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Mikroplastik in der Umwelt 12.04.2021, 07:00 Uhr

Überraschende Spuren: Wo Reifenabrieb landet – und was Hersteller unternehmen sollten

Abrieb aus Pneus verursacht den größten Eintrag von Mikroplastik. Doch wo landen die Teilchen genau? Auf diese Frage haben Wissenschaftler Antworten gefunden.

Neue Zahlen zum Reifenabrieb: Forscher berichten, wo die Partikel in der Umwelt deponiert werden. 
Foto: panthermedia.net/PhanuwatNandee

Neue Zahlen zum Reifenabrieb: Forscher berichten, wo die Partikel in der Umwelt deponiert werden.

Foto: panthermedia.net/PhanuwatNandee

Zum 1. Januar 2021 verzeichnete das Kraftfahrt-Bundesamt 66,9 Millionen Zulassungen, darunter 59,0 Millionen Kraftfahrzeuge und knapp 7,9 Millionen Kfz-Anhänger. Pkw bildeten mit 48 Millionen Stück die größte Gruppe. Damit alles rund läuft, benötigen sie regelmäßig neue Reifen.

Rund 47,4 Millionen Pneus wurden im letzten Jahr als Ersatz verkauft, schätzt der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk auf der Basis von Marktzahlen. Mit einem Anteil von rund neun Zehnteln, gemessen an verkauften Stückzahlen, stehen Consumer-Reifen an der Spitze. Dazu zählen Pkw-/Off-Road- und Leicht-Lkw-Reifen. Lkw-Reifen liegen mit rund 5,6% Marktanteil an zweiter Stelle. Auf Motorrad-Reifen, Reifen für Landwirtschafts- und Forstfahrzeuge beziehungsweise für Baufahrzeuge machen insgesamt 4% aus.

Die Zahlen zeigen, dass es großen Bedarf an Reifen gibt. Doch wo landet der Abrieb? Dieser Frage gingen die Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) und die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) jetzt nach. Die Ergebnisse einer Studie überraschen: Ein Großteil aller Partikel verbleibt im Boden. Nur 12% bis 20% landen in Gewässern.

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Woraus besteht Reifenabrieb? 

Das generelle Problem: Reifenabrieb zählt laut Fraunhofer-Institut für Umwelt, Sicherheit und Energietechnik (Umsicht) zu den wichtigsten Quellen für Mikroplastik in der Umwelt. Wie Forscher in ihrem Report „Kunststoffe in der Umwelt zu Mikro- und Makroplastik“ berichten, sind andere Quellen, etwa Kleidung, Bauschutt, Sportplätze oder Feuerwerkskörper, von geringerer Bedeutung.

Das Gemisch verschiedener Stoffe aus dem Abrieb hat es in sich: Fahrzeugreifen bestehen aus vulkanisiertem Naturkautschuk oder synthetischem Gummi. Hinzu kommt eine Vielzahl an weiteren Chemikalien, etwa an Füllstoffen. Das integrierte Gewebe besteht aus Kunstfasern, Kunstseide beziehungsweise aus Stahl. Wirken an den Laufflächen Kräfte, entstehen Partikel. Sie bestehen nicht nur aus Reifenmaterial, sondern auch aus Abrieb des Straßenbelags.

Bisher war bekannt, dass zwischen 5% und 10% des abgetragenen Materials als Staub oder Feinstaub in die Luft gelangen. Wo die übrigen rund 90% des Materials deponiert werden, blieb unklar. Dieser Frage sind Forscher jetzt nachgegangen.

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Die Spuren von Reifenabrieb verfolgen   

Die jetzt veröffentlichten Studienergebnisse zeigen: Pro Jahr gelangen 8.700 bis 20.000 Tonnen Abrieb in Oberflächengewässer. Der weitaus größere Teil, nämlich 60.000 bis 70.000 Tonnen, wandern jedoch in Böden, was überrascht.

Entscheidend ist, wo sich ein Auto gerade befindet. Städte oder Ortschaften haben ein engmaschiges Netz an Kanälen. Abrieb wird mit dem Regen früher oder später in die Kanalisation gespült und landet dann in Kläranlagen. Sie halten mehr als 95% des Materials zurück. Anders sieht die Sache bei Landstraßen aus. Abrieb landet in straßennahen Bereichen. Niederschläge spülen die Partikel anschließend in obere Bodenschichten. Ein Großteil wird dort zurückgehalten. Schätzungsweise 12% bis 20% werden – je nach Niederschlagsmenge – in Oberflächengewässern eingetragen. Dort lagern sie sich im Sediment ab, werden zu kleinen Anteilen aber auch oxidiert. Es gibt zwar noch keine genauen Daten. Aber Forscher vermuten, dass etwa 2% des ursprünglichen Abriebs bis ins Meer transportiert wird.

Die Zahlen werfen einige Fragen auf: Bislang weiß man wenig darüber, wie sich solche Partikel in Böden verhalten; eine ökotoxische Wirkung kann nicht ausgeschlossen werden. Das gilt auch für Partikel in aquatischen Systemen. Weitere Studien müssen dies klären.

Vielfältige Maßnahmen erforderlich

Obwohl die ökologische Bewertung von Reifenabrieb längst noch nicht abgeschlossen ist, bestehen kaum Zweifel an schädlichen Effekten. Auf Reifen wird man kaum verzichten. Hersteller experimentieren deshalb mit nachwachsenden Rohstoffen. Als Quelle für Kautschuk kommt normaler Löwenzahn infrage. Die Idee dahinter: Biologisch abbaubare Teilchen stellen in Ökosystemen eine geringere Gefahr dar. Was in der Theorie gut klingt, ist von der Serienreife meilenweit entfernt.

Kurzfristig bleibt nur, wasserwirtschaftlichen Maßnahmen weiter zu verbessern. Dazu gehört, Wasser aus dem Straßenabfluss bestmöglich aufzubereiten. Abriebarme Reifen und ein optimales Fahrverhalten leisten ebenfalls wichtige Beiträge. Und nicht zuletzt ist der Abrieb bei leichteren Fahrzeugen auch geringer.

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Von Michael van den Heuvel