Rätsel um die Ausdehnung des Universums gelöst?
Neue Webb-Daten lösen das Hubble-Problem: Messungen der Expansionsrate des Universums bestätigen das Standardmodell.

Wissenschaftler haben anhand der Daten, die das leistungsstarke neue James-Webb-Weltraumteleskop von mehreren Galaxien aufgenommen hat, eine neue Berechnung der Geschwindigkeit vorgenommen, mit der sich das Universum ausdehnt. Oben ist Webbs Bild einer solchen Galaxie zu sehen, die als NGC 1365 bekannt ist.
Foto: NASA, ESA, CSA, Janice Lee (NOIRLab), Alyssa Pagan (STScI)
Lange rätselten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über widersprüchliche Werte zur Expansionsrate des Universums – ein Phänomen, das als „Hubble-Spannung“ bekannt ist. Neue präzise Messungen mit dem James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) deuten nun darauf hin: Die Hubble-Konstante liegt zwischen bisherigen Werten und könnte das kosmologische Standardmodell (ΛCDM) stabilisieren. Drei unabhängige Methoden sowie Infrarotmessungen an roten Riesen- und Kohlenstoffsternen lieferten konsistente Resultate. Damit könnten sich viele bislang vermutete systematische Fehler als Hauptursache der Diskrepanz entpuppen.
Neue Perspektiven auf ein altes Problem
Seit Jahrzehnten versuchen Kosmologinnen und Kosmologen eine scheinbar einfache Frage zu beantworten: Wie schnell dehnt sich das Universum aus? Doch je nachdem, ob man in die Vergangenheit oder Gegenwart blickt, ergeben sich unterschiedliche Werte für die sogenannte Hubble-Konstante (H₀).
Diese Unstimmigkeit – bekannt als „Hubble-Spannung“ – stellte das etablierte kosmologische Modell infrage. Lokale Messungen mit Supernovae und dem Hubble-Weltraumteleskop lieferten Werte von rund 73 km/s/Megaparsec. Frühzeitliche Beobachtungen, etwa mit dem Planck-Satelliten, ergaben hingegen etwa 67,4 km/s/Megaparsec.
Nun hat das James-Webb-Teleskop, kurz JWST, neue Daten geliefert. Sie deuten darauf hin, dass sich die gegensätzlichen Werte einander annähern – ohne dass das kosmologische Modell angepasst werden muss.
Wie misst man die Ausdehnung des Universums?
Zwei grundlegend verschiedene Methoden stehen zur Verfügung:
- Frühzeitliche Messung: Analyse der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung – dem „Nachleuchten“ des Urknalls.
- Lokale Messung: Beobachtung der aktuellen Expansionsrate in der näheren Umgebung, etwa durch Supernovae und Standardkerzen.
Letztere Methode gilt als komplizierter. Sie erfordert eine präzise Bestimmung von Entfernungen über viele Millionen Lichtjahre hinweg – eine technische und theoretische Herausforderung.
Webb-Teleskop bringt neue Genauigkeit
Seit 2021 liefert das James-Webb-Weltraumteleskop deutlich präzisere Daten als sein Vorgänger Hubble. Mit rund viermal höherer Auflösung und zehnfacher Lichtempfindlichkeit erlaubt es die Beobachtung einzelner Sterne in weit entfernten Galaxien – auch bei hohem Staubanteil.
„Wir sehen wirklich, wie hilfreich das James-Webb-Weltraumteleskop für die genaue Messung von Entfernungen zu Galaxien ist“, erklärte Taylor Hoyt vom Lawrence Berkeley Laboratory.
Damit wurde eine zentrale Schwachstelle der bisherigen Messungen adressiert: die Verfälschung durch interstellaren Staub und das sogenannte „Crowding“, bei dem Sternenlicht überlagert erscheint.
Drei Methoden, ein Ergebnis
Im Fokus der neuen Studie steht das Chicago-Carnegie Hubble Program (CCHP) unter Leitung von Wendy Freedman. Das Team nutzte drei unabhängige Verfahren:
- TRGB-Methode (Tip of the Red Giant Branch): Erkennt den plötzlichen Helligkeitssprung alter roter Riesensterne.
- JAGB-Methode (J-band Asymptotic Giant Branch): Nutzt die konstante Leuchtkraft bestimmter Kohlenstoffsterne im nahen Infrarot.
- Cepheiden-Analyse: Klassische Methode mit pulsierenden Sternen, deren Helligkeit direkt mit ihrer Pulsfrequenz verknüpft ist.
Jede dieser Methoden wurde auf dieselben zehn Galaxien angewendet – alle mit dokumentierten Supernovae des Typs Ia. Die Kalibrierung erfolgte über die Galaxie NGC 4258, deren Entfernung mithilfe von Wasser-Megamasern äußerst genau bestimmt wurde.
Ergebnis: Die Hubble-Spannung schrumpft
Das Resultat: Ein Mittelwert der Hubble-Konstante von 70,4 km/s/Mpc – mit einer Unsicherheit von unter 3 %. Damit liegt der neue Wert zwischen den früheren Extremen und reduziert die Spannungen deutlich.
H₀ = 70,4 ± 1,22 (stat.) ± 1,33 (sys.) ± 0,70 km/s/Mpc
Weitere Einzelwerte zeigen ebenfalls eine klare Annäherung:
- TRGB + JWST: 68,81 ± 1,79 km/s/Mpc
- JAGB + JWST: 67,80 ± 2,17 km/s/Mpc
Alle drei Methoden stimmen im Mittel auf unter 1 % überein.
Kein Bruch mit dem Standardmodell
„Diese neuen Beweise deuten darauf hin, dass unser Standardmodell des Universums Bestand hat“, sagte Wendy Freedman. Damit ist die Theorie vom sogenannten ΛCDM-Modell (Lambda Cold Dark Matter) weiterhin tragfähig – ohne dass neue Hypothesen über exotische Teilchen oder veränderte Gravitation notwendig wären.
Bisherige Abweichungen ließen sich wohl hauptsächlich durch systematische Fehler erklären: Staub, Metallgehalt, Kalibrierungsfehler bei Supernovae oder ungeeignete Standardkerzen.
Ausblick: Der Coma-Cluster als nächstes Ziel
Die Ergebnisse sind kein Endpunkt, sondern markieren einen neuen Startpunkt für die Kosmologie. Bereits im nächsten Jahr soll das JWST den Coma-Galaxienhaufen ins Visier nehmen. Ziel: Die Hubble-Konstante direkt zu messen – ohne den Umweg über Supernovae.
„Ich bin optimistisch, dass wir dieses Rätsel in den nächsten Jahren lösen können, da wir die Genauigkeit dieser Messungen weiter verbessern“, so Freedman.
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