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Baumaterialen neu entwickeln 12.09.2020, 10:09 Uhr

Robuste Baustoffe aus Chitin

Eine interdisziplinäre Forschungsgruppe der Universität Stuttgart will einen Prozess entwickeln, um aus Chitin Werkstoffe für das Bauwesen zu gewinnen. Für sie sind die Vorteile von Chitin spannend - robust, biegsam und hydrophob sind gefragte Eigenschaften für Baustoffe.

Eine interdisziplinäre Forschergruppe der Universität Stuttgart will Chitin als Baustoff nutzen. Foto: panthermedia.net/Fernando López-Caamal

Eine interdisziplinäre Forschergruppe der Universität Stuttgart will Chitin als Baustoff nutzen.

Foto: panthermedia.net/Fernando López-Caamal

Robust und biegsam, diesen Vorteil haben die Exoskelette von Insekten und Spinnen. Das Polymer Chitin ist der Grund für diese Eigenschaften. Eigenschaften, die für Baustoffe interessant sind. Das hat auch die Forschungsgruppe um Prof. Sabine Laschat an der Universität Stuttgart erkannt. Die Forscherinnen und Forscher aus unterschiedlichen Instituten der Universität möchten in einem wasser-basierten Prozess aus Chitin und seinen Derivaten einen Werkstoff entwickeln. Er soll für Spezialanwendungen im Bauwesen geeignet sein und dabei unterstützen, den Energieverbrauch nachhaltig zu senken. Im Rahmen der Förderlinie Perspektiven unterstützt die Carl-Zeiss-Stiftung dieses Vorhaben mit rund zwei Millionen Euro.

In der Natur ist das Polymer Chitin weit verbreitet. Es besitzt mechanische und optische Eigenschaften, die die Forscher gerne technische nutzbar machen möchten. Baustoffe, die auf Chitin basieren, sind interessant, da sie im Gegensatz zu Cellulose-basierten Materialien hydrophob sind. Das heißt, sie können kein Wasser aufnehmen, was sie resistent gegen Schimmel macht. Neben dieser wasserabweisenden Funktion können sie durch eine chemische Modifikation feuerfest werden. Zudem sind Chitin-basierte Werkstoffe robust und können kompostiert werden.

Chitin zum Baustoff modifizieren

Die Forschung um die Nutzbarmachung dieser Eigenschaften steht jedoch noch am Anfang. Chitin lässt sich bisher nur unter Schwierigkeiten in einer Lösung modifizieren. Hier setzt das Forschungsprojekt „Chitinfluid – Chitin als Ressource für multifunktionale Werkstoffe via wasser-basierter komplexer Fluide“ an. Das Ziel der Forscherinnen und Forscher ist eine einfach wasserbasierte Prozessierung von Chitin und seinen Derivaten, um hieraus intelligente Werkstoffen zu entwickeln. Die Werkstoffe sollen dann bei Spezialanwendungen im Bauwesen zum Einsatz kommen. Sie sollen Energie- und Ressourcenverbrauch positiv beeinflussen und die hohe CO2-Emissionen eindämmen. Zudem besteht die Möglichkeit, dass Chitin-haltige Hybridwerkstoffe als photonische Materialen zum Einsatz kommen oder als Ersatz von Carbonfasern bei Faserverbundwerkstoffen genutzt werden können.

Über mehrere Schritte untersucht die Forschergruppe, wie die technische Nutzung von Chitin durch dessen Überführung auf einer Nanoskala aber als fluide prozessierbare Form möglich ist. Zu Beginn nutzen die Forscherinnen und Forscher Mikroorganismen, mit deren Hilfe sie den Rohstoff Chitin umprogrammieren. Dadurch wird es möglich, modifizierte Zucker-Monomere in die wachsende Polymerkette einzubauen. Somit sind maßgeschneiderte Chitin-Copolymere erzeugt, deren Eigenschaften die Forschenden strukturell und mechanisch verändern können. Über komplexe Fluide, wie kolloidaler Chitin-Lösungen, lyotrop flüssigkristalline Lösungen oder Hydrogele sollen dann die Chitin-Derivate prozessierbar werden. Darauf folgt bei den entstehenden komplexen Fluiden entweder kontrollierter Wasserentzug, Mineralisation oder Zugabe von Treibmitteln. Dann können sie zu festen Schäumen, Verbundwerkstoffen oder Beschichtungen verarbeitet werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht eine einstellbare Biegesteifigkeit, wodurch sie für die additive Fertigung geeignet sind. Ist dieser Prozess erfolgreich, können erste Prototypen von Baumaterialien und Komponenten entstehen.

Das Forschungsteam besteht aus sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich interdisziplinär aus sechs Instituten der Universität Stuttgart zusammensetzen:

  • Prof. Sabine Laschat (Sprecherin, Institut für Organische Chemie): Chemoenzymatische Synthese organischer Funktionsmoleküle (ionische Flüssigkristalle, Kohlenhydrate)
  • Prof. Hanaa Dahy (Materialprüfungsanstalt, MPA): Baumaterialien, Komponentenentwicklung, Nachhaltigkeit
  • Prof. Harald Garrecht (Institut für Werkstoffe im Bauwesen & MPA): Werkstoffe im Bauwesen, Spezialbetone
  • Prof. Frank Giesselmann (Institut für Physikalische Chemie, IPC): Soft Matter, Lyotrope Flüssigkristalle
  • Dr. Thomas Sottmann (IPC): Komplexe Fluide, Herstellung poröser biobasierter Materialien
  • Dr. Linus Stegbauer (Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie, IGVP): Chemie bioinspirierter Strukturmaterialien
  • Prof. Ingrid Weiss (Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme): Chitin-Biosynthese & Biomodifikation.

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