Neues Gel repariert den Zahnschmelz in nur zwei Wochen
Neues Protein-Gel repariert Zahnschmelz in Labortests binnen zwei Wochen. Wie die Technik funktioniert – und wann sie in Praxen ankommen könnte.
Ein fluoridfreies Gel lässt Zahnschmelz an extrahierten Zähnen nachwachsen. Erfahren Sie, wie die Proteinmatrix arbeitet und welche Hürden noch bleiben.
Foto: Smarterpix / IgorVetushko
Der Verlust von Zahnschmelz galt bisher als endgültig. Einmal abgetragen, lässt sich die harte Schutzschicht über den Zähnen nicht mehr auf natürliche Weise erneuern. Das könnte sich nun ändern: Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der University of Nottingham hat ein Gel entwickelt, das den Zahnschmelz innerhalb von zwei Wochen wiederherstellen kann – zumindest im Labor. Das Material basiert auf einer speziellen Proteinstruktur, die den natürlichen Aufbau des Schmelzes nachahmt und das Wachstum neuer Mineralien anregt.
Inhaltsverzeichnis
Warum Zahnschmelz überhaupt ein Problem ist
Zahnschmelz ist Hochleistungskeramik in Bio. Er besteht aus dicht gepackten Nanokristallen aus karbonathaltigem Hydroxylapatit. Diese Kristalle sind nur etwa 50 nm dick, ziehen sich aber über Mikrometerlängen. Sie sind zu Stäbchen und Bändern geordnet, die wie kleine Träger im Zahn liegen.
Diese Struktur macht den Schmelz steif, hart und erstaunlich zäh. Er steckt Kaudruck, Temperaturwechsel, Säuren aus Getränken und die tägliche Zahnbürste weg. Regenerieren kann er sich aber praktisch nicht. Ist Zahnschmelz einmal abgetragen, bleibt nur noch Dentin darunter – weicher, empfindlicher und anfälliger für Karies.
Das ist kein Randphänomen. Schmelzabbau und Karies betreffen fast 50 % der Weltbevölkerung. Die Folge sind Schmerzen, Infektionen, teure Behandlungen und Zusammenhänge mit systemischen Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Problemen. Aktuelle Lösungen wie Fluoridlacke oder Remineralisierungslösungen bremsen Karies, aber sie bauen verloren gegangenen Schmelz nicht wirklich nach.
Die Idee: Den Bauplan der Natur nachahmen
Im natürlichen Zahnschmelzaufbau spielt das Protein Amelogenin eine zentrale Rolle. Es bildet im sich entwickelnden Zahn eine Art Gerüst, richtet die Mineralien aus und sorgt dafür, dass die Apatitkristalle schön geordnet wachsen. Die Gruppe um Professor Alvaro Mata hat diesen Ansatz kopiert – allerdings mit künstlich hergestellten Eiweißbausteinen, sogenannten elastinähnlichen Rekombinanten (ELR).
Vereinfacht gesagt: Die Forschenden mischen ELR-Moleküle mit Kalzium-Ionen. Beim Trocknen bilden sich lange Eiweißfibrillen, die strukturell an das natürliche Amelogenin-Netz erinnern. Diese Fibrillen sind nur wenige Dutzend Nanometer dick, aber mikrometerlang und lagern sich zu einer stabilen Matrix zusammen.
Auf Zähne aufgebracht, entsteht daraus eine dünne, kreuzvernetzte Schicht – das spätere Gel. Dieses Gel:
- dringt in feine Risse und Poren des Schmelzes ein,
- bleibt mechanisch stabil,
- bindet Kalzium- und Phosphat-Ionen aus Speichel oder künstlicher Lösung,
- lenkt das Wachstum neuer Apatitkristalle entlang der vorhandenen Zahnstrukturen.
In der Fachsprache heißt das „epitaktische Mineralisierung“: Neue Kristalle wachsen so, dass sie sich an die Ausrichtung der alten anheften und deren Gitterstruktur fortsetzen.
Wie das Gel angewendet wird
Das Team hat bewusst ein Vorgehen gewählt, das sich an der Routine in Zahnarztpraxen orientiert. Die Reihenfolge im Laborversuch klingt Zahnärztinnen und Zahnärzten sehr vertraut:
- Reinigung der Zahnoberfläche mit Polierpaste,
- Anätzen mit Phosphorsäuregel,
- Spülen und Trocknen,
- Auftragen der ELR-Lösung,
- Trocknen an Luft – nach 3–4 Minuten steht eine stabile Gel-Schicht.
Das Ganze funktioniert mit Lösungsmitteln und Vernetzern, die bereits aus zugelassenen Dentalprodukten bekannt sind, etwa Ethanol und Glutaraldehyd. Im nächsten Schritt kommen die Zähne in Kontakt mit künstlichem Speichel oder – für einen Realitätscheck – mit menschlicher Spucke.
Zwei Wochen Speichel statt Zaubertrank
Für den viel zitierten Zwei-Wochen-Effekt haben die Forschenden extrahierte menschliche Zähne mit dem Gel beschichtet und anschließend in echte, unverarbeitete Speichelproben gelegt – bei 37 °C, mit regelmäßiger Auffrischung der Proben über 14 Tage.
Nach dieser Zeit zeigte sich:
- Auf zuvor angeätztem Zahnschmelz hatte sich eine neue, bis zu 10 µm dicke Mineralschicht gebildet.
- Diese Schicht war nicht chaotisch, sondern wies die typische Prismenstruktur von Zahnschmelz auf.
- Selbst auf vollständig freigelegtem Dentin wuchs eine emailleähnliche Schicht, die empfindliche Tubuli verschloss.
Die Gruppe testete die mechanischen Eigenschaften mit Nanoindentation und Verschleißversuchen. Das Ergebnis: Steifigkeit, Härte, Reibkoeffizient und Verschleißverhalten näherten sich den Werten von gesundem Schmelz an – teilweise übertrafen sie diese sogar leicht.
Dr. Abshar Hasan wird dazu mit den Worten zitiert: „Zahnschmelz hat eine einzigartige Struktur, die ihm seine bemerkenswerten Eigenschaften verleiht, die unsere Zähne ein Leben lang vor physikalischen, chemischen und thermischen Einflüssen schützen. Wenn unser Material auf demineralisierten oder erodierten Zahnschmelz oder freiliegendes Dentin aufgetragen wird, fördert es das Wachstum von Kristallen auf integrierte und organisierte Weise und stellt so die Architektur unseres natürlichen, gesunden Zahnschmelzes wieder her.“
Hält das auch Zähneputzen, Kauen und Säure aus?
Eine schöne Schicht im Elektronenmikroskop ist das eine – der Alltag mit Zahnbürste, Kaffee und Säften das andere. Deshalb haben die Forschenden das regenerierte Material strapaziert:
- Zähneputzen: Eine Stunde Dauerputzen mit elektrischer Zahnbürste, was ungefähr einem Jahr täglicher Nutzung entspricht.
- Kauen & Knirschen: Zwei Wochen Belastung mit 75 N, um etwa 3,5 Jahre Kaubelastung zu simulieren.
- Säureangriff: Essigsäure mit pH 4, für Minuten bis Tage.
Nach diesen Tests lag die Härte des regenerierten Schmelzes immer noch im Bereich gesunder Zähne. Das Material zeigte eine ähnliche oder bessere Beständigkeit gegen Abrieb und Säuren als natürlicher Schmelz. Die Forschenden führen die erhöhte Säureresistenz unter anderem auf Fluorid im Remineralisationsbad zurück, wodurch fluorapatithaltige Kristalle entstehen, die weniger löslich sind.
Hasan fasst die Tests so zusammen: „Wir haben die mechanischen Eigenschaften dieser regenerierten Gewebe unter Bedingungen getestet, die ‚reale Situationen‘ wie Zähneputzen, Kauen und den Kontakt mit sauren Lebensmitteln simulieren, und festgestellt, dass sich der regenerierte Zahnschmelz genau wie gesunder Zahnschmelz verhält.“
Fluoridfrei – aber nicht gegen Fluorid
Das Gel selbst enthält kein Fluorid. Die mineralisierte Schicht bildet sich, indem Kalzium- und Phosphationen aus Speichel oder künstlicher Lösung in der ELR-Matrix anlagern. Fluorid kann, muss aber nicht im Umfeld vorhanden sein. Das macht die Technologie flexibel: Sie lässt sich prinzipiell mit klassischen Fluoridkonzepten kombinieren, ohne diese zu ersetzen.
Zusätzlich kann das Gel auf freiliegendes Dentin aufgebracht werden. Dort wächst eine schmelzähnliche Schicht, die zum Beispiel Überempfindlichkeiten mindern und die Haftung von Füllungen verbessern könnte.
Einen Haken hat das „Wundergel“ aber dann doch. Bis es in der Praxis landet, wird noch etwas Zeit ins Land ziehen. Bisher wurde es nur an extrahierten Zähnen getestet. Wie es sich im komplexen, bakteriell besiedelten Mund verhält, muss erst noch in weiteren Studien herausgefunden werden.
Ein Beitrag von: