat. Sebastian Lehnhoff sowie Prof. Dr. Anke Weidlich nahmen an der von Stefanie Mollemeier moderierten Runde teil.

Foto: elk

Es gelte, die Weichen dafür jetzt zu stellen, mahnte Gerhard Stryi-Hipp, Leiter des Bereichs Klimaneutrale Städte und Quartiere am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE auf dem Deutschen Ingenieurtag 2025 (DIT).

Stryi-Hipp präsentierte die Arbeit der „Topic Force Energie“ der VDI-Initiative „Zukunft Deutschland 2050“. Sein Vortrag war ein eindringlicher Appell für eine systemische, wissenschaftlich fundierte und technologieoffene Betrachtung der zukünftigen Energieversorgung Deutschlands. Im Zentrum die Frage: Wie kann Deutschland langfristig und nachhaltig mit ausreichenden Mengen erneuerbarer Energie versorgt werden?

Die Weichen richtig stellen

Der Experte machte deutlich, dass die Transformation des Energiesystems bereits in vollem Gange ist – in einigen Bereichen mit klarer Zielrichtung und nachvollziehbarem Pfad, in anderen mit erheblichen Unsicherheiten. Gerade deshalb sei es jetzt essenziell, konkrete Weichenstellungen für die kommenden Jahrzehnte vorzunehmen. Denn Energieinfrastrukturen haben lange Lebenszyklen, und Fehlentscheidungen heute könnten die Klimaziele von morgen gefährden. Ein zentraler Aspekt seines Vortrags ist die drastische Verschiebung der Energieträgeranteile in der deutschen Energienutzung. Der Stromverbrauch wird sich laut Prognosen bis 2045 nahezu verdreifachen – von 454 auf 1 267 TWh. Dies ist nicht zuletzt auf den erwarteten Siegeszug der Elektromobilität und Wärmepumpentechnologien zurückzuführen. Auch die Nutzung von Fernwärme soll deutlich steigen. Gleichzeitig wird der Anteil fossiler Energieträger fast vollständig verschwinden – von heute 2 249 TWh auf praktisch null. An ihre Stelle treten sogenannte Renewable Fuels of Non-Biological Origin (RFNBO) – also synthetische, strombasierte Energieträger. Ihr Anteil steigt von heute vernachlässigbaren 6,6 auf stolze 330 TWh im Jahr 2045.

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Energiedebatte versachlichen mit Nutzwert für Politik und Wirtschaft

Stryi-Hipp betonte, dass diese Entwicklung nicht nur eine Herausforderung für die Energieproduktion darstellt, sondern auch einen tiefgreifenden Umbau der Infrastruktur erfordert. Als ein Beispiel nannte er die Onshore-Windkraft, deren installierte Leistung sich bis 2045 vervielfachen muss. Gleichzeitig müssten Millionen batterieelektrischer Fahrzeuge auf deutschen Straßen unterwegs sein, um die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen. Diese Ziele seien ambitioniert, aber erreichbar – wenn die Politik verlässliche Rahmenbedingungen schaffe und Technologieoffenheit gewährleistet sei. Die Topic Force Energie verfolgt dabei einen integrativen und faktenbasierten Ansatz. Stryi-Hipp schilderte, wie in Szenarien unterschiedliche Technologiepfade durchgerechnet werden, stets unter Berücksichtigung technischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wechselwirkungen.

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Es gehe nicht nur darum, einzelne Technologien zu bewerten, sondern das gesamte Energiesystem als Ganzes zu verstehen – in seiner Dynamik, seinen Abhängigkeiten und seinen Potenzialen. Nur so ließen sich fundierte Handlungsempfehlungen für die Politik ableiten. Im Rahmen der VDI-Initiative Zukunft Deutschland 2050 verstehe sich die Arbeit der Topic Force Energie als Beitrag zur Versachlichung der oft emotional geführten Debatte über die Energiewende. Der Fokus liege dabei auf wissenschaftlicher Objektivität und einem realistischen Blick auf die Transformationspfade, die technisch und gesellschaftlich gangbar sind. Es gehe nicht darum Wunschdenken zu fördern, sondern realistische, belastbare Perspektiven für ein klimaneutrales Deutschland zu entwickeln, unterstrich Stryi-Hipp.

Sein Vortrag endet mit einem Plädoyer: Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Die Entscheidungen, die heute getroffen werden, bestimmen die Energiewelt von 2045 und darüber hinaus. Es braucht Mut, Klarheit und langfristiges Denken – sowie die Bereitschaft, Komplexität anzuerkennen und systemisch zu denken. Nur so kann die Energiewende gelingen – und Deutschland ein zukunftsfähiges, klimaneutrales Energiesystem aufbauen.

Energiewende auch für wirtschaftlichen Erfolg nutzen

Eine Einschätzung, die auch die Expertinnen und Experten der anschließenden Podiumsdiskussion teilten. Neben Stryi-Hipp, der auch Co-Vorsitzender des Fachausschusses Regenerative Energien (FARE) in der VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt (GEU) ist, und Prof. Dr.-Ing. Harald Bradke, Vorsitzender des Interdisziplinären Gremiums Klimaschutz und Energiewende (IGKE) im VDI, nahmen an der von Stefanie Mollemeier, stellvertretende Vorsitzende des FA Informationstechnik in der VDI-GEU, moderierten Runde Dr. Tim Meyer, Energiewendeunternehmer und -berater bei 3Epunkt (ehemals Vorstand Naturstrom AG) sowie Prof. Dr. rer. nat. Sebastian Lehnhoff, Vorstandsvorsitzender des Offis Instituts für Informatik in Oldenburg, und Prof. Dr. Anke Weidlich vom Institut für Nachhaltige Technische Systeme (Inatech) teil. Gefragt, was sie sich für die Zukunft der Energie 2050 wünschen, hieß es ganz klar: eine Energieversorgung die klimaneutral, sicher und bezahlbar ist. Es müsse über Legislaturperioden hinweg an der Energiewende gearbeitet werden und dazu benötige es langfristig verlässliche Rahmenbedingungen.

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„Die Energieversorgung muss endlich enkeltauglich werden“, forderte Bradke. Viel zu lange habe man bereits auf schon auf Kosten der zukünftigen Generationen und der Menschen im Globalen Süden gelebt. Und, so betonte Meyer, dies biete auch wirtschaftliche Chancen. Er sieht durchaus Chancen, dass Deutschland mit seinen Erfahrungen aus der Energiewende 2050 der globale Marktführer für Regelungstechnik komplexer Energiesysteme sein könnte. Ingenieurinnen und Ingenieure, da waren sich die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion einig, könnten hierzu Wesentliches beitragen; als Innovationstreiber ebenso wie als Botschafterinnen und Botschafter für die Energiewende.

Von Elke von Rekowski