Satelliten-Technik: Gyroskop-Rucksack gleicht Gangstörung aus
Forschende haben einen Rucksack für Ataxie-Erkrankte entwickelt, der Koordinationsschwierigkeiten beim Gehen kompensiert. Sie nutzen dafür eine Technik, die auch Satelliten verwenden.
Der Rucksack nutzt eine gyroskopische Technologie, die der in Raumstationen oder großen Satelliten ähnelt, um die Ausrichtung im Weltraum aufrechtzuerhalten.
Foto: Delft University of Technology
Wer hat sich nicht schon einmal selbst etwas wackelig auf seinen Beinen gefühlt? Bei gesunden Menschen können Bewegungsmangel, Überanstrengung, Dehydration oder übermäßiger Alkoholgenuss Gründe dafür sein. In der Regel sind die Einschränkungen dabei temporär. Anders ist das bei Menschen mit Ataxie, die als unheilbar gilt. Der Begriff steht für ein Krankheitsbild, bei dem die Koordination von Muskelgruppen gestört ist. Erkrankte Personen können also ihre Bewegungen nicht zuverlässig koordinieren. Ihnen soll künftig ein spezieller Rucksack helfen.
Der Gyroskop-Rucksack ist von Weltraumtechnik inspiriert
Inspiriert wurden die Entwicklungen des stabilisierenden Rucksacks von Weltraumtechnologie. Die Idee entstand bereits vor über einem Jahrzehnt an der TU Delft und am Erasmus MC. Der technische Hintergrund: Große Satelliten können ihre Ausrichtung ändern, ohne Kraft auf ihre Umgebung zu übertragen. Heike Vallery, die das Institut für Regelungstechnik der RWTH Aachen leitet, erklärt dazu. „Wir nutzen denselben gyroskopischen Effekt.“
Die mit dem Wissenschaftspreis der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ausgezeichnete Professorin ergänzt: „Der Rucksack enthält rotierende Räder und ein ausgeklügeltes Regelungssystem, das Drehbewegungen des Oberkörpers ausgleicht. Es fühlt sich in etwa so an, als würde man sich durch Wasser bewegen. Die Bewegungen des Oberkörpers werden verlangsamt, die Stabilität erhöht und es bleibt mehr Zeit, das Gleichgewicht wiederzufinden.“
An 14 Patienten getestet
Zusammen mit den Forschenden Bram Sterke (Erasmus MC), Katie Poggensee (TU Delft, Erasmus MC) sowie dem Rehabilitationsmediziner Jorik Nonnekes (Radboud Universiteit Nijmegen Medical Centre) wurde auf dieser Basis nun der „Gyropack“ gezielt für Menschen mit Ataxie optimiert.
Wie sich das Prinzip in der Praxis auswirkt, testeten die Forschenden mit vierzehn Patienten. Diese nutzten den Rucksack bei Gleichgewichts- und Gehübungen unter drei Bedingungen: ohne Rucksack, mit aktiviertem Rucksack und mit einer Placebo-Version. Letzterer simuliert zwar Geräuschentwicklung und Tragegefühl des Gyrosystems, generiert aber keinen Effekt.

Der Rucksack bietet Menschen, die unter der Bewegungsstörung Ataxie leiden spürbare Besserung.
Foto: TU Delft
Erste Tests bestätigen Wirksamkeit des Gyroskop-Rucksacks
Nach Angaben des Teams zeigten die Tests, dass bereits der inaktive Rucksack Vorteile brachte. „Das liegt vermutlich daran, dass der Rucksack mit etwa sechs Kilogramm relativ schwer ist“, erklärt Mediziner Nonnekes. „Dieses Gewicht stabilisiert den Oberkörper bereits. Die größte Verbesserung erzielten die Patienten jedoch mit dem aktiven Rucksack: Sie gingen deutlich stabiler und konnten deutlich leichter geradeaus laufen.“
Nun arbeiten die Forschenden an der Weiterentwicklung des Rucksacks. Er soll in Alltagssituationen noch praxistauglicher werden. Zudem soll das Gerät leichter und leiser werden. „Der Rucksack ist noch nicht für den täglichen Einsatz geeignet“, RWTH-Professorin Vallery, „aber er könnte künftig das Leben von Menschen mit Ataxie erheblich erleichtern.“ Denn neben Laufen fallen an Ataxie erkrankten Personen auch alltägliche Abläufe wie Greifen und Schreiben schwer.
Weil die Krankheit als unheilbar gilt und Symptome lediglich durch Therapien gelindert werden können, sind die Menschen dauerhaft auf Hilfen angewiesen. Dabei werden Gehhilfen jedoch häufig als schwer und unhandlich angesehen. Mitunter werden sie auch als stigmatisierend empfunden. Ein Gyroskop-Rucksack, der die Hände frei lässt und mehr Bewegungsfreiheit ermöglicht, wird deshalb als wichtiger Fortschritt betrachtet.
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