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Verbundprojekt „IMAGinE“ 13.05.2022, 06:45 Uhr

Assistenzsysteme: Unfallfreies Fahren soll Realität werden

Im Verbund haben Partner aus Industrie und Forschung Assistenzsysteme entwickelt, die Gefahren in Echtzeit vermeiden können

Zwölf Partner aus der Automobilindustrie, der Forschung sowie dem Straßenbetrieb haben neue, innovative Assistenzsysteme für das kooperative Fahren der Zukunft entwicklet (Symbolbild). Foto: PantherMedia/chesky_w

Zwölf Partner aus der Automobilindustrie, der Forschung sowie dem Straßenbetrieb haben neue, innovative Assistenzsysteme für das kooperative Fahren der Zukunft entwicklet (Symbolbild).

Foto: PantherMedia/chesky_w

Im Verbundprojekt „IMAGinE“ (Intelligente Manöver Automatisierung – kooperative Gefahrenvermeidung in Echtzeit) haben seit September 2016 zwölf Partner aus der Automobilindustrie, der Forschung sowie dem Straßenbetrieb zusammengearbeitet, um neue, innovative Assistenzsysteme für das kooperative Fahren der Zukunft zu entwickeln. Durch die Kommunikation von Fahrzeugen zur gemeinsamen Abstimmung von Fahrmanövern wird der Verkehrsfluss optimiert, damit Verkehrsteilnehmer sicherer, effizienter und entspannter ans Ziel kommen und so die Vision des unfallfreien Fahrens Realität werden kann. Am 12. Mai 2022 stellten die Projektpartner die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Forschungsarbeit bei einer virtuellen Abschlusspräsentation vor.

Planung zwischen Fahrzeugen und der Infrastruktur

Fahrerinnen und Fahrer werden zunehmend durch technische Systeme unterstützt, die sicherheitsrelevante Empfehlungen direkt an sie kommunizieren oder selbst deren Umsetzung übernehmen. Dabei findet bisher kein Abgleich der Empfehlungen oder Handlungen zwischen verschiedenen Fahrzeugen statt und sie werden auch nicht aufeinander abgestimmt. Um diese Lücke zu schließen, wurden im Forschungsprojekt „IMAGinE“ die Grundlagen für eine kooperative Manöverplanung sowohl zwischen Fahrzeugen als auch zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur erforscht und herstellerübergreifende Systeme entwickelt, die nun implementiert werden können.

Das Projektteam untersuchte fünf Themenbereiche:

  • Kooperative Manöverabstimmung,
  • Kooperatives Umfeldmodell,
  • Kommunikationsmechanismen,
  • Mensch-Maschine-Interaktion
  • und Simulationsumgebung.

Kooperative Funktionen im Projekt IMAGinE. Grafik: IMAGineE

Alle entwickelten „IMAGinE“-Systeme erwiesen sich als funktionsfähig für die Mobilität von morgen. „In IMAGinE wurde ein wichtiger Meilenstein zum kooperativen Fahren der Zukunft erreicht“, so Projektkoordinator Dr. Dieter Schuller von der Opel Automobile GmbH.

Koordinierte Entscheidungsfindung durch kooperative Manöverabstimmung

Um Kooperation zwischen Verkehrsteilnehmern zu ermöglichen, wurden den Angaben zufolge in dem Projekt erstmalig zielgerichtete Interaktionen zur abgestimmten Manöverplanung zwischen Fahrzeugen untersucht und Basiskonzepte zur kooperativen Manöverabstimmung entwickelt. Diese nutzen aktuell verfügbare Techniken, etwa Vehicle-to-Everything (V2X) Kommunikation, um Informationen zu beabsichtigten Fahrmanövern auszutauschen und Abstimmungen nach definierten Regeln durchzuführen. Die Konzepte wurden anhand verschiedener Fahrfunktionen sowohl in Simulation als auch in realen Pkw und Lkw auf geschlossenen Testgeländen untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass sich mit kooperativer Manöverabstimmung viele Verkehrssituationen deutlich sicherer und komfortabler bewältigen lassen, heißt es weiter.

Größerer Überblick durch kooperatives Umfeldmodell

Das unmittelbare Umfeld eines Fahrzeugs wird durch verbaute Sensorik erfasst, zum Beispiel Kameras, Radare und Lidar-Systeme. Solche Lösungen können jedoch an ihre natürlichen Grenzen stoßen, wenn die Umgebung schlecht einsehbar oder die Wahrnehmung beeinträchtigt ist. „IMAGinE“ erweiterte die Sensorsicht der einzelnen Verkehrsteilnehmer, indem Informationen vieler Kooperationspartner per V2X-Technik ausgetauscht und zu einem individuell erweiterten Umfeldmodell zusammengefasst wurden. Auf diese Weise konnte ein umfassenderes Bild der Gesamtsituation entstehen. Das Prinzip dahinter: „Sehen mit den Augen der anderen.“ In dem Projekt wurde ein solches kooperatives Umfeldmodell erstmalig als Basis für kooperative Manöverabstimmung entwickelt und in Versuchsfahrzeugen verschiedener Hersteller integriert. Es führte bereits in dieser ersten Implementierung zu einem deutlichen Informationsgewinn und erhöhte die Wahrnehmung des umgebenden Verkehrsgeschehens. So konnten für bordautonome Sensoren verdeckte Objekte dennoch frühzeitig erkannt werden. Auch Verkehrsteilnehmer, die nicht in der Lage sind, sich aktiv über V2X mitzuteilen, können frühzeitig erkannt werden.

Neue Kommunikationsmechanismen

Die für das kooperative Fahren notwendigen Informationen werden durch den Versand von V2X-Nachrichten zwischen Fahrzeugen untereinander und mit der entsprechenden straßenseitigen Infrastruktur ausgetauscht. Für die Realisierung der im Projekt untersuchten kooperativen Fahrfunktionen, wurden mehrere neue Nachrichtenformate definiert: Die „Maneuver Coordination Message“ (MCM) dient der Abstimmung kooperativer Fahrmanöver, indem Trajektorien – geplante Wegstrecken – zwischen benachbarten Fahrzeugen ausgetauscht und verhandelt werden. Mit der „IMAGinE Driving Strategy Message“ (IDSM) werden zusätzliche Nachrichten, die für einige Funktionen notwendig sind, zwischen Verkehrsteilnehmern ausgetauscht, um eine strategische Manöverabstimmung zu ermöglichen. Im Projekt kam dieses Nachrichtenformat vor allem bei der Funktion für kooperatives Überholen von Lkw auf Autobahnen zum Einsatz. Die „IMAGinE Traffic Distribution Message“ (ITDM) wurde entwickelt, um kollektive Strategien aus dem Verkehrsmanagement in lokale kooperative Abstimmungen zwischen einzelnen Fahrzeugen zu integrieren. Dies dient dem Ziel, das Verkehrsaufkommen im Straßennetz optimal zu verteilen und dadurch einen sicheren und effizienten Verkehrsfluss zu gewährleisten. Die neuen Nachrichtenformate wurden bereits während der Projektlaufzeit hinsichtlich ihrer Standardisierbarkeit untersucht.

Anwenderzentrierte Mensch-Maschine-Interaktion

Eine zentrale Herausforderung für die Zukunft liegt in der Entwicklung verständlicher und intuitiver Assistenzkonzepte, die Fahrerinnen und Fahrer zu kooperativem Verhalten motivieren. In „IMAGinE“ wurden verschiedene Aspekte kooperativen Fahrverhaltens in mehreren Probandenstudien im Fahrsimulator untersucht und Lösungsvorschläge für intuitive Konzepte der Mensch-Maschine-Interaktion für das kooperative Fahren vorgestellt. Die Studienergebnisse zeigen, dass die Probanden eine Assistenz zur Unterstützung kooperativen Fahrens akzeptieren und bei Verwendung passender Anzeige- und Bedienkonzepte als einfach und sicher erleben. Die Studienergebnisse mündeten in einer Reihe von Erkenntnissen und Leitlinien für die benutzergerechte Gestaltung von Anzeige- und Bedienkonzepten für kooperative Fahrerassistenzsysteme. Die im Projekt entwickelten Funktionen werden den Verkehrsteilnehmern auf intuitive Weise ermöglichen, sich im Straßenverkehr kooperativ und partnerschaftlich zu verhalten. Dies eröffnet die Chance, die Verkehrssicherheit weiter zu erhöhen. In dem Projekt wurden somit die Grundlagen für eine anwenderzentrierte Mensch-Maschine-Interaktion für das kooperative und partnerschaftliche Fahren geschaffen.

Getestet in Simulation und Realfahrzeugen

In „IMAGinE“ wurden, wie es weiter heißt, kooperative Fahrfunktionen entwickelt, die mehrere Fahrzeuge für eine gemeinsame Lösungsfindung einbeziehen. Die Komplexität kooperativer Gesamtsysteme steigt mit der Anzahl der Verkehrsteilnehmer und potenzieller Kooperationspartner. Daher war die Simulation von der frühen Konzept- und Entwicklungsphase bis hin zur Integration in die realen Fahrzeuge fester Bestandteil eines reproduzierbaren und gefahrlosen Testens auch von kritischen Situationen.

Die Projektpartner entwickelten eine flexible und modulare Simulationsarchitektur, welche die Untersuchung kooperativer Manöver mehrerer Verkehrsteilnehmer ermöglicht. Die so entstandenen Simulationen wurden projektbegleitend sowohl zur Entwicklung der kooperativen Manöverabstimmung als auch für partnerspezifische Softwarekomponenten eingesetzt.

Die in der Simulation getesteten kooperativen Fahrfunktionen wurden schließlich in zehn reale Versuchsfahrzeuge integriert und in mehr als 20 gemeinsamen Workshops auf verschiedenen Testgeländen erprobt. Durch umfangreiche Tests konnten die Partner erfolgreich eine durchgehende Funktionalität der kooperativen Manöverabstimmung in unterschiedlichen Szenarien und Partnerkonstellationen erreichen. Die Fahrzeuge der Partner können so beliebig austauschbar miteinander kooperieren.

Kerninnovationen des Projektes IMAGinE. Grafik: IMAGinE

„IMAGinE“ ist ein Gemeinschaftsprojekt führender deutscher Automobilhersteller, Automobilzulieferer, innovativer kleiner und mittlerer Unternehmen, Forschungseinrichtungen und eines Straßenbetreibers. Das „IMAGinE“-Konsortium besteht aus: BMW AG, MAN Truck & Bus SE, Mercedes-Benz AG, Opel Automobile GmbH (Projektleitung), Volkswagen AG, Continental Teves AG & Co. oHG, Robert Bosch GmbH, IPG Automotive GmbH, Nordsys GmbH, Technische Universität München, WIVW GmbH und Die Autobahn GmbH des Bundes.

Das Projektbudget beträgt 38,2 Mio. Euro. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fördert „IMAGinE“ mit insgesamt 17,9 Mio. Euro. Das Projekt ist im September 2016 gestartet und endet im Mai 2022. Am 12. Mai 2022 hat das „IMAGinE“-Konsortium die Ergebnisse seiner Forschungs- und Entwicklungsarbeit in einer virtuellen Abschlusspräsentation vorgestellt.

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Von Verbundprojekt IMAGinE/Udo Schnell