Cannon-Sturm 20.11.2025, 18:39 Uhr

Der Sonnensturm, der die Erde „kleiner“ machte – neue Erkenntnisse

Der Gannon-Sturm stauchte die Plasmasphäre massiv. Neue Daten zeigen, wie stark die Erde getroffen wurde – und warum die Erholung so lange dauerte.

Sonnensturm schrumpft die Plasasphäre der Erde

Wissenschaftler haben erstmals detaillierte Beobachtungen darüber gemacht, wie ein Supersturm die Plasmasphäre der Erde komprimiert, und aufgedeckt, warum die Erholung mehr als vier Tage dauerte, was sich auf Navigations- und Kommunikationssysteme auswirkte.

Foto: Institute for Space-Earth Environmental Research (ISEE), Nagoya University, Creative Commons BY 4.0 (deutsch)

Geomagnetische Superstürme gehören zu den seltenen, aber folgenreichen Ereignissen im Weltraum. Sie entstehen, wenn die Sonne große Mengen Energie und geladene Teilchen in Richtung Erde schleudert. Meist passiert das nur alle 20 bis 25 Jahre. Am 10. und 11. Mai 2024 traf jedoch ein besonders intensives Ereignis auf unser Magnetfeld – der Gannon-Sturm, auch Muttertagssturm genannt.

Eine neue Analyse unter Leitung von Dr. Atsuki Shinbori von der Universität Nagoya zeigt nun, wie stark dieser Sturm die Plasmasphäre der Erde zusammendrückte. Die Plasmasphäre ist eine diffusive Hülle aus geladenen Teilchen, die sich aus der oberen Atmosphäre speist und unser Magnetfeld stabilisiert. Sie dämpft Störungen, die GPS, Kommunikationsnetze und Satelliten treffen können.

Die Studie beschreibt eine ungewöhnliche Reaktion: Die Plasmasphäre schrumpfte auf rund ein Fünftel ihrer üblichen Größe. Und sie brauchte Tage, um sich wieder zu erholen.

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Arase liefert Daten in einer extremen Situation

Der japanische Satellit Arase umkreist seit 2016 die Erde. Seine Aufgabe: Plasmawellen und Magnetfelder messen. Während des Sturms im Mai 2024 befand er sich zufällig in einer Position, die direkte Messungen der Plasmasphäre zuließ – über viele Stunden hinweg und genau in der Phase der stärksten Kompression.

Shinbori fasst zusammen: „Wir haben die Veränderungen in der Plasmasphäre mit dem Satelliten Arase verfolgt und bodengestützte GPS-Empfänger eingesetzt, um die Ionosphäre zu überwachen – die Quelle der geladenen Teilchen, die die Plasmasphäre wieder auffüllen.“ (Shinbori)

Diese Kombination aus Weltrauminstrumenten und GPS-Auswertung erlaubte erstmals eine vollständige Beobachtung der Plasmasphäre während eines Supersturms. Normalerweise endet diese Schicht in einer Entfernung von rund 44.000 Kilometern über der Erde. Unter Einfluss des Gannon-Sturms sackte sie jedoch auf etwa 9.600 Kilometer ab. Innerhalb von neun Stunden wurde die äußere Grenze auf ihre minimale Größe gedrückt.

Sonnenmaterial trifft auf Magnetfeld

Der Auslöser war eine Serie massiver Sonneneruptionen. Milliarden Tonnen geladener Partikel trafen in engem Zeitfenster auf die Magnetosphäre. Die Energie drückte nicht nur das Magnetfeld zusammen, sondern heizte die Atmosphäre in polaren Regionen auf.

Die Hitze führte dazu, dass die Ionosphäre weniger Sauerstoffionen bereitstellte. Diese Ionen spielen eine Rolle bei der Bildung der Wasserstoffteilchen, die die Plasmasphäre wieder auffüllen. Damit gab es zwei Effekte: starke Kompression und langsame Erholung.

Die Folge: Die Plasmasphäre brauchte über vier Tage, um ihren ursprünglichen Zustand zu erreichen. Das ist laut Studie die längste Erholungsphase seit Beginn der Arase-Mission im Jahr 2017.

Shinbori erläutert den Mechanismus so: „Wir haben festgestellt, dass der Sturm zunächst eine intensive Erwärmung in der Nähe der Pole verursachte, was später jedoch zu einem starken Rückgang der geladenen Teilchen in der Ionosphäre führte, wodurch sich die Erholung verlangsamte.“

Polarlichter in ungewohnten Regionen

Während des Gannon-Sturms rückte die sogenannte Aurorazone ungewöhnlich weit in Richtung Äquator. Normalerweise konzentrieren sich Polarlichter auf Gebiete nahe der Pole, weil das Magnetfeld Sonnenpartikel dorthin leitet.

Im Mai 2024 zeigte sich aber ein anderes Bild: Leuchterscheinungen waren in Japan, Mexiko und Südeuropa sichtbar. Die ungewöhnliche Position der Auroren war ein direktes Indiz für die starke Kompression des Erdmagnetfelds.

Je stärker der geomagnetische Sturm, desto weiter verschieben sich diese Lichtphänomene in Richtung Äquator. Der Gannon-Sturm erreichte dafür die nötige Intensität.

Der „negative Sturm“ – unsichtbare Bremse der Erholung

Rund eine Stunde nach dem Höhepunkt des Sturms strömten geladene Teilchen aus hohen Breitengraden in Richtung Polkappe. Die Plasmasphäre begann, sich wieder zu füllen – allerdings viel zu langsam.

Der Grund: ein sogenannter negativer Sturm. Er führt dazu, dass der Ionengehalt in der Ionosphäre massiv sinkt, weil starke Erwärmung die chemischen Prozesse verändert. Dieser Effekt ist nicht sichtbar und lässt sich nur durch Satelliten erfassen.

Dr. Shinbori beschreibt das Problem so: „Der negative Sturm verlangsamte die Erholung, indem er die Chemie der Atmosphäre veränderte und die Zufuhr von Teilchen zur Plasmasphäre unterbrach.“  Der Gannon-Sturm sorgte weltweit für technische Probleme. Mehrere Satelliten meldeten elektrische Störungen. Datenverbindungen rissen ab. GPS-Signale drifteten. Funkverbindungen litten unter atmosphärischen Effekten.

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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