Medikamente entwickeln 27.05.2025, 12:00 Uhr

Ein Chip, der Blutgefäße nachbildet

Wie können Mini-Organe auf Chips wirklich lebensecht funktionieren? Forschende an der TU Wien und der Keio-Universität haben mit neuer Lasertechnik winzige, stabile Blutgefäße erzeugt – ein entscheidender Schritt für präzise und schnellere Medikamententests.

medikamentenforschung

Die TU Wien entwickelt miniaturisierte Blutgefäß-Netzwerke auf Chips, die realistische Organmodelle für präzise Medikamententests ermöglichen.

Foto: PantherMedia / AndreyPopov (YAYMicro)

Wie wirkt ein neues Medikament? Und wie arbeiten verschiedene Organe im Körper zusammen? Um solche Fragen zu beantworten, werden in der medizinischen Forschung immer öfter sogenannte „Organ-on-a-Chip“-Systeme verwendet. Dabei wachsen kleine Gewebestrukturen auf einem Chip im Labor. Diese Methode erlaubt es, Vorgänge im Körper genauer zu untersuchen – und das ganz ohne Tierversuche oder Tests am Menschen.

Dabei gibt es jedoch ein großes Problem: Ohne Blutgefäße sind diese Mini-Organe nicht vollständig. Um sie mit echten Organen vergleichen zu können, braucht man ein fein verzweigtes Netz aus winzigen, durchströmbaren Gefäßen – genau wie im menschlichen Körper. Forschenden an der TU Wien ist das jetzt gelungen: Die TU Wien und die Keio-Universität in Japan haben eine neue Methode entwickelt, mit der sich schnell und zuverlässig Blutgefäße in kleinen Organmodellen auf einem Chip bilden lassen. Dabei entstehen mithilfe ultrakurzer Laserpulse in kurzer Zeit sehr kleine Blutgefäße. Tests zeigen: Diese künstlichen Gefäße verhalten sich wie echte. So konnte erfolgreich Lebergewebe auf einem Chip nachgebildet werden.

Feinste Netze aus Blutgefäßen nötig

„Wenn man beispielsweise untersuchen möchte, wie bestimmte Medikamente in unterschiedlichen Geweben transportiert und absorbiert werden, dann braucht man feinste Netze aus Blutgefäßen“, kommentiert Alice Salvadori diesen Forschungsfortschritt in einer Pressemitteilung. Sie forscht in der Arbeitsgruppe von Prof. Aleksandr Ovsianikov am Institut für Werkstoffwissenschaft und Werkstofftechnologie der TU Wien.

Am besten lassen sich solche Blutgefäße in speziellen Materialien herstellen, in sogenannten Hydrogelen. Diese Stoffe ähneln natürlichem Gewebe: Sie sind durchlässig und bieten Zellen Halt. Wenn man in einem Hydrogel kleine Kanäle erzeugt, können sich darin sogenannte Endothelzellen ansiedeln – das sind Zellen, die im Körper die Innenwand von Blutgefäßen bilden. So entsteht ein künstliches Modell, das echten Blutgefäßen sehr nahekommt.

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Es ist aber schwer, Form und Größe der Blutgefäße genau zu steuern. Wenn sich die Gefäße von selbst bilden, sehen sie in jeder Probe anders aus. Dadurch sind die Ergebnisse nicht gut vergleichbar. Für genaue medizinische Forschung ist es aber wichtig, dass man verlässliche und wiederholbare Versuche machen kann.

Stabile Blutgefäße auf dem Chip dank neuer Lasertechnik

An der TU Wien entschied man sich daher für eine moderne Lasertechnologie: Mit ultrakurzen Laserpulsen im Femtosekunden-Bereich lassen sich sehr schnell und präzise dreidimensionale Strukturen in Hydrogelen erzeugen.

Aleksandr Ovsianikov erklärte, dass man auf diese Weise Kanäle herstellen könne, die nur hundert Mikrometer voneinander entfernt seien – ein entscheidender Faktor, wenn man die natürliche Dichte von Blutgefäßen in bestimmten Organen nachbilden wolle.
Wichtig ist nicht nur, dass die Blutgefäße genau die richtige Form haben – sie müssen auch stabil bleiben, wenn sich Zellen darin ansiedeln.

„Wir wissen, dass Zellen ihre Umgebung verändern können. Das kann zu Verformungen führen, oder sogar zur Verstopfung von Blutgefäßen“, kommentiert Alice Salvadori. „Daher haben wir die Material-Präparation verbessert.“

Das Hydrogel in zwei Phasen erwärmt

Anstelle des üblichen einstufigen Gelierungsverfahrens verwendete das Team einen zweistufigen thermischen Härtungsprozess: Das Hydrogel wird in zwei Phasen mit unterschiedlichen Temperaturen erwärmt, nicht nur in einer. Dadurch verändert sich seine Netzwerkstruktur, und ein stabileres Material entsteht. Die Gefäße bleiben offen und behalten ihre Form über einen längeren Zeitraum bei.

„Wir haben nicht nur gezeigt, dass wir künstliche Blutgefäße herstellen können, die tatsächlich durchflossen werden können. Noch wichtiger ist: Wir haben eine skalierbare Technologie entwickelt, die im industriellen Maßstab eingesetzt werden kann“, erklärt Aleksandr Ovsianikov. Er wies darauf hin, dass die Strukturierung von 30 Kanälen nur 10 Minuten dauere – und damit mindestens 60-mal schneller sei als bei anderen Verfahren.

Ähnliche Reaktionen wie bei echten Blutgefäßen nachgewiesen

Bevor man mit solchen Chips biologische Prozesse nachbilden kann, muss zuerst überprüft werden, ob sie sich wirklich wie echtes Gewebe verhalten. Genau das konnte das Forschungsteam nun bestätigen. Alice Salvadori erklärte, man habe gezeigt, dass sich die künstlichen Blutgefäße tatsächlich mit Endothelzellen besiedeln lassen, die sich wie ihre natürlichen Vorbilder verhalten. So würden sie beispielsweise auf Entzündungen ähnlich reagieren, indem sie durchlässiger werden – genau wie Blutgefäße im menschlichen Körper.

„Mit diesem Ansatz konnten wir ein Lebermodell mit Blutgefäßen ausstatten. In Zusammenarbeit mit der Keio-Universität (Japan) haben wir ein Leberläppchen auf einem Chip entwickelt, das ein kontrolliertes 3D-Gefäßnetzwerk enthält, das die Anordnung der Zentralvene und Sinusoide in vivo genau nachahmt“, resümiert Aleksandr Ovsianikov.

Winzige Gewebestrukturen auf einem Chip erzeugen

„Die Nachbildung der dichten und komplexen Mikrogefäße der Leber war lange Zeit eine Herausforderung in der Organ-on-Chip-Forschung. Durch den Aufbau mehrerer Schichten von Mikrogefäßen, die das gesamte Gewebevolumen durchziehen, konnten wir eine ausreichende Nährstoff- und Sauerstoffversorgung sicherstellen – was wiederum zu einer verbesserten Stoffwechselaktivität im Lebermodell führte. Wir glauben, dass diese Fortschritte uns einen Schritt näher an die Integration der Organ-on-a-Chip-Technologie in die präklinische Arzneimittelforschung bringen“, sagt auch Masafumi Watanabe (Keio-Universität).

Prof. Ryo Sudo von der Keio-Universität erklärte, dass sich die Organ-on-a-Chip-Technologie gut mit moderner Lasertechnologie kombinieren lasse, um verlässlichere Modelle von Blutgefäßen und Lebergewebe zu entwickeln. Ein wichtiger Fortschritt sei dabei die Möglichkeit, winzige Gewebestrukturen auf einem Chip zu erzeugen, durch die Flüssigkeit fließen könne – ähnlich wie Blut im menschlichen Körper. Dies ermögliche es den Forschenden besser zu verstehen, wie der Blutfluss die Zellen beeinflusse. Außerdem biete die Organ-on-a-Chip-Technologie die Möglichkeit, Zellreaktionen direkt unter dem Mikroskop zu beobachten. Diese Modelle könnten künftig helfen, die Vorgänge im Körper besser zu erforschen und dadurch zu verbesserten Therapien und einer besseren medizinischen Versorgung beizutragen.

Ein Beitrag von:

  • Alexandra Ilina

    Redakteurin beim VDI Verlag. Nach einem Journalistik-Studium an der TU-Dortmund und Volontariat ist sie seit mehreren Jahren als Social Media Managerin, Redakteurin und Buchautorin unterwegs.  Sie schreibt über Karriere und Technik.

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