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Energiepark Wunsiedel 07.05.2021, 09:26 Uhr

Modellprojekt für regionale Wasserstoff-Erzeugung

Bis 2050 möchte Deutschland klimaneutral werden. Aus erneuerbaren Energien hergestellter „grüner“ Wasserstoff wird auf dem Weg dorthin eine wichtige Rolle spielen. Ein aktuelles Projekt, das Siemens gemeinsam mit regionalen Technologiepartnern derzeit im nordbayerischen Wunsiedel umsetzt, zeigt, wie eine intelligente Erzeugung und Nutzung des neuen Energieträgers in der Praxis aussehen kann.

Die Erzeugungsanlage im Energiepark Wunsiedel soll bereits in der ersten Ausbaustufe einen Wasserstoffbedarf von über 900 Tonnen pro Jahr decken können. Foto: Siemens AG

Die Erzeugungsanlage im Energiepark Wunsiedel soll bereits in der ersten Ausbaustufe einen Wasserstoffbedarf von über 900 Tonnen pro Jahr decken können.

Foto: Siemens AG

Mit dem „Klimaschutzplan 2050“ hat sich die deutsche Bundesregierung ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis zum Jahr 2050 soll Deutschland weitgehend treibhausgasneutral werden. Um dies zu erreichen, sind alle Energie verbrauchenden Sektoren wie Verkehr oder Industrie gleichermaßen gefordert, ihren Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) sukzessive zu reduzieren. Im Zuge der angestrebten Dekarbonisierung spielt Wasserstoff (H2) als Energieträger der Zukunft eine Schlüsselrolle: Er kann klimaneutral aus regenerativen Quellen wie Photovoltaik (PV) und Windkraft hergestellt werden. Damit bietet das Gas die Möglichkeit, große Energiemengen zu speichern und zu transportieren. Das ist besonders dann sinnvoll, wenn – etwa an sonnigen und windreichen Tagen – zeitweise mehr Strom aus Erneuerbaren zur Verfügung steht, als gerade benötigt wird. Die Anwendungsmöglichkeiten von klimaneutral erzeugtem „grünem“ Wasserstoff als Energieträger sind dabei ebenso breit gefächert wie bei konventionell produziertem – nur eben mit einer sehr viel besseren Umweltbilanz. Besonders klimafreundlich ist eine dezentrale Wasserstofferzeugung vor Ort, da der Transport zur Verbrauchsstelle entfällt. Wie dies in der Praxis aussehen kann zeigt ein Projekt in Bayern.

Regionale Wasserstoff-Erzeugung: Vor Ort erzeugt, vor Ort verbraucht

Im nordbayerischen Wunsiedel entsteht derzeit eine Anlage zur Erzeugung von Wasserstoff mit einer elektrischen Anschlussleistung von sechs Megawatt in der ersten Ausbaustufe. Damit ist sie eine der aktuell größten Anlagen ihrer Art in Deutschland. Die geplante Erzeugungsanlage wird dazu dienen, die vorhandene erneuerbare Energie in ein speicherbares Medium umzuwandeln und für verschiedene Anwendungen in der Mobilität und Industrie verfügbar zu machen. Gleichzeitig entsteht für die Region Nordbayern eine neue „Wasserstoff-Quelle“. Bisher muss das Gas für Endkunden über relativ lange Transportwege angeliefert werden. In Zukunft wird der Wasserstoff dann in Wunsiedel für die lokale Distribution in Druckgasbehälter abgefüllt und über LKW-Trailer an lokale und regionale Endkunden geliefert. Darüber hinaus hilft die Anlage dabei, Netzengpässe zu entschärfen sowie Flexibilität für das Stromnetz bereitzustellen. Optional kann am Standort eine öffentliche Wasserstoffbetankungseinrichtung für LKWs und Busse errichtet werden.

Auftraggeber der Anlage ist die neu gegründete WUN H2 GmbH. Generalunternehmer ist Siemens Smart Infrastructure. Ende 2021 soll die errichtete Anlage ihren Betrieb aufnehmen. Sie wird dann in der ersten Ausbauphase einen Wasserstoffbedarf von über 900 Tonnen pro Jahr decken können. Im Vollausbau sind später mehr als 2.000 Tonnen möglich. Die Anlage entsteht am Wunsiedler Energiepark in unmittelbarer Nähe zu einem bereits aktiven Batteriespeicher von Siemens und ergänzt das dort umgesetzte Energiekonzept: Im Rahmen einer so genannten Grid Edge Lösung sollen perspektivisch Konsumenten, Prosumenten und das intelligente Stromnetz in einem neuartigen Energiesystem miteinander interagieren. Die am Energiepark vorhandenen Assets sowie die zu errichtende Wasserstoffanlage werden über ein cloudbasiertes, offenes IoT-Betriebssystem aggregiert.

Elektrolyseverfahren funktioniert auch mit fluktuierendem Wind- und Solarstrom

Konkret wird der Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Die für diesen Prozess erforderliche Energie liefert der aus PV- und Windkraftanlagen bereitgestellte Strom. Als so genannter Elektrolyseur kommt in Wunsiedel ein Silyzer 300 zum Einsatz. Dieses Modell zeichnet sich durch einen hohen Wirkungsgrad bei hohen Leistungsdichten sowie durch einen wartungsarmen, zuverlässigen und chemikalienfreien Betrieb aus. Er arbeitet mit dem PEM-Elektrolyseverfahren. Hierbei wird Wasser durch elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Der Name PEM ist abgeleitet von der protonenleitenden Membran, der sogenannten Proton-Exchange-Membrane. Sie ist durchlässig für Protonen, aber nicht für Gase wie Wasserstoff oder Sauerstoff. Damit übernimmt sie in einem elektrolytischen Prozess unter anderem die Funktion des Separators, der die Vermischung der Produktgase verhindert. Im Vergleich zur traditionellen Alkali-Elektrolyse ist die PEM-Technologie ideal geeignet, um fluktuierenden Wind- und Solarstrom aufzunehmen, da eine hoch dynamische Betriebsweise möglich ist. Als Besonderheit werden in Wunsiedel auch der bei der Wasserstoff-Erzeugung anfallende Sauerstoff sowie die Niedertemperaturabwärme erstmalig in nahegelegenen Industriebetrieben weiter genutzt. Da somit alle Medienströme einer Verwendung zugeführt werden, zeigt die Anlage eine hohe Gesamt-Energieeffizienz.

Die in Wunsiedel entstehende Anlage zur CO2-freien Erzeugung von grünem Wasserstoff ist ein Zukunftsmodell für die sektorübergreifende Nutzung erneuerbarer Energien: In Zahlen werden im späteren Praxisbetrieb für den Bedarf von zunächst 640 Tonnen Wasserstoff 5.350 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart. Das größte Einsparpotenzial bietet dabei die Umstellung des Wasserstoffherstellungsprozesses. Der derzeitig benötigte Wasserstoff in der Region wird durch eine Erdgasdampfreformierung erzeugt. Dabei werden 5.000 Tonnen CO2 freigesetzt. Zusätzlich fallen durch den Transport aus den bisherigen, bis zu 280 Kilometer entfernten Wasserstoffquellen weitere 350 Tonnen CO2 pro Jahr an. Die Umstellung bedeutet somit eine Einsparung von rund 98 % CO2 pro Jahr.

 

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