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Der Flughafen-Tower der Zukunft 22.10.2020, 11:58 Uhr

Wie Digitalisierungskonzepte die Luftverkehrsbranche verändern werden

Dieser Beitrag untersucht die derzeitige (technologische) Situation im Flugsicherungsbereich der Vorfeldkontrolle, identifiziert potenzielle Digitalisierungskonzepte und zeigt auf, wie diese gewinnbringend im Flughafen-Tower der Zukunft eingesetzt werden können.

Digitalisierungskonzepte werden sich auch auf den Flugsicherungsbereich auswirken. Foto: panthermedia.net/jamesgroup

Digitalisierungskonzepte werden sich auch auf den Flugsicherungsbereich auswirken.

Foto: panthermedia.net/jamesgroup

Die digitale Transformation hat in vielen Branchen zu massiven Umwälzungen geführt. Sei es die Musikbranche, der Einzelhandel oder die Finanzbranche – etablierte Platzhirsche werden vermehrt von jungen Startups unter Druck gesetzt, die sich die neuen Chancen durch digitale Technologien zunutze machen.

Doch es gibt Branchen, in denen die Digitale Transformation bislang noch in den Kinderschuhen steckt. Das beste Beispiel ist die konservative Luftverkehrsbranche, allen voran in operativen und somit sicherheitskritischen Prozessen wie der Flugsicherung wird hier notfalls noch zu Papier und Bleistift gegriffen. Doch auch in diesem Tätigkeitsgebiet haben digitale Technologien das Potenzial, etablierte Abläufe und Organisationen zu beeinflussen und zu optimieren. Vor allem in turbulenten Zeiten, wie sie der Luftverkehr regelmäßig und derzeit in voller Härte durch die Corona-Krise erlebt, kann eine dynamische und skalierbare Digitalausstattung im Flughafen-Tower zu Wettbewerbsvorteilen führen und entscheidend zur Wirtschaftlichkeit und Existenzsicherung von Flughäfen beitragen.

Organisatorische Ausgangssituation

Die Flugsicherung besteht aus verschiedenen Dienststellen: Upper Area Control, Bezirkskontrolle, Anflugkontrolle und Platzkontrolle, die die Bodenkontrolle beheimatet, welche wiederum in Rollkontrolle und Vorfeldkontrolle unterteilt werden kann. Üblicherweise fällt nur die Platzkontrolle in den Verantwortungsbereich des Flughafenbetreibers, da dieser nach §47 Abs. 1 LuftVZO „den Flughafen in betriebssicherem Zustand zu halten und ordnungsgemäß zu betreiben“ hat. Häufig wird auch die Platzkontrolle vertraglich an die Deutsche Flugsicherung GmbH ausgelagert (Deutsche Flugsicherung. 2018, S. 61), Ausnahmen bilden zum Beispiel die Flughäfen Frankfurt/Main, München und Hamburg , an welchen der Dienst der Vorfeldkontrolle vom jeweiligen Flughafenbetreiber durchgeführt wird (Flughafen München GmbH, 2020; Fraport AG, 2020; Flughafen Hamburg GmbH, 2019, S. 32). Die Hauptaufgabe der Vorfeldkontrolle ist das Sicherstellen eines sicheren und flüssigen Verkehrsflusses in deren Zuständigkeitsbereich, der, wie in Abbildung 1 ersichtlich, durch die Bitte nach Starterlaubnis durch die Airline bzw. den Piloten erfolgt und beim Hand-Over zur Flugsicherung an einem bestimmten Übergabepunkt endet.

Organisatorische Zuständigkeiten bei abfliegenden Flugzeugen.

Foto: Verfasser

Dieser kann je nach Flughafen und dem vorliegenden Layout variieren. Ist am Flughafen München die Vorfeldkontrolle beispielsweise „nur“ bis zur Schnittstelle zu den Rollwegen zuständig, ist sie am Flughafen Zürich bis direkt an die Start- und Landebahnen zuständig. Um die genannte Hauptaufgabe zu erfüllen, müssen die Vorfeldlotsen eine Sequenzplanung durchführen, also die Flugzeuge in eine möglichst optimale Reihenfolge einsortieren, den jeweiligen Piloten die nötigen Rollanweisungen geben und die Durchführung dieser Rollanweisungen kontinuierlich überwachen, um bei Fehlverhalten korrigierend einwirken zu können.

Es erscheint daher auf den ersten Blick logisch, dass Vorfeldlotsen wie deren Kolleginnen und Kollegen von der Flugsicherung in der Tower-Kanzel in exponierter Lage am Flughafen untergebracht sind, da sie dort den vermeintlich besten Blick auf das Geschehen am Vorfeld haben.

Organisatorische Herausforderungen

Ausgehend von einer Aufgabentrennung zwischen der Vorfeldkontrolle und den anderen Flugsicherungsdiensten können einige organisatorische Herausforderungen für die Vorfeldlotsen identifiziert werden:

  • Return-To-Stand-Operationen: Kann ein Flugzeug nach dem Pushback nicht aus eigener Kraft weiterrollen oder muss es aus anderen Gründen (z. B. medizinischer Notfall) den Rollvorgang abbrechen, müssen die Vorfeldlotsen schnell reagieren. Einerseits müssen weitere Prozesse koordiniert werden (z. B. Rettungsdienst), andererseits kann das Flugzeug wichtige Rollwege blockieren, was Auswirkungen auf die nachfolgenden Flüge haben könnte
  • Wettereinflüsse: Vor allem Nebel und Starkregen können die heute noch notwendige Direktsicht aus dem Tower beeinflussen. Bei zu geringen Sichtweiten ist es die Aufgabe der Vorfeldlotsen, den Verkehr so zu staffeln, dass ein sicherer und reibungsloser Ablauf gewährleistet ist. Ein Zurückgreifen auf bildersetzende Verfahren ist dann unerlässlich
  • Koordinationsaufwand im Winter: Bei niedrigen Temperaturen muss zusätzlich die Enteisung der Luftfahrzeuge koordiniert werden. Außerdem muss durch eine Pistensperrung aufgrund von Schneeräumarbeiten die Sequenzplanung angepasst werden
  • Bauliche Veränderungen: Die immer wichtiger werdenden Erlöse aus dem Non-Aviation-Geschäft führen zu baulichen Veränderungen vor allem im Terminalbereich. Gebäude verändern sich und werden in Vorfelder gebaut, was wiederum zu Sichteinschränkungen für die Vorfeldlotsen sowie einer Veränderung der Rollführung führen kann
  • Handlung in einem Spannungsfeld: Die Vorfeldkontrolle befindet in der Schnittstelle zwischen hoch regulierten (Flugsicherung) und gering regulierten und hoch kompetitiven (Airlines, Handling Agents) Dienstleistern, welche beide das Optimum für ihre Bedürfnisse erreichen wollen.
  • Europäisches Netzwerk: Die verstärkte Kollaboration im Rahmen des A-CDM-Prozesses führt zu starken Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Flughäfen in Europa sowie zu einer erhöhten Komplexität, die es bei der Sequenzplanung zu berücksichtigen gilt.

Organisatorische Herausforderungen in der Vorfeld-kontrolle.

Foto: Verfasser

Einige der genannten Herausforderungen sind seit jeher in der Vorfeldkontrolle vorhanden, während andere (z. B. A-CDM und die baulichen Veränderungen am Vorfeld) in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Vereinzelt werden die Vorfeldlotsen bereits technologisch bei der Adressierung der genannten Herausforderungen unterstützt, wie der nachfolgende Abschnitt aufzeigt.

Technologische Ausgangssituation

Die Luftfahrtbranche gilt als sehr konservativ. Ein wünschenswertes Charakteristikum, geht es doch immer um eine Vielzahl von Menschenleben. Dementsprechend ist in den meisten Vorfeldkontrollen in den vergangenen 30 Jahren ein überschaubarer technologischer Fortschritt zu beobachten. Als die drei wichtigsten technologischen Unterstützungssysteme für Vorfeldlotsen können identifiziert werden:

  • Flugstreifensystem: Flugstreifen enthalten alle wichtigen Informationen für Fluglotsen. Meistens sind in der initialen Ansicht nur die wichtigsten Informationen für die Vorfeldlotsen ersichtlich (z. B. Flugnummer, Callsign, Start- und Zielort). Durch die elektronische Darstellung der Flugstreifen wird die Übersichtlichkeit sowie die Zusammenarbeit mit Kollegen verbessert.
  • Bodenradar: Ein häufig für das Advanced Surface Movement Guidance and Control System (A-SMGCS) verwendetes Synonym, mit welchem die Vorfeldlotsen auch bei schlechter Direktsicht einen Überblick über das Verkehrsgeschehen am Vorfeld haben. Der technologische Fortschritt der vergangenen Jahre hat zu multilateralen Darstellungsformen geführt, die eine detaillierte Anzeige ermöglichen.
  • Befeuerungssteuerung: Zur Schaltung der Befeuerung auf dem Vorfeld. Es ist eine Unterscheidung zwischen einer Sequenzschaltung oder einer Einzellampenschaltung möglich (Stichwort: Follow-The-Greens). In der höchsten Ausbaustufe kann eine ausgereifte Befeuerungssteuerung die Anzahl der Funksprüche zwischen Lotsen und Piloten minimieren und somit auch das Fehlerpotenzial reduzieren.

In den vergangenen Jahren geht die Tendenz zu einer integrierten Arbeitsposition für die Vorfeldlotsen. Das bedeutet, dass nicht wie früher üblich jedes System am Arbeitsplatz auf einem eigenen Rechner und Monitor läuft, sondern dass die Einzelsysteme in eine Arbeitsumgebung integriert werden, in welcher der Lotse alle Systeme auf einem Bildschirm sehen kann. Die Vorteile einer integrierten Arbeitsumgebung sind die Reduktion von Blickwechseln, eine Standardisierung der Arbeitsumgebung sowie die Integration aller Vorteile der Einzelsysteme in eine einzige Umgebung.

Zusammenfassend lässt sich zwar ein gewisser technologischer Fortschritt in der Vorfeldkontrolle feststellen, dennoch hätte dieser Abschnitt auch schon vor 20 Jahren die drei genannten Einzelsysteme als „State-of-The-Art“ in der Vorfeldkontrolle ausgewiesen. Im nachfolgenden Abschnitt sollen deshalb Trendtechnologien mit Potenzial für die Vorfeldkontrolle aufgezeigt werden.

AR, VR, KI, ML, NLP, RPA – was ist interessant für den Flughafen-Tower?

Die Digitale Transformation ist in vielen Branchen in den letzten Jahren unaufhaltsam im Gange und Buzzwords wie Augmented Reality, Virtual Reality, Big Data, Künstliche Intelligenz (und viele mehr) sind regelmäßig in zahlreichen Fachbeiträgen zu lesen. Doch bei weitem nicht alle Trendtechnologien sind auch für die Luftverkehrsbranche und insbesondere den Flughafen-Tower geeignet. Andere Technologien hingegen bieten hohes Potenzial, jedoch erst in vielen Jahren. Abbildung 3 zeigt das Potenzial und den Zeithorizont verschiedenster Technologien auf:

Potenzial und Zeithorizont neuer Technologien für den Einsatz im Flughafen-Tower bzw. der Vorfeldkontrolle.

Foto: Verfasser

Kurzfristiges und hohes Potenzial wird den Technologien Natural Language Processing und Augmented Reality beigemessen. Es ist zu erwarten, dass diese Technologien in den kommenden drei bis fünf Jahren im Flughafen-Tower Einzug halten werden. Einige Jahre später werden die Systeme mithilfe von intelligenten Systemen erweitert, um die Lotsen, vor allem von Routinetätigkeiten, zu entlasten und deren Konzentration für unerwartete Ereignisse zu stärken. In ferner Zukunft ist die wünschenswerte Lösung eine volldigitale Abbildung des Vorfeldes, was unter dem Begriff Digitaler Zwilling verfolgt wird.

Eher mittelmäßiges Potenzial wird den Technologien Eye Tracking und Machine Learning beigemessen, wobei unter Machine Learning ein Synonym für den Begriff der künstlichen Intelligenz verstanden werden kann.

Geringes Potenzial und einen langfristigen Zeithorizont weisen die Konzepte Virtual Reality und Internet-Of-Things auf. Während Virtual Reality zwar eine hochinnovative Darstellungsform bietet, die jedoch keinen größeren Mehrwert als bisherige Darstellungsformen bietet, ist beim Einsatz des Internet-Of-Things der Kosten-Nutzen-Vergleich zu unausgeglichen.

Digitales Potenzial für Neubauprojekte

Die im Allgemeinen im vorherigen Abschnitt beschriebenen Konzepte und deren Potenzial können allerdings für neu zu erbauende Flughäfen und Flughafen-Tower („auf der grünen Wiese“) anders bewertet werden. Vor allem die Konzepte Digitaler Zwilling, Internet-Of-Things, Augmented und Virtual Reality können hier durchaus eine wichtige Optimierung bieten.

Internet-Of-Things

Der Nachteil eines ungünstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses beim Einsatz des Internet-Of-Things ist bei neuen Flughäfen nicht vorhanden. Der kostenintensive und aufwändige Austausch der vorhandenen Befeuerung an bestehenden Flughäfen durch IoT-fähige Geräte entfällt bei neuen Flughäfen. Außerdem können die Prozesse und baulichen Gegebenheiten frei geplant werden. Die Nutzung von IoT-Geräten an Flughäfen kann vielfältig erfolgen: Befeuerungsanlagen können beispielsweise untereinander kommunizieren und den Lotsen so etwaige Probleme mitteilen (z. B. das potenzielle Überfahren einer geschalteten Stop-Bar durch ein Flugzeug). Die Ausstattung passiver Fahrzeuge auf dem Vorfeld (z. B. Push-Back-Fahrzeuge, Passagierbusse, Catering-Fahrzeuge) ermöglicht außerdem einen jederzeit aktuellen Blick über das Verkehrsgeschehen und erhöht somit die Sicherheit am Vorfeld.

Augmented und Virtual Reality

Der Probebetrieb eines „Digitalen Towers“ vor allem an kleinen Flughäfen in Deutschland (Heiming, 2019) hat gezeigt, dass es nicht zwingend nötig ist, am Ort des eigentlichen Fluggeschehens zu sitzen. Vor allem an verkehrsarmen Flughäfen hat der Ansatz des Remote Control Towers positive Kosten- und Synergieeffekte, da aus einem Control Tower auch mehrere Flughäfen gesteuert werden können.

Auch für Neubauten werden beide Technologien sehr interessant werden: Digitale Tower sind skalierbarer als physische Tower, die Wartungskosten sind geringer und es kann flexibler auf geänderte Gegebenheiten reagiert werden, was vor allem in der aktuellen Corona-Krise mit niedrigen Verkehrszahlen ein Vorteil wäre.

Ein denkbarer Erweiterungsansatz der bisherigen Kontrollzentren, die meist lediglich die kamerabasierte Abbildung der Flughafensituation inklusive einer Anreicherung mit Flugdaten per Augmented Reality durchführen, wäre die innovative Darstellung mithilfe von Virtual Reality. Der Lotse könnte sich so beispielsweise an verschiedene Orte am Flughafen platzieren, um dort den jeweils besten Überblick für die aktuelle Problemstellung zu erhalten. In der Theorie wird dies von Lotsen zwar als eher nachrangig wichtig betrachtet, dennoch wäre ein Testbetrieb zur konkreten Evaluation denkbar.

Digitaler Zwilling

Die wünschenswerte Ausbaustufe stellt ein vollständig digitaler Zwilling des Vorfeldes dar. Die beiden zuvor beschriebenen Technologien Augmented und Virtual Reality spielen hier ebenso wie KI-Ansätze eine wichtige Rolle. Das Ziel ist die volldigitale Abbildung des Vorfeldes und die stets aktuelle Abbildung des Verkehrsgeschehens in einem Kontrollzentrum. Zusätzlich denkbare Optionen sind eine Simulationsfunktion für die Lotsen, um zu testen, welche Auswirkungen eine Anweisung auf die Situation am Vorfeld hat. Diese Simulationsfunktion könnte sodann auch für die mittel- und langfristige Planung von Rollwegen eingesetzt werden.

Bei der Implementierung eines digitalen Zwillings werden sämtliche Stamm- und Bewegungsdaten, die relevant für die Verkehrssituation am Vorfeld sind, erfasst und gespeichert, um daraus auch Optimierungen (Stichwort: Big Data und Machine Learning) ableiten zu können. Für den Einsatz eines volldigitalen Zwillings sind jedoch noch zahlreiche Forschungsarbeiten nötig und auch aus der Politik müssen Änderungen im Genehmigungsprozess erfolgen.

Auch für bestehende Tower ist Optimierungspotenzial vorhanden

Doch nicht nur für Bauvorhaben „auf der grünen Wiese“ können IT-Technologien einen Mehrwert für die Arbeit der Vorfeldlotsen darstellen. Auch im bestehenden Tower bietet Digitaltechnik ein hohes Maß an Optimierungspotenzial.

Natural Language Processing & Künstliche Intelligenz zur Arbeitsentlastung

Vor allem die Technologien Natural Language Procssing, Augmented Reality, Eye Tracking und Künstliche Intelligenz bieten den Vorfeldlotsen an ihrem bestehenden und bekannten Arbeitsplatz entscheidende Unterstützungshilfe.

Mit einem auf Natural Language Processing und Künstlicher Intelligenz basierenden System erspart man den Lotsen in Zukunft einen heute häufigen Zusatzschritt. Die Lotsen kommunizieren mit den Piloten per Sprechfunk. Parallel dazu (oder im Anschluss) ist jedoch häufig eine Eingabe in einem oder mehreren System(en) nötig. Eine Spracherkennung, die automatisch die Anweisungen der Lotsen mithört und eine technologische Intelligenz, die diese interpretieren kann, kann in Zukunft den Schritt der (zusätzlichen) manuellen Eingabe übernehmen. Zusätzlich dazu kann das System helfen, sich androhende Konflikte und Gefahrensituationen zu identifizieren. Gibt ein Lotse beispielsweise konkurrierende Anweisungen, kann das System sofort darauf aufmerksam machen und der Lotse kann seine Anweisungen sofort korrigieren. Dies gilt auch für Piloten-Readbacks. Erkennt die Spracherkennung im Readback des Piloten einen Fehler (z. B. die fehlerhafte Bestätigung einer Rollanweisung), kann der Lotse sofort auf den Konflikt aufmerksam gemacht werden. Somit wird die Sicherheit am Vorfeld erhöht und der Lotse von Zusatzarbeiten entlastet.

Augmented Reality

Eine sehr interessante Technologie für bestehende Flughafentower ist Augmented Reality. Den Lotsen könnten beispielsweise direkt beim Blick aus dem Tower zusätzliche Informationen zur Verkehrssituation (z. B. Stammdaten eines betrachteten Flugzeuges oder die Rollwege eines betrachteten Flugzeuges) angezeigt werden. Dadurch verringert sich die Anzahl der Blickwechsel und ein größerer Teil der kognitiven Arbeit könnte auf dem Erfassen und Bewerten der Situation liegen.

Die Kombination von Augmented Reality und einer Spracherkennung würde sogar dazu führen, dass so gut wie gar keine Blickwechsel oder Bedienungen von Systemen mehr nötig sind. Dies führt zur höchsten Situational Awareness für die Lotsen, da sie ihre volle Konzentration in die Bewertung der Verkehrssituation stecken können.

Digitaler Zwilling

Auch für bestehende Tower ist das Ziel eines digitalen Zwillings wünschenswert. Im Kontext von bestehenden Türmen liegt dies aber eher darin, dass zusätzlich zum physischen Tower auch digitale Kontrollzentren geschaffen werden, die zunächst als Ergänzung zum bestehenden Tower bestehen. So könnten im „digitalen Tower“ Simulationen zur Planung von Rollwegen durchgeführt werden und eine realitätsnahe Ausbildungsmöglichkeit für Lotsen geschaffen werden. Mithilfe der technologischen Möglichkeiten der Zukunft kann der „digitale Tower“ dann nach und nach als Ersatz für den physischen Tower aufgewertet werden.

Die optimale Lösung ist ein „Baukasten“

Digitaltechnologie kann, auch heute schon, auch im kritischen Umfeld der Vorfeldkontrolle und Flugsicherung zu enormen Optimierungen führen. Einer Herausforderung bleibt: die unterschiedlichen Anforderungen und Budgets der einzelnen Flughäfen. Es ist logisch, dass der größte deutsche Verkehrsflughafen Frankfurt/Main mit über 500.000 Flugbewegungen im Jahr 2019 andere Anforderungen hat als der Flughafen Saarbrücken mit knapp 10.000 Flugbewegungen (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen e. V., 2020) im selben Jahr. Die Lösung für dieses vermeintliche Problem liegt jedoch auf der Hand: Baukastenprinzip. Warum sollte es nicht möglich sein, einzelne Komponenten oder Technologien für den Einsatz am Flughafentower zu nutzen? Hersteller und Flughäfen sollten daher bei der zukünftigen Entwicklung von IT-Systemen für Flughafen-Tower und Vorfeldkontrollen eng zusammenarbeiten und die Systeme modular gestalten.

Zusammenfassung

In Summe können zahlreiche Vorteile identifiziert werden, die durch den verstärkten Einsatz von Digitalisierungskonzepten im Flughafen-Tower der Zukunft erzielt werden können:

  • Ortsunabhängiges Arbeiten für die Vorfeldlotsen möglich
  • Erhöhte Skalierbarkeit und Flexibilität im Hinblick auf die Anpassbarkeit an dynamische Situationen (z. B. Schwankungen bei Flugbewegungen)
  • Verbesserte Planungsmöglichkeiten
  • Entfallen von Sichtbeschränkungen am Vorfeld (durch z. B. Baustellen)
  • Schnellere Durchlaufzeiten
  • Erhöhte Situational Awareness bei den Vorfeldlotsen
  • Sofortige Erkennung von potenziellen Konflikten
  • Reduktion der Arbeitslast für die Vorfeldlotsen und damit verbundene Kosteneinsparungen für den Flughafenbetreiber

Dennoch sollten diese Vorteile kritisch betrachtet werden, denn die Einführung von IT-Technologien und Digitalisierungskonzepten im Rahmen der Vorfeldkontrolle bzw. Flugsicherung bringen folgende Gefahren mit sich:

  • Die neuen Lösungen erfordern ein Umdenken bei der allgemeinen Flughafen-Planung, der Verkehrsplanung und allen voran in der Arbeitsweise der Lotsen, welche derzeit in etablierten und sicheren Prozessvorgaben agieren.
  • Im Arbeitsgebiet der Flugsicherung und Vorfeldkontrolle befindet man sich in einem hochkritischen Gebiet, in dem Sicherheit – allen voran Ausfallsicherheit der Systeme – eine sehr wichtige Rolle spielen. Ausfallsicherheit, Datensicherheit und die Richtigkeit und Verlässlichkeit der angezeigten Daten müssen zu jeder Zeit hundertprozentig vorhanden und korrekt sein.
  • Durch die Entlastung bzw. Übernahme von Aufgaben durch IT-Systeme kann bei den Lotsen das Gefühl eines „Kontrollverlustes“ auftreten, was zu Unsicherheit führt, die wiederum im Arbeitsbereich der Flugsicherung zu einem Sicherheitsrisiko führt. Es ist daher entscheidend und eminent wichtig, dass immer der Mensch, also der Lotse, die Kontrolle und letzte Entscheidung zu jeglicher Situation besitzt.

Ausblick

Nach Meinung von Luftfahrt- und Aviation-IT-Experten steht der Zukunft der Vorfeldkontrolle ein digitaler Wandel bevor. So erwarten die Experten schon in den kommenden Jahren die Erweiterung von bestehenden Türmen mithilfe digitaler Technologien. Für die vollständige Ablösung von physischen Towern und die Arbeit in digitalen Kontrollzentren schwanken die Aussagen der Experten zwar, teilweise werden volldigitale Lösungen jedoch bereits in 15 Jahren erwartet.

Einen zusammenfassenden Ausblick soll Abbildung 4 dienen:

Foto: Verfasser

Der klassische Flughafen-Tower wird zwar auch in den nächsten Jahren, vor allem an bestehenden Flughäfen, weiter ein dominanter Bestandteil sein (1), jedoch werden vermehrt zusätzliche Kontrollzentren entstehen, die den Lotsen ihre Arbeit ortsunabhängig ermöglichen werden (2). Eine Schlüsseltechnologie wird das „Follow-The-Greens“-Konzept werden (3), mithilfe dessen die Kommunikation zwischen Lotsen und Piloten reduziert werden kann. Da es ohne jegliche Sprachkommunikation jedoch auch in Zukunft nicht möglich sein wird, werden intelligente Spracherkennungssysteme die Lotsen unterstützen. Dazu zählt beispielsweise auch die Überprüfung der getätigten Anweisungen und Bestätigungen durch die Piloten auf Validität (4), sowie die Integration in die bisherigen Systeme, um zusätzliche manuelle Arbeit zu verringern.

Eine weitere entscheidende Technologie wird Augmented Reality sein, welche den Lotsen weiterführende Informationen zu Objekten (wie Flugzeuge) direkt bei der Betrachtung anzeigt, ohne dass ein Blickwechsel nötig ist (5). Die abschließende Idealvorstellung für den Flughafen-Tower der Zukunft ist die Individualisierbarkeit der Systemlandschaft je Anwendungsfall. Dies ermöglicht jedem Flughafen die individuelle Kombination der einzelnen Systemmodule in der für seinen Anwendungsfall notwendigen und wirtschaftlich rentablen Form (6).

Literatur

Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen e. V. (2020): Downloadbibliothek. Ver-kehrszahlen (URL: https://www.adv.aero/service/downloadbibliothek/ [Letzter Zugriff: 23.07.2020])

Flughafen Hamburg GmbH (2019): Verkehrsregeln und Zulassungsbestimmungen für das Be-triebsgelände (URL: https://www.hamburg-airport.de/media/VZR_2019_01_010_web.pdf [Letz-ter Zugriff: 23.07.2020])

Flughafen München GmbH (2020): Arbeiten im Tower (URL: https://www.munich-airport.de/arbeiten-im-tower-408880 [Letzter Zugriff: 23.07.2020])

Fraport AG (2020): FRA-Vorfeldkontrolle (URL: https://www.jobs-fraport.de/go/FRA-Vorfeldkontrolle/3918201/ [Letzter Zugriff: 23.07.2020])

Heiming, G. (2019): Erster ferngesteuerter Tower in Deutschland (URL: https://esut.de/2019/04/meldungen/luft/12556/erster-ferngesteuerter-tower-deutschland/ [Letzter Zugriff: 23.07.2020])

Von Andreas Aumeier und Hubert Vogl

Andreas Aumeier, Jahrgang 1995, absolvierte nach seinem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Informatikkaufmann. Neben seiner Tätigkeit als Softwareentwickler begann er im Jahr 2017 ein Fernstudium im Studiengang „Wirtschaftsinformatik“ bei der IUBH. Dieses konnte er bereits nach drei Semestern erfolgreich abschließen. Auch das konsekutive Masterstudium an der IUBH konnte er nach nur zwei (anstatt vier) Semestern im Jahr 2020 mit der Abschlussnote 1,6 erfolgreich abschließen. Im Rahmen seiner Masterarbeit beschäftigte er sich mit dem Thema „Der Flughafen-Tower der Zukunft“. Dazu befragte er Experten aus der Vorfeldkontrolle und der Aviation-IT in insgesamt 16 Experteninterviews und führte daneben eine ausführliche Literaturrecherche mit sich anschließender quantitativer Evaluation durch. Die Kernergebnisse der Thesis werden in diesem Artikel beschrieben.