Rotating Detonation: Porträt eines monströsen Raketenantriebs
Triebwerksbauer versuchten jahrzehntelang, Detonationen in der Brennkammer zu vermeiden. Heute wollen sie sie gezielt herbeiführen – und immer im Kreis herumjagen lassen. Porträt eines monströsen Raketenantriebs.
Pionierarbeit: An der Purdue University wird seit den 1960er-Jahren an Rotating-Detonation-Antrieben geforscht, u.a. mit dem Brennstoff Kerosin (Bild).
Foto: Purdue University
Ein letzter Blick, ob auch wirklich beide Sicherheitstüren geschlossen sind. Jetzt beginnt Alastair Bruce den Countdown. „3, 2, 1 … Zündung!“
Dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Eine orange-rote Flamme blitzt auf dem Monitor von Bruce auf. Im Labor hinter den dicken Türen schwillt ein heiseres Kreischen rasch an und endet nach etwa einer halben Sekunde abrupt. Die innere Sicherheitstür bebt in ihrem Rahmen. Als würde ein Monster versuchen, aus dem Labor zu entkommen.
Ein Monster ist es nicht, das da an der Tür rüttelt, nur eine ziemlich monströse Verbrennungstechnologie. Ganz sicher ist die Zeit noch nicht reif, dass diese das Labor verlässt. Ein Team um den Doktoranden Bruce und seinen Professor Myles Bohon fährt im Forschungsprojekt H2POWRD eine Messkampagne mit verschieden langen Brennkammern.
Grundlagenforschung im Energielabor der TU Berlin. Mal ertönt zu Bohons Freude ein schöner glatter Pfiff, mal kreischt es unmusikalisch. Immer ist nach einer halben Sekunde Schluss. „Wir halten es kurz, um unsere kostbaren Drucksensoren zu schonen“, sagt Bohon.

Experimentelle Grundlagenforschung: Der Doktorand Alastair Bruce testet am Rotating-Detonation-Demonstrator der TU Berlin Brennkammern unterschiedlicher Längen. Die Tests sind auf 0,5 s Brenndauer beschränkt.
Foto: Tim Stockhausen
Inhaltsverzeichnis
- Der Hype um Rotating Detonation hat begonnen
- Darum sind Rotating-Detonation-Antriebe überlegen
- Kleiner und leichter
- Premierenflug in Warschau
- Was Nasa und DLR mit der Technik vorhaben
- Warum sich der Aerospike anbietet
- Was in der Brennkammer geschieht
- Einsatzfelder auf dem Mond und am Mars
- Lange Liste an Problemen
Der Hype um Rotating Detonation hat begonnen
„Rotating Detonation“ heißt das Verbrennungsprinzip (dt. rotierende Detonation), das es bislang nicht zu großer Reife gebracht hat – nicht in Berlin und auch nirgends sonst. Aber so groß die Schwierigkeiten sind, so groß sind auch die erwarteten Effizienzzugewinne.
Und so beschäftigen sich weltweit die Labore mit Rotating Detonation Combustion (RDC). An der japanischen Nagoya-Universität zum Beispiel und bei Japans Weltraumagentur Jaxa. In der Nasa und an der Purdue University in Michigan.
Beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Lampoldshausen, wo sich Europas große Triebwerkteststände befinden. Und in Warschau, am Łukasiewicz-Luftfahrtinstitut. Hinzu kommt eine für ausländische Beobachter unüberschaubare Zahl an Gruppen in Russland und China. Rotating Detonation ist ein Hype-Thema geworden, in der Raumfahrt, der Luftfahrt und der Energiebranche.
Darum sind Rotating-Detonation-Antriebe überlegen
Den Schlüssel zum Verständnis liefert die Thermodynamik. Je höher der Druck, bei dem eine Verbrennung geschieht, desto geringer ist die Entropieproduktion. Und weil Entropie unerwünscht ist, soll der Druck möglichst hoch sein.
Maximal hoch ist der Druck in einer Detonationswelle. Diese breitet sich – anders als die Flammenfront in einer konventionellen Verbrennung – mit Überschallgeschwindigkeit aus. Zum Vergleich: In einem gewöhnlichen Raketentriebwerk – der Lavaldüse – bewegt sich die Flammenfront mit Geschwindigkeiten von wenigen Metern pro Sekunde vorwärts. Detonationswellen sind mit 1 km/s und mehr unterwegs.
Kleiner und leichter
Vereinfacht gesagt: Bei der RDC rast eine Schockwelle wie eine Walze in den Brennstoff und verdichtet ihn. Sie verrührt ihn mit roher Gewalt mit dem Oxidator (Raketentreibstoffe bestehen in der Regel aus zwei Komponenten) und sorgt kurz hinter der Detonationsfront bei hohen Drücken für eine effiziente Verbrennung. Jan Deeken, Triebwerksexperte in der DLR-Einrichtung Raumfahrtantriebe, sagt über die Vorteile: „Hohe Effizienz, kompakte Bauweise.“
Die Purdue University in Michigan kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass der Vinci-Antrieb der Ariane-6-Oberstufe rund 40 % kürzer sein könnte, wenn das Rotating-Detonation-Prinzip genutzt würde. Aufgrund der rasend schnellen Verbrennung könne die Brennkammer kleiner gebaut werden.
„Raketenbauer wie SpaceX und Blue Origin interessieren sich schon allein wegen dieser Längenreduktion für die Technik. Wenn wir den Schub ähnlich hoch halten können, und die Startmasse verringern, reicht das schon aus“, sagt der Studienautor und emeritierte Purdue-Professor Stephen Heister.
Manch einer bescheinigt der detonativen Verbrennung Effizienzzugewinne von 20 % und mehr. Heister hält 3 % bis 10 % für möglich – immer noch enorm viel. Wie gut die RDC wirklich ist, lässt sich erst dann seriös abschätzen, wenn jemand einen Antrieb mit der nötigen technologischen Reife erprobt hat. Und das wird wohl noch eine Weile dauern.
Premierenflug in Warschau
Dass Detonationswellen wünschenswerte Eigenschaften haben, hat der sowjetische Physiker Jakow Borissowitsch Seldowitsch bereits in der 1940er-Jahren entdeckt. Anfangs war die detonative Verbrennung aber reine Theorie. Später, zum Beispiel in der Entwicklung des F1-Antriebs für die US-amerikanische Mondrakete Saturn, hatten die Entwickler erstmals in der Praxis damit zu tun.
Allerdings wollten sie Detonationen nicht nutzen, sondern vermeiden. Auf den Testständen der 1960er-Jahre ist manch ein Raketentriebwerk der rohen Kraft einer verirrten Schockwelle zum Opfer gefallen.
Die USA forschten seit den 1960er-Jahren an Rotating Detonation Engines (RDEs). Mit der Entscheidung, das Spaceshuttle mit anderen Antrieben auszustatten, verloren sie allerdings das Interesse. Das änderte sich erst Anfang der 2000er-Jahre, als die Militärforschungseinrichtung Darpa das Vulcan-Projekt finanzierte. Russische Teams forschen seit den 1990er-Jahren unablässig an der Technik und gelten als weltweit führend.
Die ersten Versuche, das Detonationsprinzip im Flug zu nutzen, führten zu Abzügen in der B-Note. Ein Long-EZ-Flugzeug des Herstellers Scaled Composites wurde vom US-Militär mit vier langen „Auspuffen“ versehen. Als hätte ein Klempner sich in einem Sportflugzeug verewigt. In jedem Rohr wurden gepulste Detonationen erzeugt, immer wieder neu, mit einer Frequenz von 80 Hz.
Eine RDC ist der Versuch, das Detonationsprinzip in einen kontinuierlichen Verbrennungsprozess zu überführen, bei dem die Schockwelle – einmal erzeugt – in einer ringförmigen Brennkammer immer im Kreis jagt.
Die erste Zündung im Flug verbuchte ein japanisches Team der Universität Nagoya und der Weltraumagentur Jaxa erst im Jahr 2021. Im Betrieb der RDE stellte sich heraus, dass sich die Rakete durch die rotierende Detonationswelle langsam in die andere Richtung dreht. Bei realen Missionen müssen also Drallräder der künstlich induzierten Drehung entgegenarbeiten.
Die Weltpremiere – ein Raketenstart ohne jeglichen Hilfsantrieb – gelang dann wenige Wochen später einem polnischen Team vom Łukasiewicz-Luftfahrtinstitut in Warschau. Die Rakete verbrannte den Brennstoff Propan (C3H8) mit dem Oxidator Distickstoffmonoxid (N2O), flog – wie geplant – 3 s lang störungsfrei und lieferte wertvolle Daten.
„Wir haben gelernt, dass wir einen sehr kleinen Antrieb mit einer sehr guten Performance bauen können“, sagt Michal Kawalec, der als Projektleiter für den Bau der Rakete verantwortlich war. „Die Geschwindigkeit der Detonationswelle kam sehr nah an den theoretischen Wert heran. Und das ist immer ein Zeichen für einen stabilen Prozess.“

Erststart: Auf einem Militärgelände bei Warschau hob im September 2021 erstmals ein Rotating-Detonation-Antrieb aus eigener Kraft vom Boden ab.
Foto: Łukasiewicz – Institute of Aviation
Was Nasa und DLR mit der Technik vorhaben
Die Nasa testete 2023 einen Demonstrator im 1:1-Maßstab. Der Antrieb mit einem maximalen Schub von 26 kN brannte 251 s lang; ein Schublevel von 18 kN wurde über 1 min aufrechterhalten. Als Nächstes will die Nasa eine kleine RDE im Weltraum zünden: Juno.
Beim DLR in Lampoldshausen sind größere Investitionen ab 2028 vorgesehen. Das Fernziel: Am Teststand soll dort ein Antrieb in der Größenordnung von 30 kN gezündet werden. Dieser entspräche dem Triebwerk für ein Mondlandemodul oder für die Oberstufe einer kleinen Rakete – drei Unternehmen entwickeln in Deutschland derzeit diese sogenannten Microlauncher.
Nicht zufällig nimmt das Interesse an RDEs aktuell spürbar zu. Das liegt nicht nur an der US-Förderung, sondern auch an Fortschritten in der Messtechnik und in der Numerik. „Noch vor 25 Jahren waren wir weder in der Lage, die Vorgänge in der Brennkammer vernünftig zu messen, noch sie zu simulieren“, sagt der Purdue-Forscher Stephen Heister.
Warum sich der Aerospike anbietet
Wie Pech und Schwefel passen die RDE und der Aerospike zueinander. Das ist ein zweites Antriebskonzept, das lange erforscht und ebenso lange nicht beherrscht worden ist. Ein Aerospike ist ein Dorn, der zentral in die Brennkammer montiert wird. Auch hier ist also der Querschnitt ringförmig.
Aerospikes sind theoretisch effizienter als klassische Triebwerke, die stets für einen bestimmten Umgebungsdruck optimiert sind. Beim Raketenstart schnürt der Schubstrahl des klassischen Antriebs ein, weil der Umgebungsdruck größer ist als der Druck beim Austritt aus der Düse. Und im Vakuum fächert er zu den Seiten auf, weil es keinen Umgebungsdruck gibt.
In beiden Fällen bewegen sich die Moleküle im Schubstrahl nicht parallel zueinander: Verschwendung. Beim Aerospike hingegen wird der Schubstrahl nicht außen an der Düsenwand geführt, sondern innen am Spike: Die Moleküle im Schubstrahl bewegen sich immer parallel zueinander.
Aber es gibt ein Problem: Die Brennkammer hat eine größere Fläche, weil sich zur Innenwand der Düse die Außenwand des Spikes gesellt. Der Aufwand für Kühlung steigt an.
In der RDE mit ihrem moderaten durchschnittlichen Brennkammerdruck ist die Kühlung machbar: Hier gibt es die Vorteile des Aerospike nahezu dazugeschenkt. „Niemand wird eine RDE bauen, ohne die Vorteile des Aerospike zu nutzen“, sagt der Triebwerksforscher Jan Deeken.
Was in der Brennkammer geschieht
Eine goldene Regel der Triebwerksentwicklung greift bei Rotating Detonation nicht. Für den Schub, also die rohe Kraft des Antriebs, ist der Brennkammerdruck maßgeblich. Je höher dieser ist, desto höher der Schub. Man versucht also, den Brennkammerdruck zu maximieren.
Allerdings gilt das nur für konventionelle Raketenantriebe, die mit annähernd konstanten Drücken betrieben werden. An einer bestimmten Stelle der Brennkammer ändert sich der Druck bei konstantem Schub kaum.
RDEs funktionieren anders. Hier werden Brennstoff und Oxidator bei niedrigem Druck eingespritzt, erst kurze Zeit darauf kommt die Schockwelle angerast – und der Druck steigt gut und gerne auf den zehnfachen Wert an. Hier ist der Brennkammerdruck der durchschnittliche Druck aus der Detonationswelle und der darauffolgenden Niederdruckphase. Und der darf niedrig sein, solange der Treibstoff bei hohen Drücken reagiert.

Druckspitzen: Auf hohe Drücke in den Detonationswellen folgen immer Regionen mit vergleichsweise niedrigen Drücken. Entscheidend ist, dass das Gros des Treibstoffs bei hohen Drücken verbrennt. Grafik: Łukasiewicz – Institute of Aviation
Würde man den minimalen Druck anheben – in dem Bestreben, den durchschnittlichen Brennkammerdruck zu steigern –, dann würden auch die Druckspitzen extremer. Bis kein Strukturmaterial mehr standhält. „Für hohe Drücke lässt sich der Triebwerkstyp nicht nutzen“, sagt der DLR-Experte Jan Deeken.
Einsatzfelder auf dem Mond und am Mars
Das ist der Hauptgrund dafür, dass RDEs in der Raumfahrt nicht universal einsetzbar sind. Es gilt als nahezu ausgeschlossen, dass RDEs die großen Erststufen antreiben werden, die von Kourou, Cape Canaveral oder Baikonur starten. Der Stern der Technik könnte stattdessen weit entfernt von der Erde aufgehen, bei Mondmissionen oder interplanetaren Flügen. Im Vakuum sind hohe Schübe nicht nötig – und damit auch keine hohen Brennkammerdrücke. RDEs wären deshalb prädestiniert für Mondlandemodule. Der Brennkammerdruck beim Apollo-Landemodul betrug zwischen 7 bar und 8 bar. Zum Vergleich: Beim Raptor-Triebwerk, das die SpaceX-Rakete Starship vom Boden hebt, liegt der Druck bei 300 bar.
Zum Einsatz im Vakuum, auf dem Mond oder auf Marsmissionen passt, dass das Potenzial der detonativen Verbrennung umso größer ist, desto kälter – und damit dichter – die Treibstoffe im Moment des Einspritzens sind.
Das macht RDEs für Raketenbauer interessant, die bereits kryogene Treibstoffe nutzen. Die europäische Großrakete Ariane 6 zum Beispiel fliegt mit einer Kombination aus Flüssigwasserstoff und Flüssigsauerstoff. Wasserstoff verdampft bei rund 20 K, oder -253 °C, und gilt als effizientester Brennstoff für RDEs.
Lange Liste an Problemen
Allen erfolgreichen Experimenten zum Trotz ist die Liste der Fragen lang. Wie groß sind die Verluste an den Düsen? Wie lässt sich verhindern, dass Treibstoff und Oxidator miteinander reagieren, bevor die Schockwelle angerauscht kommt? Funktioniert das Detonationsprinzip auch dann noch, wenn der Massenstrom reduziert wird? Besonders bei Mondmissionen ist das relevant, denn bei vollem Schub lässt es sich schlecht landen.
Und wie kommt die Detonation überhaupt in die Brennkammer – nicht zufällig wie in den 1960er-Jahren, sondern kontrolliert? Das Berliner Team um Myles Bohon hat dafür einen externen Detonationsgenerator an die Brennkammer montiert, dessen Kernelement eine Zündkerze aus der Automobilindustrie ist. Die Brennkammer wird also vor jedem Experiment mit Treibstoff geflutet, bevor Alastair Bruce den Knopf für die Zündung drückt.
Das Detonationsprinzip ist so dynamisch, dass ein bisschen Chaos zum Forschungsalltag gehört. Manch ein Labor kann nicht vorhersagen, ob die Detonationswelle in der Brennkammer im oder gegen den Uhrzeigersinn rauscht. Bei manchen Rotating-Detonation-Antrieben, vor allem bei größeren, kommt es vor, dass mehrere Detonationswellen in der Brennkammer unterwegs sind. „Uns fehlen die Fähigkeiten, die Zahl der Detonationswellen vorauszusagen“, sagt der US-Wissenschaftler Stephen Heister. „Es bleibt für uns eine Art Wunder.“
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