Frankfurter "Cube" 15.11.2025, 14:00 Uhr

Umgebautes Dixi-Klo als Antwort auf den Ärztemangel

Umgebaute Toilettenhäuschen als Behandlungszimmer: Was nach einer skurrilen Notlösung klingt, entwickelt sich in ganz Europa zu einer ernsthaften Antwort auf den Ärztemangel. Ob Start-ups aus Finnland oder Unikliniken aus Deutschland – die 500-€-Kabinen zur Telemedizin werden immer beliebter.

Toilettenhäuschen mit Telemedizin-Funktion an der Aachener Uniklinik. Foto: Uniklinik RWTH Aachen

Toilettenhäuschen mit Telemedizin-Funktion an der Aachener Uniklinik.

Foto: Uniklinik RWTH Aachen

Medizinische Kabinen in Gestalt umgebauter Dixi-Klos sind die neue Antwort auf den Ärztemangel. Herzcheck und Blutdruckmessung gibt es hier vollautomatisch. In Frankfurt steht die erste Kabine dieser Art in Deutschland. In Frankreich und Finnland sind es schon viel mehr.

Der Frankfurter „Cube“

Es ist das wohl kleinste Behandlungszimmer der Welt: ein umgebautes Toilettenhäuschen im Eingangsbereich der Herzklinik des Universitätsklinikums Frankfurt. Seit April dieses Jahres untersucht die Kabine willige Besucher vollautomatisch. Drinnen stecken sie den Arm entsprechend der Anweisungen in eine Röhre. Über eine umliegende Manschette wird der Blutdruck gemessen. Anschließend kommen beide Hände auf eine Sensorplatte.

Ein Elektrokardiogramm wird aufgezeichnet. Bei Herzrhythmusstörungen würde die Kabine den Besucher vor einem Risiko warnen. Auch Gewicht und Körperfett detektieren Geräte in der autonomen Untersuchungskabine. Am Ende erhält der Besucher ein Risikoprofil – ganz altmodisch auf Papier. Wenn einer der Werte aus dem normalen Rahmen fällt, meldet sich das angebundene Herzzentrum später beim Patienten und bittet ihn zur Visite.

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„Cube“ hat die Universitätsklinik Frankfurt die telemedizinische Kabine getauft. Mehr Prävention und künftig eine Entlastung des Personals erhofft sie sich von der neuen Technik. Diese stammt vom finnischen Start-up MediCubix in Helsinki. Die umgerüsteten Toilettenhäuschen sind in dem skandinavischen Land schon weiter verbreitet.

Blick in das Innere einer Aachener Telemedizin-Kabine. Foto: Uniklinik RWTH Aachen

Blick in das Innere einer Aachener Telemedizin-Kabine.

Foto: Uniklinik RWTH Aachen

Drei Hersteller, eine Idee

Der Hersteller aus dem Norden ist aber nicht der Einzige, der ein umgebautes Toilettenhäuschen gegen den Arztmangel anpreist. Die Uniklinik der RWTH Aachen hat eine ebensolche Box entwickelt. Sie werkelt probeweise bei verschiedenen Festivals. Im Nachbarland Frankreich unterhält das Start-up box médicale 13 Kabinen im ganzen Land. Bis Februar 2026 soll die Zahl auf 100 anwachsen, lässt Unternehmenschef Sébastien Touchais wissen.

„Wenn die Menschen beim Arzt anrufen und keinen Termin bekommen, gehen sie in die Box“, sagt er. „Das ist allemal besser als nichts.“ In Frankreich sind die Folgen des Ärztemangels seit Langem drastischer zu spüren als in Deutschland. Die Lebenserwartung in den sogenannten medizinischen Wüsten des Landes – so heißen die Gegenden ohne Ärzte – ist um ein Jahr niedriger als im Landesdurchschnitt.

Mehr Patienten, weniger Ärzte

Finnland stellt sich auf ähnliche Verhältnisse ein. Es hat eine der am schnellsten alternden Bevölkerungen weltweit. „Auf immer mehr ältere Patienten kommen immer weniger Ärzte“, beklagt Oberarzt Andreas Follmann von der Universitätsklinik der RWTH Aachen das Grundproblem.

Allen dreien – Follmann, box médicale und MediCubix – fiel unabhängig voneinander dieselbe Lösung ein: eine Telemedizinkabine, eingebaut in ein Toilettenhäuschen. „Wir wollten erst eine Telefonzelle nehmen. Aber Toilettenhäuschen sind mit 500 € unschlagbar günstig“, erzählt Follmann. „Sie sind breit verfügbar und vor allem gibt es eine Logistik, sie überall schnell aufzustellen.“ Per Helikopter, Boot oder Lkw könnten sie beispielsweise in wenigen Stunden in Katastrophengebieten ihren Dienst aufnehmen.

Retterinnen in der Not

In dem öffentlich geförderten deutschen Forschungsprojekt denken Follmann und seine Partner vor allem an die Notfallhilfe: Sie haben die Flutkatastrophe im Ahrtal vor Augen, als Ärzte und Krankenhäuser für die Menschen nicht erreichbar waren. Über die Box könnten chronisch Kranke und auch Notfälle immer eine Erstversorgung bekommen.

„Man kann diese Boxen auch bei den Katastrophenstützpunkten etwa der lokalen Feuerwehr aufstellen, damit die Leute erst einmal rudimentär versorgt sind“, führt Follmann aus. Auf dem Dach seiner Telemedizinkabine ist eigens ein Solarpanel für die autarke Stromversorgung und eine Satellitenantenne angebracht, damit die medizinischen Daten auch dann noch übertragen werden, wenn das Mobilfunknetz zusammengebrochen ist.

Wichtig ist Follmann, dass sein Prototyp einer Telemedizinkabine zwar vollautomatisch Blutdruck und Fieber misst, aber das alles parallel von einem Arzt betreut wird. Der Doktor schaltet sich über einen Bildschirm dazu. Genauso hält es das Start-up box médicale in Frankreich.

Ärztliche Unterstützung aus der Ferne

Anders die finnische Variante: Sie arbeitet ganz autonom. Die Daten vom EKG bis zum Blutzuckergehalt in der Haut werden vollautomatisch ausgewertet und erst später, zeitversetzt, von Ärzten beurteilt.

Follmann hält die ärztliche Begleitung für nötig: „Wir haben in der Kabine ein Stethoskop, das über ein Mikrofon die Atemgeräusche aufzeichnet, wenn man es an bestimmte Punkte auf der Brust hält. Das funktioniert zuverlässiger mit einem Arzt, der einen anleitet. Und auch, wenn man die Kamera in den Gehörgang einführen soll, ist das für Laien schwer. Aber der Arzt kann online helfen.“

Für die telemedizinische Versorgung hat box médicale zwei Kooperationspartner engagiert, die zusammen über fast 2000 angestellte Ärzte verfügen, so Touchais: „Der nächste freie Arzt übernimmt, wie bei einer Taxifahrt.“

Sind wirklich so viele Ärzte per Telemedizin verfügbar, wo doch Mangel im Land herrscht? Bisher sei es so, dass die Leute ihre Gesundheitskarte einlesen lassen und höchstens 15 min warten, versichert Touchais. Aber er räumt ein: Man werde sehen, wie sich die Gesundheitsversorgung per Box entwickle, wenn das System weiterwächst.

Die Kabinen bieten, was für eine Erstversorgung nötig ist. Foto: Uniklinik RWTH Aachen

Die Kabinen bieten, was für eine Erstversorgung nötig ist.

Foto: Uniklinik RWTH Aachen

Interesse wächst rasant

Rund zehn Anfragen aus Deutschland habe box médicale erhalten, so Touchais. Die Anbieter seien interessiert, die Kabinenlösung auch hierzulande auszurollen. „Wir müssen erst eine Fabrik zur rascheren Fertigung der Kabinen in Frankreich bauen und ein Lager für die medizinischen Materialien, die in den Kabinen vorrätig sind. Das ist derzeit unsere oberste Priorität. Aber die Vermarktungszeit für unsere Idee ist jetzt. Deshalb müssen wir schneller sein, in einem halben bis einem Jahr. Sonst machen es andere“, urteilt Touchais.

Keine Frage, das finnische Modell ist seine Konkurrenz. Denn es funktioniert ganz ohne Beisein eines Arztes und ist damit womöglich noch flexibler. In Finnland setzt das Unternehmen auf Arbeitgeber und Berufskrankenversicherer. Im Oktober hat das Start-up Verträge zur Versorgung des Landes mit seinen Stationen im Wert von 4 Mio. € über vier Jahre unterzeichnet.

Blutentnahme in der Kabine?

Eine Station befindet sich bereits am Standort eines Kernkraftwerks auf der Insel Olkiluoto an der Westküste Finnlands. „Wir konzentrieren uns auf die Früherkennung von Herzkrankheiten und Diabetes“, sagt Kostamo. Denn Ersteres seien die tödlichsten Leiden, und Diabetes sei die teuerste Erkrankung. Deshalb misst die Kabine auch den Blutzucker in der Haut – die Standardmessung im Blut geht indes nicht. Sie würde medizinisches Personal zum Abnehmen einer Blutprobe erfordern.

Wobei der Boom der Kabinen berührungslosen Messungen einen Schub verleihen dürfte: „Wir haben überlegt, ob wir in unserer Kabine auch eine Blutprobe nehmen: Es gibt nämlich frei verkäufliche Pflaster, in denen sich feine Nadeln befinden. Sobald man sie auf die Haut drückt, nimmt das Pflaster selbst etwas Blut auf. Die Probe könnte eine Drohne ins Labor fliegen“, skizziert Follmann. Doch das futuristische Szenario hätte das Budget gesprengt.

Ein Beitrag von:

  • Susanne Donner

    Susanne Donner ist studierte Chemikerin und schreibt als Wirtschaftsjournalistin über Technik- und Medizinthemen u. a. für die Wirtschaftswoche, GEO, FAZ und ingenieur.de.

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