Spektakulär 21.07.2025, 15:30 Uhr

Fast wie die Geburt der Erde: Wie ein neuer Planet entsteht

Ein entstehender Planet formt Staubstrukturen – Forschende beobachten erstmals die Geburt neuer Welten in Echtzeit.

Geburt eines neuen Sonnensystems

HOPS-315 im Fokus: Astronomen haben mit ALMA (Orange: Kohlenmonoxid, Blau: Siliziummonoxid) und dem James-Webb-Teleskop eine protoplanetare Scheibe um den jungen Stern entdeckt. Erste heiße Mineralien beginnen sich dort zu verfestigen – ein Hinweis auf die frühesten Stadien der Planetenentstehung.

Foto: ALMA(ESO/NAOJ/NRAO)/M. McClure et al. Creative Commons Lizenz CC BY 4.0 (deutsch)

Inmitten dichten Staubs, fernab unserer Sonne, entstehen neue Welten. Forschende beobachten derzeit mehrere Systeme, in denen junge Sterne von sogenannten protoplanetaren Scheiben umgeben sind – rotierende Ringe aus Gas und Staub, die als Brutstätten für Planeten gelten. Zwei dieser Systeme liefern nun besonders eindrucksvolle Einblicke. Es handelt sich um HOPS-315 in 1300 Lichtjahren Entfernung und HD 135344B, rund 440 Lichtjahre von der Erde entfernt. Beide zeigen Hinweise auf aktiven Planetenaufbau – und darauf, wie aus losem Material neue Himmelskörper entstehen.

Erste Bausteine eines Planeten

Rund um HOPS-315 konnten Astronom*innen mithilfe zweier hochauflösender Teleskope – dem James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) und dem Radioteleskopverbund ALMA – erstmals den Moment beobachten, in dem sich feste Partikel in einer protoplanetaren Scheibe bilden. Diese Teilchen bestehen aus kristallinem Siliziummonoxid (SiO), einem Mineral, das nur bei extremen Temperaturen entsteht. Seine Anwesenheit deutet auf einen Schmelzprozess hin, wie er nahe am jungen Stern abläuft.

„Zum ersten Mal haben wir den frühesten Moment identifiziert, in dem die Planetenentstehung um einen anderen Stern als unsere Sonne beginnt“, sagt Melissa McClure, Hauptautorin der Studie und Professorin an der Universität Leiden. Diese mineralischen Bausteine gelten als Vorläufer von Planetesimalen – kilometergroßen Körpern, die sich später zu vollwertigen Planeten entwickeln können.

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Die Bedeutung der Siliziummoleküle

Der Nachweis dieser Siliziummoleküle ist weit mehr als ein chemisches Detail. Er markiert einen Wendepunkt im Verständnis der Planetenentstehung. Denn bislang wussten Forschende zwar, dass sich Planeten aus Staub und Gas bilden – doch wann dieser Prozess genau beginnt, blieb unklar. Die Entdeckung legt nahe: Er setzt deutlich früher ein, als viele Modelle bisher angenommen haben.

Auffällig ist zudem, dass die entstehenden Mineralien in einer Region der Scheibe vorkommen, die – übertragen auf unser Sonnensystem – der heutigen Umlaufbahn des Asteroidengürtels entspricht. Diese Übereinstimmung ist kein Zufall. „Wir sehen diese Mineralien wirklich an derselben Stelle in diesem extrasolaren System, an der wir sie auch in Asteroiden im Sonnensystem sehen“, sagt Logan Francis, Postdoktorand an der Universität Leiden.

Meteoriten als Archiv der Frühzeit

Ein Blick zurück hilft, das Geschehen einzuordnen. In Meteoriten, die auf die Erde stürzen, finden sich häufig Überreste jener festen Materialien, die einst in der Nähe der jungen Sonne entstanden. Diese Gesteinsbrocken bewahren die chemischen und strukturellen Signaturen der Frühzeit. Auch sie enthalten kristalline Silikate – Hinweise auf hohe Temperaturen in den inneren Bereichen der damaligen Scheibe. Dasselbe Muster zeigt sich nun bei HOPS-315.

Edwin Bergin von der University of Michigan beschreibt die Tragweite der Beobachtung: „Dieser Prozess wurde noch nie zuvor in einer protoplanetaren Scheibe – oder außerhalb unseres Sonnensystems – beobachtet.“

Spurensuche im Staub

Nicht nur bei HOPS-315, auch in anderen Systemen beobachten Astronom*innen eine besondere Dynamik: Planeten im Entstehen formen ihre Umgebung. Sie erzeugen Spiralarme im Staub, räumen Lücken in der Scheibe und hinterlassen Muster, die auf ihre Existenz hinweisen.

Eines dieser Systeme ist HD 135344B. Dieser junge Stern ist von einer ausgeprägten Staubscheibe umgeben, in der Forschende nun deutliche Hinweise auf einen Planetenkandidaten gefunden haben. Das Besondere: Dieser Planet scheint sich noch in der Bildung zu befinden – eingebettet in einem der Spiralarme, den er selbst erzeugt haben könnte.

„Wir werden niemals die Entstehung der Erde miterleben, aber hier, um einen jungen Stern in 440 Lichtjahren Entfernung, können wir möglicherweise in Echtzeit die Entstehung eines Planeten beobachten“, erklärt Francesco Maio, Doktorand an der Universität Florenz und Erstautor der entsprechenden Studie.

Lichtsignatur eines Ungeborenen

Die bisherigen Aufnahmen des Systems HD 135344B hatten zwar bereits spiralförmige Strukturen gezeigt – doch einen planetaren Verursacher konnten die Teleskope nicht nachweisen. Erst mithilfe des neuen Instruments ERIS (Enhanced Resolution Imager and Spectrograph) am Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte ließ sich das vermutete Objekt sichtbar machen. ERIS ist in der Lage, selbst lichtschwache Quellen inmitten heller Umgebungen aufzuspüren – ein entscheidender Vorteil in der Suche nach jungen Planeten.

Der mutmaßliche Planet ist rund doppelt so groß wie Jupiter und umkreist seinen Stern in etwa der Entfernung, in der sich Neptun um die Sonne bewegt. Beobachtungen deuten darauf hin, dass er durch seine Gravitationskraft die Spiralarme der Scheibe formt. Diese entstehen durch lokale Verdichtungen im Gas und Staub, ausgelöst durch die Bewegung des Planeten.

„Was diese Entdeckung zu einem möglichen Wendepunkt macht, ist, dass wir im Gegensatz zu vielen früheren Beobachtungen das Signal des Protoplaneten, der noch tief in der Scheibe eingebettet ist, direkt nachweisen können“, sagt Maio. „Dadurch sind wir viel zuversichtlicher, dass der Planet tatsächlich existiert, da wir sein eigenes Licht beobachten können.“

Gravitative Instabilität – eine alternative Geburtsform

Nicht alle Planeten entstehen durch langsames Zusammenklumpen kleiner Staubteilchen. In einem anderen Fall, rund um den jungen Stern V960 Mon, könnte ein Begleitobjekt ganz anders entstanden sein: durch gravitative Instabilität. Dabei verdichtet sich eine ganze Region der Scheibe so stark, dass sie direkt kollabiert und ein kompaktes Objekt bildet. Dieses könnte ein großer Planet oder sogar ein Brauner Zwerg sein – ein Himmelskörper, der zwar größer ist als ein Planet, aber nicht genügend Masse besitzt, um als Stern zu leuchten.

Anuroop Dasgupta, ESO-Doktorand und Mitautor der Studie, beschreibt die Suche so: „Mit ERIS haben wir uns auf die Suche nach kompakten, leuchtenden Fragmenten gemacht, die auf die Anwesenheit eines Begleiters in der Scheibe hindeuten – und wir wurden fündig.“

Ein Modell für unser Sonnensystem?

Die Parallelen zwischen den jungen Systemen HOPS-315 und HD 135344B und unserem eigenen Sonnensystem sind auffällig. Beide zeigen Strukturen, wie sie auch bei der Geburt der Erde und ihrer Nachbarplaneten vorhanden gewesen sein könnten. Die beobachteten Staubspiralen, Lücken und mineralischen Ablagerungen erinnern stark an die Bedingungen, unter denen einst der Asteroidengürtel und andere planetare Körper entstanden sind.

Merel van ’t Hoff von der Purdue University fasst die Bedeutung zusammen: „Wir sehen ein System, das so aussieht, wie unser Sonnensystem, als es gerade erst entstanden ist.“ HOPS-315 liefert damit nicht nur einen Blick in ein fremdes System, sondern auch ein lebendiges Modell für unsere eigene Vergangenheit.

Auch Elizabeth Humphreys, Projektverantwortliche für ALMA bei der Europäischen Südsternwarte, sieht das ähnlich. „Die Beobachtungen legen nahe, dass HOPS-315 genutzt werden kann, um zu verstehen, wie unser eigenes Sonnensystem entstanden ist.“

Die Rolle der Teleskope: Ein präziser Blick ins All

Dass solche Einblicke heute überhaupt möglich sind, liegt an der Kombination moderner Teleskoptechnologien. Das James-Webb-Teleskop liefert hochauflösende Infrarotaufnahmen, die selbst dichte Staubschichten durchdringen. ALMA ergänzt diese Daten durch präzise Radiobeobachtungen, mit denen sich Moleküle und Temperaturverteilungen analysieren lassen. Gemeinsam ergeben diese Instrumente ein vollständiges Bild der physikalischen Prozesse in den Scheiben.

In Chile arbeitet das VLT unter besten atmosphärischen Bedingungen. Das Instrument ERIS erlaubt dort erstmals, auch leuchtschwache Objekte in dichten Staubregionen direkt zu erfassen. So konnte nicht nur ein Planetenkandidat bei HD 135344B beobachtet werden, sondern auch ein Begleitobjekt im System V960 Mon – möglicherweise das Ergebnis gravitativer Instabilität.

Spiralen, Lücken und Klumpen: Was junge Planeten hinterlassen

Planeten wirken schon während ihrer Entstehung auf ihre Umgebung ein. Sie ziehen Material an, verdichten es oder schieben es beiseite. In der protoplanetaren Scheibe entstehen dadurch Lücken oder Ringe. Bei noch massereicheren Objekten können auch Spiralstrukturen entstehen, wenn Gas und Staub durch Gravitationskräfte in Bewegung geraten.

In HD 135344B ließ sich diese Wechselwirkung nun direkt beobachten. Der mutmaßlich entstehende Planet sitzt genau dort, wo ein auffälliger Spiralarm beginnt – wie von den Modellen vorhergesagt. Seine Masse, doppelt so groß wie die des Jupiter, reicht offenbar aus, um deutliche Spuren in der umgebenden Scheibe zu hinterlassen.

Die Tatsache, dass diese Dynamik nun nicht nur indirekt, sondern durch Lichtsignale des Planeten selbst nachgewiesen wurde, ist für die Forschung von großer Bedeutung. Sie erlaubt Rückschlüsse auf den Zeitpunkt, die Geschwindigkeit und die Mechanik der Entstehung.

Vom Staub zur Welt – ein langer Weg

Die Entstehung eines Planeten beginnt mit mikroskopisch kleinen Staubkörnern, die in der protoplanetaren Scheibe um einen jungen Stern kreisen. Durch Zusammenstöße und Anziehungskräfte verklumpen diese Partikel nach und nach. Aus Millimetern werden Zentimeter, dann Meter – und schließlich kilometergroße Brocken, die Planetesimale genannt werden. Diese ziehen weiteres Material an, wachsen weiter und bilden schließlich vollständige Planeten.

Doch dieser Prozess verläuft nicht immer gleich. Bei manchen Sternen entstehen Planeten durch langsames Zusammenwachsen. Bei anderen scheinen massive Gas- und Staubklumpen direkt zu kollabieren – ein Hinweis auf gravitative Instabilität als alternativen Bildungsweg. Welcher Mechanismus dominiert, hängt von Faktoren wie Temperatur, Materialdichte und Bewegung innerhalb der Scheibe ab.

Die aktuellen Beobachtungen zeigen beide Varianten. In HOPS-315 kristallisieren die ersten festen Teilchen gerade aus. In HD 135344B hinterlässt ein junger Riesenplanet seine Signatur in der Scheibe. Und bei V960 Mon könnte ein Objekt direkt aus einer instabilen Verdichtung heraus entstanden sein – womöglich ein Brauner Zwerg.

Ein kosmisches Puzzle

Jede neue Beobachtung ist ein Teil des großen Puzzles. Die Entstehung von Planeten ist ein hochkomplexer Vorgang, der über Millionen Jahre verläuft. Die jetzt sichtbaren Systeme liefern Schnappschüsse eines langen Prozesses. Die Kunst besteht darin, aus diesen Einzelbildern eine zeitliche Abfolge zu rekonstruieren.

Forschende vergleichen diese Systeme nicht nur miteinander, sondern auch mit dem, was wir über Meteoriten, Asteroiden und Planeten unseres eigenen Sonnensystems wissen. Gemeinsam ergibt sich ein wachsendes Verständnis darüber, wie aus Gas und Staub feste Welten werden – und unter welchen Bedingungen dies geschieht.

Was folgt?

Die Daten, die JWST, ALMA und ERIS geliefert haben, sind erst der Anfang. Weitere Beobachtungen sollen folgen – unter anderem im infraroten und submillimeter-Wellenbereich. Ziel ist es, die chemischen Prozesse in den Scheiben noch genauer zu erfassen. Auch die Bewegungen des Materials werden analysiert, um Rückschlüsse auf Gravitationskräfte und Stoßprozesse zu ziehen.

Parallel dazu entwickeln Simulationsteams am Computer neue Modelle. Diese sollen künftig in Echtzeit mit aktuellen Beobachtungen abgeglichen werden. So lässt sich besser nachvollziehen, ob ein beobachtetes Objekt tatsächlich ein Planet wird – oder ob es sich nur temporär als solcher ausgibt.

Weiterführende Informationen:

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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