War der Rote Planet länger feucht? 25.11.2025, 10:30 Uhr

Mars-Rätsel: Kontroverse Studien zur Bewohnbarkeit

War der Mars zur Wüste verdammt? Neue Daten deuten auf kurze Warmphasen hin, andere auf langlebiges Grundwasser im Gale-Krater. Die Kontroverse.

Gale Krater auf dem Mars

Neues Mars-Rätsel: Studien widersprechen sich, ob der Planet kurz oder lange bewohnbar war. Lag das Leben in geschützten Wasser-Refugien im Untergrund?

Foto: picture alliance / dpa/ NASA/JPL-Caltech/University of Arizona

Zwei aktuelle Studien liefern gegensätzliche Antworten auf die vielleicht wichtigste Frage der Mars-Forschung: Hatte der Rote Planet eine lange, lebensfreundliche Vergangenheit, oder war er die meiste Zeit über eine lebensfeindliche Wüste? Die Ergebnisse von Juli und November 2025 stellen die bisherigen Annahmen auf den Prüfstand und befeuern eine Kontroverse über die geologische Geschichte unseres Nachbarn.

Hypothese 1: Der Mars macht sich selbst zur Wüste

Über Milliarden von Jahren hinweg präsentiert sich der Mars heute als trockener, kalter Wüstenplanet. Die dünne Atmosphäre besteht hauptsächlich aus Kohlendioxid (CO2​), und die Durchschnittstemperatur liegt bei eisigen –63 °C. Dennoch zeigen die Oberflächenstrukturen eindeutige Spuren von einst fließendem Wasser: ausgetrocknete Flusstäler, Seenbetten und Erosionsrinnen. Offensichtlich war der Mars in seiner Jugend deutlich wärmer und feuchter. Doch warum kühlte der Planet ab und verlor seine lebensfreundlichen Bedingungen?

Eine Forschungsgruppe um Edwin Kite von der University of Chicago legt in ihrer aktuellen Veröffentlichung aus dem Juli 2025 eine Erklärung vor, die den Mars als einen Planeten beschreibt, der sich selbst zur Wüste verdammt hat. Ihr zentrales Ergebnis: Der Mars war nie dauerhaft bewohnbar.

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Geochemische Einbahnstraße ohne Vulkane

Kite und sein Team nutzten ein komplexes Modell, um die Entwicklung des Marsklimas über Milliarden Jahre zu simulieren. Die Daten flossen unter anderem von Messungen des NASA-Rovers Curiosity in den Gale-Krater ein. Die Forschenden schlussfolgern, dass Warmphasen auf dem Mars die Ausnahme waren und nicht die Regel. Kite spricht von einer „Selbstregulierung zur Wüste“.

Der Grund dafür liegt in einem fundamentalen Ungleichgewicht im Kohlenstoffkreislauf. Auf der Erde hält ein komplexes Zusammenspiel von Atmosphäre, Ozeanen, Gestein und Vulkanismus die Temperatur stabil. Durch Vulkanausbrüche gelangt CO2​ als wichtiges Treibhausgas regelmäßig in die Atmosphäre zurück. Gleichzeitig binden chemische Prozesse das Gas langfristig in Gesteinen. Auf dem Mars funktionierte diese Rückkopplung nicht.

Die Forschenden vermuten, dass eine leicht erhöhte Sonnenhelligkeit oder eine Änderung der Mars-Achsenneigung kurzfristig Warmphasen auslöste. Das geschmolzene Wasser startete dann jedoch geochemische Reaktionen, bei denen das atmosphärische CO2​ in Form von Karbonaten im Gestein fest gebunden wurde. Auf dem Mars fehlt seit langer Zeit aktiver Vulkanismus, der diesen gebundenen Kohlenstoff wieder freisetzen könnte. Der Effekt war ein schneller, ungebremster Treibhausgas-Verlust und damit ein rapider Rückfall in den kalten, trockenen Zustand.

Das Grab der Atmosphäre

Für diese Hypothese lieferte der Curiosity-Rover am Mount Sharp im Gale-Krater ein wichtiges Indiz: die Entdeckung von karbonatreichen Gesteinen. Diese Minerale entstehen nur, wenn CO2​ aus der Luft chemisch in festes Material eingebunden wird.

Lange Zeit suchte die Wissenschaft nach der Antwort auf die Frage, wohin die einstige dichte CO2​-Atmosphäre verschwand, die flüssiges Wasser erst ermöglicht hatte. Kite fasste die Situation zusammen: „Die Menschen haben jahrelang nach einem Grab für die Atmosphäre gesucht.“ Die Karbonate im Gestein scheinen dieses Grab zu sein.

Die Implikation für mögliches Leben ist weitreichend. Die Modelle des Teams legen nahe, dass die Warmphasen zu selten und zu kurz waren, um eine dauerhafte Etablierung von Leben zu ermöglichen. Kite dazu: „Unsere Modelle deuten darauf hin, dass Perioden der Bewohnbarkeit auf dem Mars eher die Ausnahme als die Regel waren.“ Er fügt hinzu: „Eine 100 Millionen Jahre lange Unterbrechung der Bewohnbarkeit ist schlecht für das Leben.“

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Der Mars – Fakten zum roten Nachbarn

• Durchmesser: 6.779 km (etwa halb so groß wie die Erde)
• Atmosphäre: sehr dünn, hauptsächlich CO₂
• Durchschnittstemperatur: –63 °C
• Vorkommen von Wasser: als Eis, in der Vergangenheit auch flüssig
• Vulkanismus: heute inaktiv (z. B. Olympus Mons, größter Vulkan im Sonnensystem)

 

Hypothese 2: Wasser im Untergrund als späte Oase

Die Ergebnisse aus Chicago stehen in einem klaren Gegensatz zu einer weiteren bedeutenden Veröffentlichung vom November 2025. Hier legt ein Team der New York University Abu Dhabi (NYUAD) unter der Leitung der Astrophysikerin Dimitra Atri Daten vor, die auf einen länger bewohnbaren Mars hindeuten.

Die Forschenden konzentrierten sich ebenfalls auf den Gale-Krater mit seinem zentralen Berg, dem informell Mount Sharp genannten Aeolis Mons. Im Zentrum der Analyse standen geologische Strukturen in den Sanddünen des Kraters.

Verstecktes Grundwasser unter den Dünen

Mittels hochauflösender Daten des Curiosity-Rovers und der Untersuchung von vergleichbaren Gesteinsstrukturen (Erdanaloga) in Wüstengebieten der Vereinigten Arabischen Emirate kam das Team zu einem anderen Ergebnis.

Sie fanden heraus, dass sich die uralten Dünen des Gale-Kraters nur langsam, über Milliarden von Jahren, verfestigten. Dies geschah, weil wiederholt unterirdisches Wasser durch feine Risse in das Sediment einsickerte. Dieses Grundwasser durchfeuchtete den Sand von unten und lagerte Minerale wie Gips ab. Gips ist auf der Erde ein typisches Anzeichen für frühere Wasseraktivität in trockenen Regionen.

Das Wasser zirkelte noch lange im Untergrund

Dimitra Atri und ihr Kollege Vignesh Krishnamoorthy leiten daraus ab: Selbst nachdem die großen Seen und Flüsse auf der Marsoberfläche verschwunden waren, zirkulierte im Untergrund weiterhin Wasser. Diese grundwasserähnlichen Systeme bildeten geschützte Umgebungen, sogenannte Refugien, in denen mikroskopisches Leben hätte überdauern können.

Atri fasst diese Erkenntnis wie folgt zusammen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Mars nicht einfach von nass zu trocken wurde. Selbst nachdem seine Seen und Flüsse verschwunden waren, bewegten sich weiterhin kleine Mengen Wasser im Untergrund und schufen geschützte Umgebungen, die mikroskopisches Leben hätten unterstützen können.“

Implikation für die Suche nach Leben

Die Existenz solcher langlebiger Rückzugsräume im Untergrund widerspricht der Vorstellung eines schnellen, endgültigen Übergangs in eine trockene Wüste. Wenn Wasser – und damit möglicherweise Leben – über lange Zeiträume im Untergrund existierte, verschiebt sich der Fokus der astrobiologischen Forschung.

Die von Wasser durchdrungenen Gesteinsschichten des Gale-Kraters werden zu attraktiven Zielen für zukünftige Missionen, die gezielt nach biochemischen Spuren suchen sollen. Minerale wie Gips oder Karbonate können organisches Material über geologische Zeiträume konservieren und einschließen.

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Kontroverse im Fokus: Kurze Episoden versus späte Refugien

Die beiden Studien präsentieren eine spannungsgeladene Kontroverse. Auf der einen Seite steht das Modell der kurzen Bewohnbarkeitsepisoden (Kite et al., Juli 2025). Hier ist der Mars ein Paradebeispiel für einen Planeten, der durch einen geologischen Defekt (das Fehlen aktiven Vulkanismus und Plattentektonik) die Grundlage für ein stabiles Klima verlor. Das warme, flüssige Wasser, das Leben hätte entstehen lassen können, wurde selbst zum Katalysator für die Austrocknung, indem es CO2​ im Gestein band.

Auf der anderen Seite steht der Befund der späten, unterirdischen Wasservorkommen (Atri et al., November 2025). Diese Arbeit spricht nicht gegen die prinzipielle Austrocknung der Oberfläche. Aber sie liefert einen Hinweis darauf, dass die lebensfreundlichen Bedingungen nicht abrupt endeten. Vielmehr könnten sie in lokale, geschützte Nischen im Untergrund verlagert worden sein. Diese Refugien hätten dem Leben – sofern es entstanden ist – deutlich längere Überlebenszeiten ermöglicht.

Ergebnisse nicht vollständig unvereinbar

Die Ergebnisse sind nicht vollständig unvereinbar, aber sie betonen unterschiedliche Aspekte der Mars-Geschichte. Die Kite-Studie erklärt das makroskopische Schicksal des gesamten Planeten: den Verlust der dichten Atmosphäre und der globalen Stabilität. Die Atri-Studie hingegen zeigt die Möglichkeit von mikroskopischen, regionalen „Taschen“ der Bewohnbarkeit, die sich über einen viel längeren Zeitraum halten konnten, selbst in einem global feindlichen Klima.

Der Schlüssel zur Auflösung dieses Konflikts liegt in der weiteren Analyse der Karbonate. Die Arbeit von Edwin Kite verdeutlicht, dass die Karbonatbildung ein negativer Rückkopplungsmechanismus war, der den Planeten abkühlte. Die Erkenntnisse von Dimitra Atri bieten jedoch die Möglichkeit, dass diese Karbonate auch in einer späteren Phase durch das Grundwasser in Sanddünen eingelagert wurden und somit nicht nur Zeugen der Atmosphäre, sondern auch Konservierungsstätten für organisches Material sein könnten.

Benjamin Tutolo von der University of Calgary ordnet die Wichtigkeit dieser Forschung ein und unterstreicht die Notwendigkeit weiterer mineralogischer Untersuchungen: „Die chemischen und mineralogischen Messungen, die sie liefern, sind wirklich unerlässlich für unser fortwährendes Bestreben, zu verstehen, wie und warum Planeten bewohnbar bleiben, um nach anderen bewohnbaren Welten im Universum zu suchen.“

 

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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