Roter Riese R Doradus 22.12.2025, 08:07 Uhr

Aha-Moment: So falsch lag die Forschung zu Sternenwinden

Neue Studie zu R Doradus zeigt: Sternenlicht und Staub erklären starke Sternenwinde nicht. Die Bausteine des Lebens werden anders verteilt.

Staubwolken reflektieren das Sternenlicht um den Stern R Doradus

Staubwolken reflektieren das Sternenlicht um den Stern R Doradus. Da sich der Stern dem Ende seines Lebens nähert, stößt er seine äußeren Schichten ab und bildet um sich herum Gas- und Staubwolken (hier in Rosa und Gelb dargestellt).

Foto: ESO/T. Schirmer/T. Khouri; ALMA (ESO/NAOJ/NRAO)

Jahrzehntelang galt ein scheinbar solides Modell: Sternenlicht drückt auf frisch gebildeten Staub. Dieser Staub wird nach außen beschleunigt. So entstehen die Winde alter Sterne, die Kohlenstoff, Sauerstoff und andere Atome in der Galaxie verteilen. Genau diese Vorstellung gerät nun ins Wanken. Eine neue Studie der Chalmers University of Technology zeigt am Beispiel des roten Riesensterns R Doradus, dass dieser Mechanismus offenbar nicht ausreicht.

Der Befund ist unbequem. Denn er trifft einen Kernbereich der Astrophysik: die Frage, wie Materie aus Sternen in den Raum zwischen den Sternen gelangt. Und damit auch, wie die chemischen Bausteine späterer Planeten und letztlich des Lebens verteilt werden.

Ein Modell, das zu gut klang

Rote Riesensterne sind alte Sterne. Sie haben ihren Wasserstoffvorrat weitgehend verbraucht und stoßen große Mengen Material ab. Diese Sternwinde prägen die chemische Entwicklung von Galaxien. Lange gingen Forschende davon aus, dass Lichtdruck auf Staubkörner der entscheidende Motor ist. Das Prinzip ist anschaulich: Licht überträgt Impuls, Staub wird beschleunigt, Gas wird mitgerissen.

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Doch genau hier setzt die neue Analyse an. Die Beobachtungen zeigen, dass die Staubkörner um R Doradus schlicht zu klein sind. Sie bieten dem Sternenlicht zu wenig Angriffsfläche, um den beobachteten Massenverlust zu erklären.

„Wir dachten, wir hätten eine gute Vorstellung davon, wie dieser Prozess funktioniert. Es hat sich herausgestellt, dass wir uns geirrt haben. Für uns als Wissenschaftler ist das das spannendste Ergebnis“, sagt Theo Khouri, Astronom an der Chalmers University und Mitleiter der Studie.

R Doradus als Testfall

R Doradus eignet sich besonders gut für solche Untersuchungen. Der Stern liegt nur rund 180 Lichtjahre entfernt. Er ist hell, gut zugänglich und typisch für sogenannte AGB-Sterne, also Sterne am asymptotischen Riesenast. Genau diese Sterne verlieren in kurzer Zeit enorme Mengen Material.

Das Team nutzte das Instrument SPHERE am Very Large Telescope der European Southern Observatory. SPHERE kann polarisiertes Licht messen. Damit lässt sich präzise bestimmen, wie groß Staubkörner sind und woraus sie bestehen.

Die Messungen deckten einen Bereich ab, der etwa der Größe unseres Sonnensystems entspricht. Die Analyse zeigte: Die Körner bestehen aus bekannten Materialien wie Silikaten und Aluminiumoxid. Ihre Größe liegt jedoch nur bei etwa einem Zehntausendstel Millimeter.

Simulation trifft Beobachtung

Beobachtungen allein reichen nicht. Deshalb kombinierten die Forschenden die Daten mit aufwendigen Computersimulationen. Diese Modelle berechnen, wie stark Licht auf Staub wirkt und ob der resultierende Schub genügt, um Materie in den interstellaren Raum zu treiben.

„Zum ersten Mal konnten wir strenge Tests durchführen, um festzustellen, ob diese Staubkörner einen ausreichend starken Schub durch das Licht des Sterns erfahren“, sagt Thiébaut Schirmer, Erstautor der Studie.

Das Ergebnis ist klar. Der Lichtdruck reicht nicht aus. Selbst unter günstigen Annahmen bleiben die Kräfte zu schwach. Der klassische Mechanismus greift hier nicht.

„Staub ist definitiv vorhanden und wird vom Stern beleuchtet“, sagt Schirmer. „Aber er liefert einfach nicht genug Kraft, um das zu erklären, was wir sehen.“

Wenn Staub nicht reicht, was dann?

Damit steht die Forschung vor einem Problem. Der Stern verliert Masse. Die Winde existieren. Doch der bisherige Hauptantrieb fällt aus. Das zwingt zu einem breiteren Blick.

Hinweise liefern frühere Beobachtungen mit dem Radioteleskop Atacama Large Millimeter/submillimeter Array. Diese zeigen riesige Blasen aus heißem Gas an der Oberfläche von R Doradus. Sie steigen auf, kühlen ab und sinken wieder. Solche Konvektionsbewegungen könnten Material nach außen transportieren.

Hinzu kommen Pulsationen des Sterns. AGB-Sterne dehnen sich periodisch aus und ziehen sich wieder zusammen. Diese Schwingungen erzeugen Stoßwellen, die Gas anheben können. Auch kurze, intensive Phasen der Staubbildung könnten eine Rolle spielen, selbst wenn der Staub allein nicht ausreicht.

„Auch wenn die einfachste Erklärung nicht zutrifft, gibt es spannende Alternativen, die es zu erforschen gilt“, sagt Wouter Vlemmings, Professor an der Chalmers-Universität und Mitautor der Studie. „Riesige konvektive Blasen, Sternpulsationen oder dramatische Episoden der Staubbildung könnten alle dazu beitragen, zu erklären, wie diese Winde entstehen.“

Hier geht es zur Originalpublikation

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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