Versteckte Ordnung im Chaos: Das Geheimnis des Weltraumeises
Neue Studie zeigt: Weltraumeis ist nicht völlig ungeordnet. Es enthält winzige Kristalle – mit Folgen für Raumfahrt und Ursprung des Lebens.
Visuelle Darstellung der Struktur von amorphem Eis mit geringer Dichte. Viele winzige Kristallite (weiß) sind in dem amorphen Material (blau) verborgen.
Foto: Michael B Davies, UCL and University of Cambridge. Creative Commons BY-NC-SA 4.0 (deutsch)
Im All ist Wasser meist nicht flüssig, sondern liegt als Eis vor. Auf Kometen, Monden oder in interstellaren Staubwolken bildet es einen wesentlichen Bestandteil kosmischer Materie. Lange Zeit gingen Wissenschaftler*innen davon aus, dass dieses Eis völlig ungeordnet ist – sogenanntes amorphes Eis. Doch eine neue Untersuchung bringt diese Annahme ins Wanken. Forschende des University College London (UCL) und der Universität Cambridge fanden heraus: Das sogenannte Weltraumeis ist nicht so chaotisch, wie es scheint.
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Kristalle statt Chaos
Die Studie untersuchte eine besonders häufige Form des interstellaren Eises – das sogenannte amorphe Eis mit geringer Dichte. Es entsteht unter extrem kalten Bedingungen, etwa bei -110 °C oder tiefer. Jahrzehntelang hielten Fachleute diese Form für völlig strukturlos. Schließlich fehlt bei diesen Temperaturen die nötige Energie, um Kristalle auszubilden. Doch genau das stellen die aktuellen Ergebnisse infrage.
In ihren Simulationen und Laborversuchen entdeckten die Forschenden winzige Kristalle im Eis. Diese waren nur rund drei Nanometer groß – das ist etwa die Breite eines DNA-Strangs. Trotz ihrer geringen Größe reichen sie aus, um die innere Struktur des Eises zu verändern.
Dr. Michael B. Davies, Hauptautor der Studie, sagt dazu: „Wir haben jetzt eine gute Vorstellung davon, wie die häufigste Form von Eis im Universum auf atomarer Ebene aussieht.“
Zwei Wege zum gleichen Ergebnis
Das Team ging dabei zweigleisig vor. Zum einen nutzte es Computermodelle, um Wassermoleküle bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten auf -120 °C herunterzukühlen. Je langsamer die Abkühlung, desto höher der Kristallanteil. Besonders realitätsnah waren Modelle mit etwa 20 % Kristallen und 80 % amorphem Eis – ähnlich dem, was auch in früheren Experimenten beobachtet wurde.
Im zweiten Schritt stellten die Forschenden echtes Eis im Labor her – durch Abscheidung von Wasserdampf auf extrem kalten Oberflächen oder durch vorsichtige Erwärmung verdichteten Eises. Auch hier zeigte sich: Die Kristallstruktur hängt davon ab, wie das Eis entstanden ist. War es vollständig ungeordnet, blieb nach dem Erwärmen keine erkennbare Struktur zurück. Doch die Proben wiesen teils geordnete Bereiche auf – ein Hinweis auf enthaltene Kristalle.
Eis als kosmischer Transporter?
Die neuen Erkenntnisse werfen auch ein anderes Licht auf eine alte Theorie: Panspermie. Demnach könnten die Bausteine des Lebens – etwa Aminosäuren – mit Eiskometen auf die Erde gelangt sein. Bisher galt amorphes Eis mit geringer Dichte als ideales Trägermaterial. Es sollte porös genug sein, um solche Moleküle einzuschließen.
Dr. Davies merkt nun an: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass dieses Eis als Transportmaterial für diese Moleküle, aus denen das Leben entstanden ist, weniger gut geeignet wäre.“
Denn Kristallstrukturen bieten weniger Platz für organische Substanzen. Dennoch bleibt ein Funken Hoffnung für die Theorie. In den amorphen Bereichen könnten sich weiterhin lebenswichtige Moleküle verbergen.
Rückblick auf die Geschichte des amorphen Eises
Amorphes Eis wurde erstmals in den 1930er Jahren beschrieben. Damals kondensierten Forschende Wasserdampf auf kaltem Metall – und erzeugten dabei die Version mit geringer Dichte. In den 1980er Jahren entdeckte man auch eine hochverdichtete Form: Sie entsteht, wenn man herkömmliches Eis extrem komprimiert. Beide Versionen galten als vollkommen ungeordnet.
Doch 2023 wies dasselbe Team erstmals eine mitteldichte Variante nach – mit ähnlicher Dichte wie flüssiges Wasser. Damit wäre es weder schwerer noch leichter als das, was wir aus dem Wasserhahn kennen. Diese Entdeckung fachte das Interesse an der Struktur von Weltraumeis erneut an.
Bedeutung für Technik und Raumfahrt
Die Erkenntnisse zur Kristallstruktur haben nicht nur kosmologische Bedeutung. Sie betreffen auch die Materialwissenschaft. Professor Christoph Salzmann von der UCL erklärt: „Unsere Ergebnisse werfen auch Fragen zu amorphen Materialien im Allgemeinen auf.“
Er nennt Glasfasern als Beispiel. Diese bestehen aus ungeordnetem Material, weil sie nur so Daten effektiv transportieren. Würde man versteckte Kristalle gezielt entfernen, ließe sich ihre Leistung womöglich verbessern.
Und auch für die Raumfahrt könnte die Erkenntnis relevant werden. Eis schützt vor Strahlung – oder liefert Treibstoff, wenn es in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. Voraussetzung: Man versteht seine Eigenschaften genau.
Offene Fragen und der Blick nach vorn
Die Studie wirft weitere Fragen auf: Wie unterschiedlich groß können die Kristalle im Eis sein? Hängt ihre Größe von der Entstehungsweise ab? Gibt es überhaupt reines amorphes Eis?
Professor Angelos Michaelides von der Universität Cambridge fasst es so zusammen:
„Wasser ist die Grundlage des Lebens, aber wir verstehen es noch immer nicht vollständig. Amorphes Eis könnte der Schlüssel zur Erklärung einiger der vielen Anomalien des Wassers sein.“
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