Testfehler enttarnt 26.07.2025, 08:51 Uhr

Wie neue Simulationen Rover-Pannen auf Mars und Mond verhindern sollen

Warum Weltraumrover-Tests auf der Erde oft irreführen – und wie Simulationen das Problem mit Sand und Schwerkraft lösen können.

Weltraumrover im Sand

Neue Simulationen zeigen, warum Weltraumrover im Sand stecken bleiben – und was bei den Tests übersehen wurde.

Foto: Joel Hallberg / UW–Madison

Ein Forschungsteam der University of Wisconsin–Madison hat gezeigt, warum Rover im All häufig stecken bleiben. Bisherige Tests auf der Erde unterschätzen die Wirkung der Schwerkraft auf den Untergrund. Neue Simulationen berücksichtigen auch diese Effekte – und könnten die Planung zukünftiger Mond- und Marsmissionen erheblich verbessern. Die Forschung könnte aber auch in andere Bereiche außerhalb der Raumfahrt Anwendung finden, zum Beispiel in der Automobilbranche oder der Robotik.

Rover im Sand: Warum sie immer wieder stecken bleiben

Wenn ein Rover auf dem Mond oder Mars plötzlich nicht mehr weiterkommt, wird die Mission zur Geduldsprobe. So wie 2009 beim Marsrover Spirit. Damals blieb das Fahrzeug in weichem Boden stecken – und konnte sich trotz aller Rettungsversuche nicht mehr befreien. Was auf der Erde schnell zu beheben wäre, wird im All zur echten Herausforderung.

Um solche Situationen zu vermeiden, testen Ingenieur*innen Rover auf der Erde – meist in Sand, Kies oder speziellen Boden-Simulanten. Doch wie realistisch sind diese Tests wirklich? Ein Forschungsteam der University of Wisconsin–Madison (UW) hat jetzt nachgewiesen: Die klassische Testmethode unterschätzt einen entscheidenden Faktor – die Wirkung der Erdanziehung auf das Gelände selbst.

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Das Team um Maschinenbauprofessor Dan Negrut zeigt in einer aktuellen Studie, dass herkömmliche Versuche mit reduzierter Rover-Masse oder Aufhängungssystemen ein verzerrtes Bild liefern. Denn sie simulieren zwar die Schwerkraftwirkung auf das Fahrzeug – nicht aber auf den Boden darunter.

Der Irrtum mit der Schwerkraft

Seit Jahrzehnten gilt ein scheinbar einfacher Trick: Um die geringere Schwerkraft auf Mond oder Mars zu simulieren, reduzieren Testteams einfach die Masse des Rovers. Ein Rover für den Mond wiegt im Versuch oft nur ein Sechstel seines eigentlichen Gewichts. Man testet dann, wie er sich durch Sand oder über felsiges Gelände bewegt – und zieht Rückschlüsse auf das Verhalten unter extraterrestrischen Bedingungen.

Doch genau hier liegt der Denkfehler: Zwar wird das Fahrzeug leichter, doch der Boden bleibt gleich. Die Schwerkraft wirkt auf jedes Sandkorn weiterhin mit irdischer Stärke. Das hat gravierende Folgen für die Bodenreaktion: „Auf der Erde ist Sand fester und tragfähiger“, erklärt Negrut. „Die Wahrscheinlichkeit ist geringer, dass er sich unter den Rädern verschiebt.“

Anders sieht es im All aus. Auf dem Mond beispielsweise ist die Schwerkraft sechsmal schwächer. Dadurch wirkt sie nicht nur weniger auf den Rover – sondern auch auf das Gelände. Die Oberfläche ist dort lockerer, der Sand fließt leichter weg, das Risiko fürs Steckenbleiben steigt.

Simulation statt Sandkasten

Um das Problem zu lösen, haben Negrut und sein Team einen neuen Weg eingeschlagen. Statt aufwendiger Versuche mit physischen Rover-Modellen setzen sie auf realitätsnahe Simulationen. Mit der Software Chrono, einer Open-Source-Plattform für physikalische Modellierung, simulieren sie das Verhalten ganzer Rover in Originalgröße – inklusive komplexer Wechselwirkungen mit dem Boden.

Diese Methode basiert auf einem sogenannten Continuous Representation Model (CRM). Es bildet nicht nur die Bewegung des Fahrzeugs ab, sondern auch, wie sich der Boden dabei verformt, verschiebt oder abträgt. Grundlage ist das sogenannte Smoothed Particle Hydrodynamics-Verfahren (SPH). Es erlaubt, körniges Material wie Sand als dynamischen Körper zu simulieren – nicht als starre Fläche.

„Im Nachhinein ist die Idee einfach: Wir müssen nicht nur die Anziehungskraft auf den Rover berücksichtigen, sondern auch die Auswirkungen der Schwerkraft auf den Sand“, sagt Negrut.

Validierung mit NASA-Rover

Getestet haben die Forschenden ihre Methode am Beispiel des NASA-Rovers VIPER. Dieses Fahrzeug soll in Zukunft nach Wassereis am Südpol des Mondes suchen. Für die Studie wurden zwei Szenarien simuliert: Einzelradversuche mit unterschiedlichem Schlupf und Rovertests am Hang mit steigender Steigung.

Parallel dazu wurden dieselben Tests im NASA-eigenen SLOPE Lab durchgeführt – mit echten Roverteilen und speziellen Boden-Simulanten wie GRC-1. Das Ergebnis: Die Simulationen zeigten ein nahezu identisches Verhalten. Besonders auffällig: Auch unter Mondbedingungen blieben die Resultate konsistent. Die virtuelle Umgebung bildet die Realität also erstaunlich genau ab.

Damit entlarvt die Studie ein verbreitetes Missverständnis: Wer allein auf Masse- oder Aufhängungstricks setzt, ignoriert die Dynamik des Bodens – und riskiert Fehleinschätzungen mit teuren Folgen.

Wie Simulation und Realität zusammenfinden

Ein zentrales Element der Simulation ist das CRM-Modell – ein mathematisches Verfahren, das den Boden nicht als starre Struktur behandelt, sondern als sogenanntes elastoplastisches Kontinuum. Was kompliziert klingt, beschreibt letztlich ein realistisches Verhalten: Der Boden verformt sich, verschiebt sich, verliert Material – ganz so, wie es auch auf dem Mond oder Mars der Fall wäre.

Um diese Prozesse exakt nachzubilden, setzt das Team auf das SPH-Verfahren. Dabei wird die Bodenstruktur in viele einzelne Partikel zerlegt. Diese „Teilchen“ reagieren auf Druck, Reibung und Gewicht, tauschen Kräfte aus und bewegen sich entsprechend. Die Bewegungen des Rovers werden dabei nicht einfach in einem Rechenzentrum simuliert, sondern in einem geteilten System: Die Fahrdynamik läuft auf der CPU, die Bodensimulation auf der GPU – also der Grafikeinheit, die besonders für parallele Prozesse geeignet ist.

Die Schnittstelle zwischen Rad und Boden ist dabei technisch gesehen ein kleiner Kunstgriff: Spezielle Partikel, sogenannte Boundary-Condition-Enforcing-Elemente, sind fest mit den Rädern verbunden. Sie vermitteln den Kontakt mit den frei beweglichen Bodenpartikeln. So lassen sich Kräfte und Reibung realitätsnah berechnen – ein großer Unterschied zu älteren Modellen, die Boden oft nur als glatte Fläche mit einheitlichem Widerstand behandeln.

Warum physische Tests in die Irre führen können

Die neue Studie, an der neben der UW auch das MIT und NASA-Partner beteiligt sind, stellt die gängige Testpraxis infrage. Denn bislang verlassen sich Raumfahrtagenturen oft auf empirische Tests mit reduzierter Masse, Kompensationsaufhängungen und künstlichem Sand. Doch diese Herangehensweise hat Schwächen.

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So reagieren zum Beispiel Boden-Simulanten wie GRC-1 oder GRC-3 unter Erdschwerkraft deutlich anders als unter den Bedingungen auf dem Mond. Durch die stärkere Gewichtskraft auf der Erde erhöht sich die sogenannte Scherfestigkeit des Bodens – er wird fester, lässt sich weniger leicht verdrängen. In der Praxis bedeutet das: Ein Rover, der auf der Erde mühelos über ein Testfeld rollt, könnte auf dem Mond tief im Sand versinken.

Ein weiteres Problem: Die bisherigen Tests benötigen aufwendige Bevameter-Versuche. Dabei wird gemessen, wie stark ein Rad den Boden verformt und welche Kräfte dabei entstehen. Diese Daten sind notwendig, um Vorhersagen über die Mobilität zu treffen – und müssen für jedes neue Gelände oder jede Roverkonstruktion erneut erhoben werden. Das ist teuer, zeitaufwendig und mit vielen Unbekannten verbunden.

Neue Standards dank skalierbarer Simulationen

Hier setzt die neue Methodik an. Anstatt reale Tests mühselig anzupassen, lässt sich die Simulation einfach konfigurieren. Mithilfe sogenannter Granularer Skalengesetze (Granular Scaling Laws) können Forschende sicherstellen, dass ihre Ergebnisse auch bei unterschiedlichen Gravitationsbedingungen übertragbar bleiben.

Diese Gesetze beschreiben zum Beispiel, wie sich das Verhältnis von Massenträgheit zu Reibung ändert – eine entscheidende Größe für die Fahrdynamik. Stimmen diese Kennzahlen überein, lässt sich ein Roververhalten auf dem Mond mit einem einfachen Rechenmodell aus den Ergebnissen auf der Erde ableiten – oder direkt simulieren.

„Der Clou ist: Wir können die Gravitation im Modell mit einer Codezeile ändern“, erklärt Dan Negrut. „Das macht die Methode nicht nur genauer, sondern auch schneller und flexibler.“

Das hat auch praktische Vorteile: Ingenieur*innen können so verschiedene Szenarien durchspielen – etwa, wie sich ein Rover auf einer Steigung verhält, wenn sich der Boden plötzlich verflüssigt oder wenn die Antriebsleistung schwankt. Selbst Einsätze auf Asteroiden mit extrem geringer Schwerkraft lassen sich zuverlässig simulieren – etwas, das mit physikalischen Tests kaum möglich wäre.

Relevanz über die Raumfahrt hinaus

Auch außerhalb der NASA findet die neue Methodik Anklang. Die Chrono-Software, auf der die CRM-Simulation basiert, ist frei verfügbar und wird bereits in vielen Bereichen eingesetzt. Von der Automobilbranche über die Robotik bis hin zum Militär – überall dort, wo Fahrzeuge im unwegsamen Gelände agieren, helfen die Simulationen dabei, Risiken zu bewerten und Designs zu optimieren.

„Wir hatten in den letzten zehn Jahren das Glück, Unterstützung von der National Science Foundation, dem U.S. Army Research Office und der NASA zu erhalten“, sagt Negrut. „Diese Finanzierung hat wirklich einen Unterschied gemacht, da wir niemandem Gebühren für die Nutzung unserer Software berechnen.“

Gerade weil Chrono Open Source ist, entwickeln Negrut und sein Team ihre Software laufend weiter. „Alle unsere Ideen sind öffentlich zugänglich und können von der Konkurrenz schnell übernommen werden“, sagt er. „Das treibt uns an, immer besser zu werden.“

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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