Überwachungssoftware 06.10.2025, 11:33 Uhr

Palantir in Deutschland: Polizei schwärmt, Datenschützer warnen

Palantir spaltet Deutschland: Polizei feiert Erfolge, Kritiker warnen vor Datenrisiken. Was steckt hinter der US-Software?

Palantir

Die Überwachungssoftware des US-Riesen Palantir: Für Befürworter ist sie eine große Ermittlungshilfe, Kritiker sehen in der Software ein Tool für unzulässiges Ausspähen.

Foto: picture alliance/NurPhoto/Jonathan Raa

Als „aktuell alternativlos“ bezeichnet Florian Leitner die Überwachungssoftware von Palantir im Interview mit dem Radiosender Bayern 2. Leitner ist der bayerische Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft. Als „maximal fahrlässig“ bezeichnet Konstantin von Notz, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag und im Digitalen geschulter Politiker, den Einsatz von Palantirs Produkten bei deutschen Behörden. Seit Monaten wird hierzulande über das US-Unternehmen gestritten.

Der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hatte angekündigt, den Einsatz der Software bei Polizei und Geheimdiensten prüfen zu lassen. Seine Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD) war ebenso dagegen wie die jetzige Justizministerin Stefanie Hubig (SPD). Um zu verstehen, worum es in der Diskussion geht, muss man einige Fakten kennen.

Palantir und die Geschichte von den „sehenden Steinen“

Palantir Technologies ist ein Software-Unternehmen aus Denver, Colorado. Es wurde 2003 von dem in Deutschland geborenen US-Unternehmer Peter Thiel gegründet. Für Literatur- und Filmnerds: „Palantiri“ sind die „sehenden Steine“ aus J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“. Über sie lassen sich Ereignisse betrachten, die in Raum und/oder Zeit weit entfernt voneinander stattfinden. Thiel hat auch alle Bürostandorte von Palantir nach Orten aus den Romanen benannt.

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Ziel der Firma ist es nach eigenen Worten Terrorismus zu verringern und dabei bürgerliche Freiheiten zu bewahren. Dazu entwickelt das Unternehmen Softwareprodukte, mit denen es möglich ist, große Datenmengen miteinander zu verknüpfen und zu analysieren. Zunächst begann Palantir aber etwas kleiner damit, Betrugsfälle in staatlichen Hilfsprogrammen aufzudecken. Seit 2010 nutzt die US-Regierung Palantirs Software dafür. Die Kundenliste war lange geheim, seit 2013 ist aber bekannt, dass Palantir seine Software unter anderem an CIA, FBI, NSA und verschiedene Abteilungen des US-Militärs liefert. Bis 2020 wuchs Palantir so zu einer der wertvollsten Tech-Konzerne der Welt. Zu diesem Zeitpunkt ging die Firma an die Börse. Der Aktienkurs ist seitdem um fast 2000 % gestiegen, Palantir ist heute umgerechnet 373 Mrd. € wert.

Was kann die Software von Palantir?

Palantir vermarktet heute mehrere Softwareprogramme für Behörden und Privatunternehmen. Das Produkt, um das es in der Diskussion meist geht, nennt sich Gotham nach der Stadt, in der die Abenteuer von Batman stattfinden. Gotham ist ein 2008 veröffentlichtes Programm für Militär, Polizei und Geheimdienste. Die Stärke dieses Programms liegt darin, dass es Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenfügen kann. Im Prinzip ist Gotham eine Plattform, an die andere Datenbanken oder Datenquellen angeschlossen werden. Gotham belässt diese Daten in ihren ursprünglichen Systemen, harmonisiert aber ihre Darstellung auf der Plattform. So können etwa Videos, Texte, Bilder, Social-Media-Posts und Sensordaten gleichermaßen ausgewertet werden. Dazu gehört ein mächtiges Abfrage- und Analysetool, dass Daten auch aus großen Mengen findet und zusammenfasst.

Geheime Querverbindungen für Ermittlungserfolge

Da das sehr abstrakt klingt, hier ein reales Beispiel: 2013 ermittelte die Polizei von New Orleans in den USA gegen das durch verschiedene Gangs organisierte Verbrechen in der Stadt. Einige Gangmitglieder konnten die Ermittler auf herkömmliche Weise identifizieren, doch weitere Verdächtige zu ermitteln und Verbindungen zu den Gangs zu beweisen, war schwer. An dieser Stelle half Gotham.

Gibt ein Polizist etwa das Autokennzeichen eines identifizierten Gangmitglieds ein, durchsucht Gotham sämtliche angeschlossenen Datenquellen. Danach liefert die Software Fotos aus Facebook und Instagram, Schnipsel aus polizeilichen Überwachungskameras und aus anderen Bereichen, wo dieses Kennzeichen auftaucht. Das können auch Texte aus Gerichtsdokumenten und vieles mehr sein.

Das Palantir-Programm kann gleich auch analysieren, welche anderen Personen häufig in Verbindung mit dem Auto auftauchen – und damit potenzielle Verdächtige sind. Nach einer Recherche des Magazins „The Verge“ gelang es der Polizei von New Orleans und dem FBI so, mehr als ein Dutzend Gangmitglieder zu verhaften und anzuklagen, denen unter anderem zusammen mehr als 25 Morde, mehrere versuchte Morde und zahlreiche Raubverbrechen zur Last gelegt wurden.

Darum steht Palantir in der Kritik

Palantir wird vor allem aus zwei Gründen kritisiert. Der eine ist die große Geheimhaltung, die das Unternehmen um sich selbst hegt. Dabei geht es nicht nur darum, dass öffentlich wenig über die genauen Funktionsweisen der Software bekannt ist. Das ließe sich schließlich noch damit rechtfertigen, dass Verbrecher keine Chance haben sollten, das System auszuspielen. Palantir macht jedoch auch ein großes Geheimnis darum, mit wem es wie zusammenarbeitet und welche Daten es wie verarbeiten kann.

Als die Polizei das Programm 2013 in New Orleans erfolgreich einsetzte, wussten zum Beispiel nicht einmal die Stadträte, dass die Stadt überhaupt mit Palantir zusammenarbeitete. Der Deal lief über eine wohltätige Organisation statt direkt über Palantir – und über den Bürgermeister statt über den Stadtrat. Das ist laut „The Verge“ nicht der einzige Fall in den USA, in dem der Tech-Riese sich im Geheimen ausbreitete. Zwar sind solche Szenarien in Deutschland nicht denkbar, weil die Landes- und Bundesinnenminister hier den Einsatz solcher Software generell genehmigen müssten, aber es hinterlässt einen schalen Geschmack darauf, wie Palantir geschäftlich agiert.

Der zweite große Kritikpunkt ist der Datenschutz. Immerhin kann Palantir riesige Datenmengen durchforsten. Darunter sind – das liegt in der Natur der Sache – viele Daten über Menschen, die nichts mit dem jeweils zu untersuchenden Fall zu tun haben. Wie Palantir diese Daten auswählt und auswertet, ist aber nicht bekannt. Der Quelltext von Gotham ist nicht öffentlich. „Wir sehen vor allem einfach das Risiko, dass grundrechtssensible Daten von Menschen eingespeist in Softwareanalyse werden, deren Funktionsweise wir nicht einsehen können und bei der wir nicht ausschließen können, dass sie fehlerbehaftet sind“, sagt etwa Franziska Görlitz von der Gesellschaft für Freiheitsrechte im Deutschlandfunk.

Deutsche Daten für US-Geheimdienste?

Es besteht auch die Angst, dass die Software Hintertüren besitzt, über die Palantir-Mitarbeitende Daten aus Deutschland abgreifen und zum Beispiel an US-Geheimdienste verkaufen können. Das Unternehmen selbst bestreitet das, alle Daten würden rein lokal verarbeitet. Das bayerische Innenministerium ließ die Software vom Fraunhofer-Institut checken. Auch dabei wurden keine Hintertüren gefunden.

Hier späht Palantir bereits für deutsche Behörden

Einige Bundesländer nutzen Palantir-Software bereits. Bayern setzt dabei eine abgespeckte Version von Gotham ein. Die soll etwa bei den Ermittlungen zu den Mitgliedern der Reichsbürger-Vereinigung um „Prinz Reuß“ geholfen haben. In Hessen wurde bis 2023 sogar die Vollversion von Gotham unter dem Namen „HessenData“ genutzt. Dann urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass etwa die Daten von Opfern dabei nicht ausreichend geschützt wurden. Hessen überarbeitete daraufhin den Einsatz. Opfernamen werden jetzt zum Beispiel durchgehend geschwärzt. Auch andere Features wurden angepasst, sodass HessenData weiter genutzt werden darf. Zudem benutzt Nordrhein-Westfalen ebenfalls eine angepasste Version von Palantir.

Warum die Polizei die Palantir-Lösung will

Trotzdem bleibt Sorge darüber, wie Palantir Verbindungen zwischen Menschen aus Daten herstellt. „Macht die Software das auf eine Art und Weise, die mich vielleicht rassistisch diskriminiert, bestimmte Merkmale miteinbezieht, die sie nicht einbeziehen soll?“, fragt sich Görlitz. Ohne öffentliche Einsicht in die Funktionsweise blieben zu viele Fragen offen.

Polizei und andere Ermittlungsbehörden in Deutschland sind von Palantir begeistert. Schon seit Langem wollen sie eine Plattform, mit der sich die unterschiedlichen Datensysteme der 16 Landespolizeibehörden, von Gerichten und aus anderen Quellen vereinheitlichen lassen. „Palantir ist derzeit das einzig funktionierende System“, sagt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Dirk Peglow, gegenüber der Tagesschau.

Es gibt europäische Alternativen

Das ist allerdings nicht richtig, es gibt auch Alternativen zu Palantir, auch aus Europa. Aus Irland etwa stammt ein System namens „Siren“, das nach eigenen Angaben ebenso mächtige Funktionen hat wie Palantirs Software. Ermittler bezweifeln das, aber da beide Produkte nicht öffentlich einsehbar sind, ist das für Außenstehende kaum zu überprüfen. Trotzdem gibt es auch Bundesländer, die nicht auf Palantir setzen wollen.

Schleswig-Holstein etwa sucht aktiv nach Alternativen. Man wolle sich nicht abhängig machen von einem US-Produkt, begründet das der innenpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Jan Kürschner. Auch die Nutzung von Microsoft Office wird deswegen im Norden überprüft.

Am Ende doch Palantir?

Am Ende könnte es auf einen Kompromiss hinauslaufen. Die Innenministerkonferenz beschloss im Juni, eine europäische Alternative zu Palantir suchen zu wollen. Bis diese gefunden sei, soll übergangsweise eine andere Software genutzt werden, die in Deutschland schon im Einsatz sei. Namentlich genannt wurde Palantir dabei nicht, doch darauf dürfte es hinauslaufen.

Hessens Innenminister warnt vor Verzicht

Der hessische Innenminister Roman Poseck (CDU) hat sich am Sonntag, den 5. Oktober klar für den weiteren Einsatz der Analyse-Software des US-Unternehmens  ausgesprochen. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erklärte er, dass ein Verzicht eine „spürbare Sicherheitslücke“ hinterlassen würde.

Poseck betonte, dass Palantirs Lösung derzeit ohne echte Alternative sei und bereits konkrete Erfolge gebracht habe: So sei mit „Hessendata“ ein Terroranschlag verhindert, Geldautomatensprengungen aufgeklärt und weitere verhindert worden. Auch die Ermittlungen gegen die sogenannte Reichsbürger-Gruppe um „Prinz Reuß“ seien maßgeblich durch die Software unterstützt worden.

Gleichzeitig räumte Poseck ein, dass Europa bei digitaler Souveränität Nachholbedarf habe und forderte mehr Eigenentwicklungen der IT-Branche.

„Insgesamt bin ich zuversichtlich, dass es schon bald entsprechende europäische Lösungen geben wird“, so der Innenminister.

Bis jedoch eine konkurrenzfähige europäische Lösung existiere, setze er im Interesse der Sicherheit auf den hessischen Sonderweg.

Ein Beitrag von:

  • Christoph Sackmann

    Christoph Sackmann, geboren 1983 in Dortmund, studierte Geschichte und Soziologie und absolvierte von 2010 bis 2012 ein Volontariat bei Hubert Burda Media an der Journalistenschule in München.
    Davor, währenddessen und danach schrieb er unter anderem für die „WAZ“, die „Neue Westfälische“, „Chip“, den „FOCUS“ und „FOCUS Online“. Zudem entwickelte er das Lifestyle-Magazin „treat“ und leitete ein Jahr lang das Portal „Finanzen100.de“.
  • Tim Stockhausen

    Tim Stockhausen ist Volontär beim VDI Verlag. 2024 schloss er sein Studium der visuellen Technikkommunikation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg ab. Seine journalistischen Interessen gelten insbesondere Künstlicher Intelligenz, Mobilität, Raumfahrt und digitalen Welten.

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