Zwei Signale, ein Rätsel: Schwarze Löcher drehen durch
Gegen die Bahn rotierend und extrem schnell: Zwei Gravitationswellenfälle stellen Entstehungsmodelle Schwarzer Löcher auf die Probe.
Das Universum spielt verrückt: Zwei Schwarze Löcher brechen alle Regeln der Physik
Foto: Binary Black Hole Merger Carl Knox, OzGrav, Swinburne University of Technology
Im Oktober und November 2024 haben Gravitationswellendetektoren gleich zweimal gezuckt – und zwar so, dass selbst erfahrene Astrophysikerinnen und -physiker zweimal hinschauen mussten. Zwei Verschmelzungen Schwarzer Löcher zeigen Eigenschaften, die so noch nie beobachtet wurden. In einem Fall rotiert das größere Objekt so schnell, dass es an die Grenzen der Physik stößt. Im anderen dreht es sich einfach in die falsche Richtung.
Die internationale LIGO-Virgo-KAGRA-Kollaboration berichtet nun in The Astrophysical Journal Letters über diese beiden Ereignisse. Was sie zeigen, stellt gleich mehrere Theorien zur Entstehung von Schwarzen Löchern auf den Prüfstand – und liefert ganz nebenbei neue Tests für Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie.
Inhaltsverzeichnis
Gravitationswellen – Musik des Universums
Gravitationswellen sind winzige Kräusel in der Raumzeit, die entstehen, wenn massive Objekte miteinander kollidieren. Sie sind so schwach, dass sie selbst beim Durchgang durch die Erde kaum messbar sind – und doch verraten sie erstaunlich viel. Aus dem charakteristischen „Klang“ dieser Wellen rekonstruieren Forschende Masse, Entfernung und sogar die Drehung der Schwarzen Löcher – den sogenannten Spin.
Mit ausgeklügelten Algorithmen gelingt es, aus den Messdaten physikalische Eigenschaften herauszufiltern, die sonst für immer verborgen blieben. Und genau hier wird es spannend: Die beiden jüngsten Signale – GW241011 und GW241110 – verhalten sich so ungewöhnlich, dass sie als „Regelbrecher“ unter den bisher rund 300 bekannten Ereignissen gelten.
GW241011 – das Schwarze Loch mit Drehwurm
Am 11. Oktober 2024 registrierten die Detektoren ein Signal aus etwa 700 Millionen Lichtjahren Entfernung. Zwei Schwarze Löcher mit rund 17 und 7 Sonnenmassen stürzten ineinander. Dabei entstand eines der am schnellsten rotierenden Schwarzen Löcher, das jemals gemessen wurde.
Die Rotation hinterlässt eine Art Fingerabdruck im Gravitationswellensignal, der sich mit der sogenannten Kerr-Lösung vergleichen lässt – einem Modell, das beschreibt, wie rotierende Schwarze Löcher Raum und Zeit verformen. Das Ergebnis: Die Theorie stimmt erstaunlich gut. Einsteins Relativität übersteht also auch diesen extremen Test.
Weil die beiden Partner unterschiedlich schwer waren, zeigte das Signal zusätzliche „Obertöne“, vergleichbar mit den Klangfarben eines Musikinstruments. Zum dritten Mal überhaupt konnten Forschende solche feinen Harmonischen klar nachweisen – ein weiteres Indiz dafür, dass Einsteins Theorie erstaunlich robust ist.
GW241110 – gegen den Strom des Universums
Nur einen Monat später, am 10. November 2024, folgte das nächste Rätsel: Zwei Schwarze Löcher mit 16 und 8 Sonnenmassen verschmolzen in etwa 2,4 Milliarden Lichtjahren Entfernung. Doch diesmal drehte sich das größere Loch entgegen seiner Umlaufrichtung.
So etwas hatten Astronominnen und Astronomen noch nie direkt beobachtet. Normalerweise rotieren Schwarze Löcher in derselben Richtung wie ihre Bahnbewegung. Der Befund legt nahe, dass diese Objekte nicht zusammen entstanden, sondern sich erst später begegneten – vermutlich in dicht gepackten Sternhaufen, wo Kollisionen häufiger vorkommen.
Zweite Generation Schwarzer Löcher
Beide Ereignisse zeigen Merkmale, die zu sogenannten „zweiten Generationen“ passen. Dabei handelt es sich um Schwarze Löcher, die selbst aus früheren Verschmelzungen hervorgegangen sind. In dichten kosmischen Regionen wie Kugelsternhaufen kann dieser Prozess mehrfach ablaufen – ein chaotisches Rendezvous aus Gravitation und Zufall.
Forschende nennen das „hierarchische Verschmelzung“. Das erklärt nicht nur die hohen Spins, sondern auch die ungleichen Massen der beteiligten Objekte. Einige Schwarze Löcher scheinen also echte Serientäter zu sein – immer auf der Suche nach neuen Partnern.
Einsteins Theorie auf dem Prüfstand
Neben diesen astrophysikalischen Erkenntnissen diente das Ereignis GW241011 auch als Präzisionstest für die Allgemeine Relativitätstheorie. Die exakten Messungen bestätigten Einsteins Vorhersagen mit bisher unerreichter Genauigkeit.
Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt: Schnell rotierende Schwarze Löcher sind ein ideales Labor für die Teilchenphysik. Einige Theorien sagen ultraleichte Bosonen voraus – hypothetische Teilchen, die Schwarzen Löchern Energie entziehen könnten. Dass GW241011 auch Milliarden Jahre nach seiner Entstehung noch rasant rotiert, schließt eine große Spanne dieser Teilchenmassen aus.
Ein kosmisches Gemeinschaftsprojekt
„Jede neue Entdeckung liefert wichtige Erkenntnisse über das Universum und erinnert uns daran, dass jede beobachtete Verschmelzung sowohl eine astrophysikalische Entdeckung als auch ein unschätzbares Labor zur Erforschung der grundlegenden Gesetze der Physik ist“, sagt Carl-Johan Haster von der University of Nevada.
Sein Kollege Stephen Fairhurst von der Cardiff University betont: „Da beide Ereignisse ein Schwarzes Loch aufweisen, das deutlich massereicher als das andere ist und sich schnell dreht, liefern sie spannende Hinweise darauf, dass diese Schwarzen Löcher aus früheren Verschmelzungen entstanden sind.“
Und Francesco Pannarale aus Rom ergänzt: „Die Detektion und Untersuchung dieser beiden Ereignisse zeigen, wie wichtig es ist, unsere Detektoren gemeinsam zu betreiben und ihre Empfindlichkeit weiter zu verbessern.“
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