Zum E-Paper
Unterirdische Forschung 03.11.2023, 07:51 Uhr

Wasserbaulabor mit Durchfluss

In Wien ist ein hochmodernes Wasserbaulabor entstanden, das zum Teil unter Wasser liegt. Ein hochkomplexes System aus Stahlbeton sowie konstruktivem Stahl- und Holzbau trägt nun das Gebäude.

Das hochmoderne Wasserbaulabor in Wien stellte den Spezialtiefbau vor Herausforderungen. Foto: Boku/Christoph Gruber

Das hochmoderne Wasserbaulabor in Wien stellte den Spezialtiefbau vor Herausforderungen.

Foto: Boku/Christoph Gruber

Das Wasserbaulabor der Universität für Bodenkultur Wien ist einzigartig: Hier können praxisorientierte Modellversuche im Originalmaßstab (1:1) durchgeführt werden. Die Wasserspiegeldifferenz von drei Metern zwischen Donaukanal und Donau nutzend, ermöglicht das Labor umfassende Forschungsarbeiten. Herzstück des Labors ist der unter dem Wasserspiegel liegende „Main Channel“, durch den ohne Pumpen bis zu 10.000 Liter Donauwasser pro Sekunde geleitet werden können.

Eine Herausforderung an die Planung stellte auch der Spezialtiefbau des teilweise unterirdischen Labors dar. Ein hochkomplexes System aus Stahlbeton sowie konstruktivem Stahl- und Holzbau trägt das Gebäude. Über energieaktivierte Bohrpfähle und die Betonkernaktivierung in den Schlitzwänden wird über das Tragwerk Erdwärme für Heizung und Kühlung genutzt.

Naturnahe Bedingungen

Nach gewonnenem Wettbewerb (2016) wurden ATP architekten ingenieure, Wien, in ARGE mit iC Consulenten (Haustechnik und Stahlwasserbau) mit der BIM-unterstützten Integralen Planung dieses Projektes beauftragt. „Normalerweise planen wir Häuser so, dass kein Wasser eindringen kann. Beim Wasserbaulabor haben wir alles dafür getan, dass fast ein ganzer Fluss durch das Gebäude geleitet werden kann. Dadurch schaffen wir naturnahe Bedingungen in einem Labor“, so ATP-Architektin und BIM-Managerin Ursula Reiner über das Alleinstellungsmerkmal des Forschungslabors.

Gegliedertes Labor

Funktional gliedert sich das Wasserbaulabor in verschiedene Ebenen:

  • Auf der ersten Hauptebene im 2. Untergeschoss befindet sich der Main Channel, der direkt mit dem bereits bestehenden Forschungsgerinne verbunden ist, das als Zulauf dient. In dieser Halle wird das Donauwasser durch – die eigens dafür errichteten – Versuchsaufbauten geleitet.
  • Auf der zweiten Hauptebene im 2. Obergeschoss ist mit dem River Lab eine weitere Versuchshalle angesiedelt. Ebenso befindet sich hier die hauseigene Holz- und Metallwerkstatt. Der Halle vorgelagert ist das Public Lab und der Hörsaal.
  • Im Osten des Gebäudes befindet sich auf vier Geschossen (Erdgeschoss bis 3. Obergeschoss) der moderne Büro- und Verwaltungstrakt.
  • Technikräume, wie die Pumpstube, der Wasserkraftversuchsstand und der Tiefbehälter befinden sich im 3. Untergeschoss.

Durchfluss der Donau

Der Main Channel im 2. Untergeschoss ist 90 Meter lang, 25 Meter breit und 14 Meter hoch. Durch geschickte Nutzung der herrschenden Wasserspiegel-Differenz zwischen Donau und Donaukanal ist es möglich, Wasser aus der Donau zu entnehmen und es mit einem Durchfluss von 10 000 Litern pro Sekunde durch entsprechende Versuchsrinnen dem Donaukanal wieder zuzuführen – und das ohne zu pumpen. Im Main Channel können so Versuchsaufbauten in Original-Dimensionen durchgeführt werden. „Die gigantische Forschungshalle darf man sich nicht wie ein steriles Labor vorstellen, vielmehr handelt es sich um einen Bauhof, der – je nach Versuch – komplett umgebaut wird. Beispielsweise können sogar Staumauern oder ganze Flussabschnitte maßstabsgetreu modelliert werden“, so Reiner.

Hallen mit hohen Lasten

Das Gebäude besteht grundsätzlich aus zwei übereinanderliegenden und stützenfreien Hallen mit einem komplexen Tragwerkssystem aus Stahlbeton sowie konstruktivem Stahlbau (Stahlfachwerksträger und Stahlkonstruktionen) und konstruktivem Holzbau (Pult- und Satteldach). Eine doppelt gekreuzte Struktur aus gekreuzten Holzleimbindern überspannt die 25 Meter breite Halle im 2. Obergeschoss, während 3-Gurtträger die Decke über der darunterliegenden Halle tragen, bei Nutzlasten von 20 kN/m2 bis 40 kN/m2. Die dafür erforderlichen Stahlfachwerkträger mussten extra in der Nacht angeliefert werden. Die spektakuläre Tragstruktur bleibt auch nach Fertigstellung des Gebäudes in den beiden übereinanderliegenden Hallen sichtbar.

Mehr zu …

Lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Bauingenieur 11|2023 (Inhalt 11|2023: Der Bauingenieur im November 2023) mehr über das Thema Spezialtiefbau.

Empfehlung der Redaktion – das könnte Sie auch interessieren:

  1. Inhalt 11|2023: Der Bauingenieur im November 2023
  2. Nichts mehr verpassen: Hier geht‘s zur Anmeldung für den Bauingenieur-Newsletter…
Von ATP architekten ingenieure / Heike van Ooyen