Aus Abfall wird Zukunft: Bakterien verwandeln Styropor in Grundstoffe für Nylon
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln Verfahren, mit dem Polystyrol-Abfälle zu wertvollen Bausteinen für die Nylon-Produktion werden.
Es klingt noch ein wenig wie Science Fiction, funktioniert aber tatsächlich: Bakterien, die umweltschädliche Stoffe wie Polystyrol verwerten, um daraus die Ausgangsstoffe für Nylon zu produzieren, ohne dass neues Erdöl dafür gebraucht wird. Genau dies haben der Saarbrücker Professor für Biotechnologie, Christoph Wittmann (im Bild), und weitere Kolleginnen und Kollegen aus benachbarten Disziplinen nun geschafft.
Foto: Michael Simon
Plastikmüll ist nicht gleich Plastikmüll: Während manche Kunststoffe vergleichsweise gut recycelt werden können, gilt Polystyrol – besser bekannt als Styropor – bislang als schwer verwertbar. Daran könnte sich nun Entscheidendes ändern. „Polystyrol ist ein solches Sorgenkind“, sagt Christoph Wittmann, Professor für Systembiotechnologie an der Universität des Saarlandes. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Frage, wie Kunststoffe umweltverträglich entsorgt oder wiederverwertet werden können. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen gelang ihm nun ein Durchbruch: Polystyrol lässt sich mithilfe von Bakterien in wertvolle Grundstoffe für die Nylon-Produktion umwandeln.
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Wissenschaftliche Grundlagen und Verfahren
Jährlich fallen weltweit rund 20 Mio. t Polystyrol-Abfälle an, die bisher nur zu einem Bruchteil wiederverwertet werden. Genau hier setzt die Arbeit von Wittmann und seinen Partnern an. Mit Unterstützung von Polymerchemikern um Markus Gallei sowie Materialwissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Neue Materialien (INM) in Saarbrücken wurde ein Verfahren entwickelt, das Styropor in seine molekularen Bausteine zerlegt. Diese dienen anschließend als Grundlage für die mikrobielle Verwertung.
Das Bakterium Pseudomonas putida wurde im Labor so verändert, dass es die aus Styropor gewonnenen Bausteine nicht nur abbauen, sondern auch in nützliche Substanzen umwandeln kann.
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Von Muconsäure zu Nylon-Bestandteilen
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass durch das Verfahren unter anderem Muconsäure entsteht. Daraus lassen sich Adipinsäure und Hexamethylendiamin gewinnen. „Und diese beiden haben jeweils sechs Kohlenstoffatome und zwei Säure- beziehungsweise Aminogruppen“, erklärt Wittmann. „Das sind die beiden Bestandteile für die Herstellung von Nylon.“
Nylon wiederum ist aus zahlreichen Alltagsanwendungen nicht wegzudenken. Es findet sich in Strumpfhosen, Teppichen, Autositzen, Küchenutensilien, Kabelbindern oder Dübeln. Damit eröffnet das Verfahren die Möglichkeit, aus schwer verwertbarem Abfall einen Rohstoff für hochwertige technische und leistungsfähige Kunststoffe zu gewinnen.
Identische Eigenschaften wie erdölbasierte Stoffe
Das EU-Projekt „Repurpose“ unterstützte die Entwicklung finanziell und ermöglichte die Zusammenarbeit mehrerer internationaler Partner. Ein wichtiger Nachweis gelang den Forscherinnen und Forschern des INM. „Denn der Clou ist, dass unsere Kollegen vom INM um Aránzazu del Campo nachweisen konnten, dass die mit unserem Verfahren gewonnenen Stoffe dieselben Eigenschaften haben wie die Stoffe, die auf Basis von Erdöl in der Fabrik ganz neu hergestellt werden“, sagt Wittmann.
Für die Industrie bedeutet dies: Produkte, die aus den neuen recycelten Bausteinen entstehen, haben dieselbe Belastbarkeit und Qualität wie erdölbasierte Kunststoffe. Damit könnten Millionen Tonnen Polystyrol-Abfälle im Kreislauf gehalten und zugleich fossile Rohstoffe eingespart werden.
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Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit
Die wissenschaftlichen Fortschritte in Saarbrücken wurden nicht zuletzt durch die enge Kooperation verschiedener Disziplinen ermöglicht. „Das ist eine große Besonderheit hier in Saarbrücken“, erklärt Wittmann. Besonders kurze Wege auf dem Campus erleichterten die Abstimmung zwischen den Forschungsgruppen.
Für den Biotechnologen ist klar, dass die komplexen Fragen rund um Nachhaltigkeit nicht im Alleingang beantwortet werden können. „Nachhaltigkeit braucht interdisziplinäre Teams“, sagt Wittmann. „Alleine geht es nicht.“




