Zum E-Paper
Dehnfuge 07.06.2022, 18:16 Uhr

Katamaran für die längste Hängebrücke der Welt

Die Brücke mit über zwei Kilometer Hauptspannweite, die konstruktionsbedingt sehr „weich“ ist und zudem in einer Erdbebenregion steht, kann sich um enorme Ausmaße dehnen. Besondere Fahrbahnübergänge gleichen Brückenlängsbewegungen bis zu fast drei Meter Länge aus.

Die längste Hängebrücke der Welt, die 1915Çanakkale über die Dardanellen, hat eine Hauptspannweite von 2.023 Meter. Foto: Maurer

Die längste Hängebrücke der Welt, die 1915Çanakkale über die Dardanellen, hat eine Hauptspannweite von 2.023 Meter.

Foto: Maurer

Die mit einer Hauptspannweite von über zwei Kilometern längste Hängebrücke der Welt wurde am 18. März 2022 in der Türkei eingeweiht. An den Brückenenden hat die Maurer SE, München, neuartige MSM-Schwenktraversen mit einem Dehnweg von 2.800 Millimeter eingebaut. Dank ihrer besonderen Lagerung garantieren sie einen aufaddierten Gleitweg von 50 Kilometer.

Über zwei Kilometer Hauptspannweite

Die Brücke über die Dardanellen bei Çanakkale (offizieller Name „1915Çanakkale Köprüsü“) hat eine Hauptspannweite von 2.023 Meter und eine Gesamtlänge von 4.608 Meter. Sie ist 45 Meter breit und Teil des dreispurigen Autobahnabschnitts von Malkara nach Çanakkale. Sie soll die Urlaubsregion entlasten und Zeit sparen. Bisher wurden die Dardanellen mit einer Fähre überquert.

Die Fahrbahnübergänge der riesigen Brücke und aller Zubringerbrücken wurden im September 2021 von Maurer geliefert und eingebaut. Die vier größten Übergänge an der Hauptbrücke gleichen Brückenlängsbewegungen von bis zu 2.800 Millimeter aus und halten die Brücke in jedem Dehnungszustand sicher befahrbar.

Die erste neue MSM-Schwenktraversen-Dehnfuge beim Verladen auf dem Hof beim Hersteller in München.

Foto: Maurer

„Weiche“ Brücke in einer Erdbebenregion

Eingebaut wurden vier je 16,1 Meter breite Schwenktraversen-Dehnfugen (Typ: XS 2800). Ihre Besonderheit ist, dass sie Bewegungen in alle Richtungen zulassen: Verschiebungen quer, längs und vertikal zur Fahrtrichtung sowie jegliche Verdrehungen. Das ist wichtig, weil die 1915Çanakkale als Hängebrücke konstruktionsbedingt sehr „weich“ ist und zudem in einer Erdbebenregion steht.

Die namensgebenden Schwenktraversen tragen die obenliegenden, parallelen Profile, die auch Lamellen genannt werden. Sie verlaufen (mit Ausnahme der Randtraversen) leicht schräg zur Fahrbahnrichtung und sorgen so dafür, dass sich die öffnenden und schließenden Bewegungen der Brücke gleichmäßig auf die Dichtprofile zwischen den Stahlprofilen verteilen.

Die MSM-Schwenktraversen-Dehnfuge beim Einbau in die Brücke.

Foto: Maurer

Neuartige „Katamaran“-Lagerung

Die Schwenktraversen-Dehnfugen der 1915Çanakkale-Brücke wurden in mehreren Details technisch optimiert. Komplett neu ist die Lagerung der Lamellen: Statt in einfachen Elastomerlagern laufen die Profile in W-förmigen MSM-Lagern. Diese sogenannte Katamaran-Lagerung wurde von Maurer bereits 2020 entwickelt und ist zum Patent angemeldet.

Die neuartige Lagerung macht die gesamte Übergangskonstruktion leistungsfähiger. Dank MSM und der besonderen Lagerform gleiten die Profile leichter und exakter über die Traversen. Das verhindert Zwängungen und erhöht die Lebensdauer.

Katamaran-Lagerung: Oben ein Mittelträger (Profil oder Lamelle, bei der 1915Çanakkale-Brücke zusätzlich mit aufgeschweißten Rauten). Orange markiert ist das neue Gleitlager in W-Form mit MSM (Maurer Sliding Material).

Foto: Maurer

Hohe Kräfte in den Führungsleisten

Generell wirken in Fahrbahnübergängen sehr hohe Kräfte. Die 1915Çanakkale-Brücke zum Beispiel wurde für Schwerlastverkehr ausgelegt. Doch die Herausforderung sind nicht die vertikalen, sondern die horizontalen Kräfte, die auf die seitlichen Führungsleisten des Gleitlagers wirken. Diese Leisten sorgen dafür, dass die Lamellen „in der Spur“ bleiben, das heißt: immer exakt parallel (quer zur Fahrtrichtung) und mit gleich großen Abständen untereinander.

Weil die Brücke sich innerhalb von Sekunden um einen Meter bewegen kann, entstehen in den relativ kleinen Führungsleisten extrem hohe Pressungen. Diese Kräfte kommen nicht nur aus der Steuerungskraft der Fuge, sondern auch aus Brems- oder Beschleunigungskräften der Fahrzeuge.

Im Extremfall „verklemmt“ die Führung – vergleichbar einer einfachen Schublade beim schrägen Aufziehen. Im Führungslager führen solche Zwängungen zu Verschleiß.

MSM garantiert 50 Kilometer Gleitwegsumme

MSM (Maurer Sliding Material) mit Schmiertaschen ist ein Hochleistungs-Gleitmaterial, das das Unternehmen seit 20 Jahren in Brückenlager einbaut. Es nimmt viel höhere Pressungen auf als der in den Schwenktraversen-Dehnfugen verwendete Verbundwerkstoff und ist für eine aufaddierte Gleitwegsumme von mindestens 50 Kilometer zugelassen.

Allerdings: Die MSM-Vorteile lassen sich nur nutzen, wenn die Gleitflächen konstant in Kontakt miteinander sind. Das war aber bisher bei den Schwenktraversen nicht der Fall, da die Gleitelemente in den seitlichen Führungen mal links, mal rechts anlagen. Es entstand eine sogenannte klaffende Fuge.

Deshalb entwickelte der Hersteller ein neues Lager in W-Form, das mit dem Fachbegriff „Prismenführung“ bezeichnet wird. Der entscheidende Unterschied zu konventionellen Lagern erinnert an einen Katamaran: Wie auf zwei „Kufen“ gleiten die Profile leicht, exakt und verkantungssicher über die Traversen und bilden so eine sehr stabile Führung .

Signifikante Lärmminderung

Alle Fahrbahnübergänge der 1915Çanakkale-Brücke, auch die an den Zubringerbrücken, sind mit einem Lärmschutz in Form von aufgeschweißten Rauten versehen, die Geräusche signifikant (um bis zu 60 %) mindern und gleichzeitig den Fahrkomfort erhöhen.

Die an die Mittelträger angeschweißten Rauten vermindern den nach außen dringenden Lärm.

Foto: Maurer

Besonders wichtig im dynamischen Anwendungsbereich, also zum Beispiel unter Verkehr, ist bei der Art der Befestigung die Vermeidung geschraubter Lösungen: Die Schrauben könnten sich unter der dynamischen Belastung lösen und nicht mehr anziehen lassen. Die angewendete Schweißverbindung ist dagegen nach Angaben von Maurer dauerhaft und garantiert eine langlebige Verbindung.

Empfehlung der Redaktion – das könnte Sie auch interessieren:

  1. Weitere Beiträge aus dem Special Infrastrukturbau
  2. Erdbebensicheres Bauen: Luxushotel auf 410 Erdbeben-Isolatoren
  3. Gefährdungsdaten frei zugänglich: Vor 1980 erbaute Gebäude mit höchstem Erdbeben-Risiko
  4. Nichts mehr verpassen: Hier geht‘s zur Newsletter-Anmeldung
Von Maurer / Karlhorst Klotz