James Webb Entdeckung 18.09.2025, 09:55 Uhr

Forscherin: „Supermassive Schwarze Löcher im Baby-Stadium“

Das James-Webb-Teleskop hat rote Punkte gefunden, die die Astronomie vor Rätsel stellen. Anfangs hat man sie für Sterne gehalten, stattdessen könnten sie frühe Versionen der heutigen Galaxien sein.

Im James-Webb-Teleskop tauchen rote Punkte auf, die die Astronomen und Astronominnen weltweit faszinieren. Foto: T. Müller/A. de Graaff/Max Planck Institute for Astronomy, <a href="https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de" target="_blank" rel="noopener noreferrer">
  CC BY-NC-ND 4.0 (deutsch)
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Im James-Webb-Teleskop tauchen rote Punkte auf, die die Astronomen und Astronominnen weltweit faszinieren.

Foto: T. Müller/A. de Graaff/Max Planck Institute for Astronomy, CC BY-NC-ND 4.0 (deutsch)

ingenieur.de: Frau de Graaff, Sie durften für Ihre Forschung das James-Webb-Teleskop der Nasa benutzen. Was haben Sie sich angeschaut?

Anna de Graaff: Auf den Bildern des Teleskops sind immer wieder kleine rote Punkte aufgetaucht. Viele haben sich gefragt, was diese Punkte sind. Mich eingeschlossen. Also habe ich sie mir im Detail angesehen. Sie sind zwischen 12 Mrd. und 13 Mrd. Jahren alt und haben seltsame Eigenschaften.

Welche Eigenschaften?

Sie emittieren Licht nur in einem kleinen Teil des elektromagnetischen Spektrums: im Infraroten. Deshalb sind sie auch für riesige Galaxien gehalten worden. Es steht außer Frage, dass es sich um riesige Objekte handelt, weil sie so viel Licht emittieren. Einige meiner Kollegen und Kolleginnen dachten, sie hätten es mit einer großen Anzahl Sterne zu tun, zusammengepfercht auf kleinem Raum. Aber wenn das Sterne sein sollen, dann müssten sie so dicht gepackt sein wie im Zentrum der Milchstraße – nur dass das System 1000-mal so groß ist. Das scheint nahezu unmöglich. Nicht zuletzt deshalb, weil das Universum für Galaxien dieser Größe noch ein bisschen zu jung war.

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Warum erinnern die roten Punkte an Sterne?

Galaxien und ältere Sterne leuchten in einem ähnlichen Rot – auch unsere Sonne tut das.

Kein Stern und kein normales Schwarzes Loch

Sie glauben scheinbar nicht, dass die roten Punkte Galaxien sind. Was sind sie dann?

Eine neue Klasse von Objekten, die wir Schwarzloch-Sterne nennen. Wir meinen damit, dass ein großes Schwarzes Loch von grob 1 Mio. Sonnenmassen von sehr viel sehr dichtem Wasserstoffgas umgeben ist. Auf den ersten Blick scheint das widersinnig, weil Schwarze Löcher nahezu entlang des gesamten elektromagnetischen Spektrums emittieren: Röntgen, Infrarot, Radio. Bei den roten Punkten haben wir aber nicht die Spur von Radio- oder Röntgenstrahlung gefunden. Das lässt sich allerdings mit den Eigenschaften des umgebenden dichten Wasserstoffs erklären: Das Gas absorbiert jede Strahlung unterhalb einer bestimmten Wellenlänge; nur rotes Licht kann entkommen. Das Gas ist so dicht, dass es die Objekte undurchsichtig macht.

Was hat Sie überzeugt, dass Sie wirklich eine neue Klasse von Objekten beobachtet haben?

Wir haben ein Objekt gefunden, dass die Eigenschaften der roten Punkte in extremer Weise zeigt. Es gibt kaum UV-Strahlung und fast nicht anderes. Außer rot. Im roten Bereich schießen die Emissionen derart in die Höhe, dass wir das Objekt „the Cliff“ getauft haben (Anm. d. Red.: die Klippe). Wir haben uns das Objekt mit dem Nirspec-Spektrografen angesehen, mit einem der Instrumente des James-Webb-Teleskops. Wir können nun die meisten Theorien ausschließen. Die roten Punkte sind keine Sterne, auch keine Galaxien und auch keine Schwarzen Löcher, wie wir sie heute kennen. Damit blieb nicht mehr viel übrig. Das war die Geburt der Schwarzloch-Stern-Hypothese.

Was macht die roten Punkte rot?

Wir sehen großen Mengen Wasserstoff, das auf etwa 5000 K aufgeheizt ist. Das ist leicht kälter als auf der Oberfläche der Sonne, aber vergleichbar warm. Hierher kommt die Analogie zu den Sternen im Begriff Schwarzloch-Stern.

Wo kommt die Hitze her?

Die Schwarzen Löcher haben außen sogenannte Akkretionsscheiben, Wolken wirbelnden Gases, die ins Zentrum stürzen. Während das Gas seine potenzielle Energie verliert – es fällt schließlich immerzu –, wird aber nicht das gesamte Gas ins Schwarze Loch gesogen. Ein bedeutender Anteil der Energie wird nach außen abgestrahlt – und heizt die Akkretionsscheibe und ihre Umgebung auf.

Der Ursprung unserer heutigen Galaxien?

Könnten rote Punkte noch heute entstehen? Oder sind sie die „Kinder ihrer Zeit“?

Sie zeigen eine leichte Varianz, aber die meisten roten Punkte haben sich gebildet, als das Universum 1 Mrd. Jahre alt war. Zu diesem frühen Zeitpunkt war das Universum eben sehr dicht. Unter perfekten Bedingungen könnten sich noch heute rote Punkte bilden, aber selten. Sie sind die Kinder ihrer Zeit.

Was ist aus ihnen geworden?

Das ist die entscheidende Frage, die die Astronomie beschäftigt. Es gibt eine Hypothese, die ich für glaubhaft halte, wenn nicht sogar wahrscheinlich: Die roten Punkte sind supermassive Schwarze Löcher im Babystadium. Diese bilden den Kern der heutigen Galaxien. Das bedeutet: Aus den roten Punkten könnten die großen Galaxien der Gegenwart hervorgegangen sein.

James Webb hat bereits mehrfach Objekte entdeckt, die älter sind, als sie sein sollten, und deshalb die gängige Theorie, wie das Universum entstanden ist, infrage stellen. Stehen auch die roten Punkte im Widerspruch mit unserer bisherigen Kosmologie?

Anfangs ging man ja davon aus, dass es sich um Sterne handelt, was einen klaren Widerspruch bedeutet hätte: Wo hätten so früh so viele Sterne herkommen sollen? Wenn man sie aber als Schwarzloch-Sterne interpretiert, besteht kein Widerspruch; wir haben schon größere Schwarze Löcher ähnlichen Alters gefunden. Die Bedeutung der roten Punkte liegt darin, dass sie erklären könnten, wie supermassive Schwarze Löcher entstehen konnten. Außerdem wachsen sie vermutlich schneller, als wir für möglich gehalten haben.

Warum die roten Punkte zu schnell wachsen

Wie meinen Sie das?

Ihre Wachstumsrate überschreitet wahrscheinlich das sogenannte Eddington-Limit, das als maximale Wachstumsrate für Schwarze Löcher gilt.

Wenn das Eddington-Limit überschritten werden kann, dann ist es offenbar gar kein Limit …

Die Astronomie sucht seit Jahren nach einer Antwort auf die Frage, wie einige Schwarze Löcher so schnell so groß werden konnten. Es gibt zwei Theorien. Erstens könnte es von Anfang an Schwarzloch-Keimzellen gegeben haben, aber woher die kommen könnten, ist noch nicht erforscht. Zweitens könnte es eben Objekte geben, die in ihrem Wachstum das Eddington-Limit überschreiten. Ich glaube, dass die roten Punkte solche Objekte sind. Wenn wir irgendwann demonstrieren könnten, dass Objekte das Eddington-Limit wirklich ausgehebelt haben, wäre das ein großer Fund.

Was ist eigentlich das Eddington-Limit?

Wenn Materie in den Zentralkörper stürzt, in das Schwarze Loch, wird ein Teil der Energie abgestrahlt. Die Gravitation zieht also nach innen und die Strahlung drückt nach außen. An einem bestimmten Punkt befinden sich beide im Gleichgewicht …

… so wie bei unserer Sonne, die immer gleich groß bleibt.

Genau, wir nennen das „hydrostatisches Gleichgewicht“. Und genau das ist das Eddington-Limit. Wenn bestimmte komplexe Geometrien vorliegen, kann es überschritten werden, aber jetzt verlassen wir mein Fachgebiet (lacht).

Warum glauben Sie denn daran, dass die roten Punkte besonders schnell wachsen?

Unseren Modellen zufolge ist bei solchen Wachstumsraten die Emission im Röntgenbereich sehr schwach. Und die Abwesenheit von Röntgenstrahlung ist bei den roten Punkten besonders auffällig.

Eine andere Erklärung dafür haben Sie aber vorhin selbst gegeben: Die Wasserstoffwolken könnten die Röntgenstrahlung absorbieren.

Stimmt. Es gibt mehrere Erklärungen, das dichte Gas ist eine davon. Ich kann mir also noch nicht sicher sein.

Was ist Ihr nächster Forschungsgegenstand?

Es gibt zwei. Erstens will ich Statistik betreiben. Welchen Anteil der Galaxien machen die roten Punkte aus? Wir wollen uns immer jüngere Ausschnitte des Himmels ansehen und hoffen daraus zu folgern, wie sich die roten Punkte mit der Zeit entwickelt haben. Dann könnten wir sagen, ob sie wirklich supermassive Schwarze Löcher im Babystadium sind. Zweitens möchte ich genauer hinschauen. Ich möchte in einige rote Punkte hineinzoomen – James Webb könnte das – und herausfinden, wie sie aufgebaut sind, aus welchen Schichten sie bestehen. Ich werde den roten Punkten also noch eine Weile erhalten bleiben.

Ein Beitrag von:

  • Iestyn Hartbrich

    Iestyn Hartbrich ist Ingenieur und Journalist mit den Schwerpunkten Werkstoffe, Stahlindustrie, Raumfahrt und Luftfahrt.

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