Vor Merz–Macron-Gipfel: Tech-Elite fordert radikalen Kurswechsel
Start-ups und Industrie erhöhen vor dem Merz–Macron-Gipfel den Druck: Europa brauche einheitliche Regeln, schnellere Verfahren und bessere digitale Infrastruktur.
Verena Pausder fordert vor dem Merz–Macron-Gipfel einheitliche Regeln und mehr Tempo, damit europäische Start-ups im globalen Technologiewettbewerb bestehen können.
Foto: picture alliance / SZ Photo | Robert Haas
Einen Tag vor dem Gipfel zur Europäischen Digitalen Souveränität in Berlin erhöhen europäische Techverbände, Start-ups und Industrie ihren Druck auf die Politik. Sie verlangen einheitliche Regeln in der EU, schnellere Verfahren für neue Technologien und bessere Bedingungen für Wachstum. Kanzler Friedrich Merz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sollen aus Sicht der Verbände klare Entscheidungen treffen, um die Wettbewerbsfähigkeit Europas im globalen Technologiemarkt zu sichern.
Forderung nach klaren Rahmenbedingungen
Der deutsche Startup-Verband und Partnerorganisationen aus mehreren EU-Ländern fordern, Hemmnisse im europäischen Binnenmarkt abzubauen. Verbandschefin Verena Pausder betont: „Europa muss lernen, seine besten Ideen gemeinsam groß zu machen – über Grenzen hinweg.“
Damit verbunden ist die Erwartung, dass die EU mehr Kapital für europäische Technologien mobilisiert und Start-ups einen einheitlichen Rechtsrahmen erhalten. Viele junge Unternehmen scheitern heute an 27 unterschiedlichen nationalen Vorgaben, die Expansionen erschweren.
Fokus des Gipfels: Digitale Souveränität
Beim Berliner Gipfel geht es um technologische Unabhängigkeit, Cloud-Infrastrukturen, KI-Entwicklung und die Rolle europäischer Unternehmen im globalen Wettbewerb. Hintergrund ist der starke Kapital- und Technologiezuwachs großer US-Konzerne, die massiv in KI, Chips und Rechenzentren investieren.
Europa steht dagegen vor der Frage, wie sensible Unternehmensdaten geschützt und gleichzeitig leistungsfähige digitale Dienste aufgebaut werden können – ohne Abhängigkeit von außereuropäischen Cloud-Anbietern.
Industrie warnt vor technologischen Rückständen
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert einen strategischen Neustart. BDI-Präsident Peter Leibinger sagt: Europa sei bei künstlicher Intelligenz (KI), Mikroelektronik sowie bei Lösungen für Cybersicherheit und die digitale Infrastruktur technologisch abhängig.
Leibinger erwartet, dass die Politik klare Schwerpunkte setzt und bestehende Schwächen gezielt adressiert. Europa solle nicht auf Abschottung setzen, sondern auf technologische Handlungsfähigkeit und die Möglichkeit, Partnerschaften selbst zu bestimmen.
Kritik an „Überregulierung“
Schnellere Genehmigungen und weniger komplexe Vorschriften stehen ebenfalls auf der Forderungsliste. Laut BDI-Präsident behindern lange Verfahren und parallel laufende nationale Vorgaben innovative Projekte im Bereich Daten und KI. Die Industrie signalisiert Investitionsbereitschaft, sieht aber politischen Handlungsbedarf, um Blockaden zu lösen.
Uneinheitliche Regeln als Wachstumsbremse
Die Techverbände kritisieren die Fragmentierung des europäischen Marktes besonders deutlich. In ihrem Papier heißt es, dass ein gemeinsamer europäischer Kapitalmarkt nötig sei, um Wachstum zu ermöglichen. Heute existieren viele Start-ups nebeneinander, wachsen jedoch selten zu Technologieunternehmen mit globaler Schlagkraft.
Der bestehende Regulierungsrahmen schaffe laut Verbänden hohe Markteintrittsbarrieren. Pausder fasst dies so zusammen: „27 Gesellschaftsrechtsformen, 35 Börsen, 200 Handelsplätze – das ist kein Binnenmarkt, das ist ein Flickenteppich.“
Gleichzeitig betonen die Verbände, dass europäische Gesetze wie der Digital Markets Act und der Digital Services Act nicht geschwächt werden sollen. Stattdessen sollen Vereinheitlichung und Klarheit geschaffen werden.
Was die Tech-Elite konkret fordert
Hinter den politischen Schlagworten stehen relativ konkrete Forderungen, die sich so zusammenfassen lassen:
- Einheitliche europäische Rechtsform für Start-ups
Damit Unternehmen einfacher in allen EU-Staaten wachsen können, ohne ihre Struktur in jedem Land umbauen zu müssen. - Erleichterte grenzüberschreitende Fusionen und Investitionen
Damit aus vielen kleinen „Hidden Champions“ einige echte europäische Tech-Schwergewichte werden können. - Priorisierung europäischer Lösungen bei öffentlichen Ausschreibungen
Behörden sollen bei Hard- und Software europäische Angebote bevorzugen dürfen, ohne sich gleich dem Vorwurf der Protektion ausgesetzt zu sehen. - Schnellere Genehmigungen und weniger bürokratische Doppelstrukturen
Gerade bei KI- und Datenprojekten wünschen sich Unternehmen klarere Verfahren und kürzere Wege.
Dabei betonen die Verbände, dass bestehende Errungenschaften wie der Digital Services Act (DSA) und der Digital Markets Act (DMA) nicht aufgeweicht werden sollen. Es geht ihnen eher darum, Innovation und Regulierung besser auszubalancieren, statt neue Hürden aufzustellen.
Bevorzugung europäischer Lösungen
Ein weiterer Vorschlag betrifft die öffentliche Beschaffung. Behörden sollen bei Ausschreibungen digitale Produkte aus Europa bevorzugen dürfen. Dadurch sollen europäische Unternehmen gestärkt und Abhängigkeiten von außereuropäischen Anbietern reduziert werden.
Für Techunternehmen, Ingenieurinnen und Ingenieure sowie und Start-ups geht es um zentrale Standortfragen: Zugang zu Kapital, verlässliche Regulierung, skalierbare Geschäftsmodelle und der Aufbau eigener digitaler Infrastruktur. Ob der Gipfel konkrete Schritte liefert, hängt von den Entscheidungen der politischen Führung ab. Die Erwartungen aus der Branche sind klar: weniger Fragmentierung, mehr Geschwindigkeit und eine strategische Ausrichtung europäischer Digitalpolitik. (mit dpa)
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