„Wärmewende im Blindflug“: Studie offenbart Planungslücken
Deutschlands Kommunen planen ihre Wärmewende höchst unterschiedlich – und mit unrealistischen Zahlen. Das zeigt das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in einer Analyse der ersten 342 Pläne. Was die Experten nun fordern.
Bis 2045 sollen Kommunen klimaneutral heizen.
Foto: panthermedia.net/Marc Mielzarjewicz
Seit Januar 2024 sind alle Kommunen in Deutschland verpflichtet, einen Wärmeplan zu erstellen. Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern müssen bis zum 30. Juni 2026 liefern, kleinere Kommunen haben bis zum 30. Juni 2028 Zeit. Mit den Wärmeplänen sollen Kommunen zeigen, wie sie ihre Wärmeversorgung bis spätestens 2045 klimaneutral gestalten wollen.
Die Wärmewende nimmt also Fahrt auf – beruht jedoch vielerorts auf unsicheren Fakten. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), in der erstmals 342 kommunale Wärmepläne systematisch ausgewertet wurden.
Die Pläne unterscheiden sich laut BBSR massiv in puncto Methodik, Datenqualität und Informationstiefe. Hinzu kommt: Viele Kommunen rechnen mit Annahmen, die unrealistisch sein dürften.
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Das Sanierungsproblem: Wunsch trifft auf Wirklichkeit
Wie viel Wärme brauchen wir in Zukunft? Diese Frage ist zentral für die Wärmeplanung, aber viele Kommunen dürften sie falsch beantworten. Der Grund: Sie gehen laut BBSR im Schnitt davon aus, dass jährlich 2 % aller Wohngebäude energetisch saniert werden – Kommunen wie das bayerische Abensberg rechnen gar mit 4 %. Tatsächlich lag die Quote bisher aber nur bei unter 1 %.
Was nach einem kleinen Unterschied klingt, hat in der Realität große Folgen. Denn je mehr Sanierungen die Kommunen einplanen, desto geringer fällt der angenommene Wärmebedarf aus. „Dies hat zur Folge, dass Wärmenetze und Heizkapazitäten möglicherweise zu klein dimensioniert werden“, erklärt BBSR-Autor Martin Ammon.
Ein Beispiel: Plant eine Kommune mit 2 % Sanierungsrate statt den realistischeren 1 %, kalkuliert sie nach 20 Jahren mit 40 % sanierten Gebäuden – tatsächlich dürften es aber nur 20 % sein. Die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Heizungsanlagen und Wärmenetze wären dann zu klein für den realen Bedarf.
Bauwirtschaft am Limit
Doch selbst wenn Eigentümer sanieren wollen und die Kommunen richtig planen, bleibt ein Problem: Es fehlt an Personal. Die Auslastung im Baugewerbe lag laut BBSR 2023 bereits bei 74 %, im Maximum waren es rund 85 %. Die von vielen Kommunen einkalkulierte Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Sanierungsrate erscheint vor diesem Hintergrund unealistisch.
„Die Wärmewende wird vielerorts noch im Blindflug umgesetzt“, kritisiert Andreas Müller vom Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK). „Die Basisstudie zeigt einmal mehr, dass die Wärmewende nicht über unverbindliche Wärmepläne entschieden wird.“ Sein Verband rät Eigentümern, frühzeitig in eine erneuerbare Wärmeerzeugung zu investieren und nicht auf die Entscheidungen der Kommunen zu warten.
Große Unterschiede zwischen den Planungen
Die BBSR-Studie offenbart weiterhin massive Unterschiede zwischen den kommunalen Wärmeplänen:
- Der Wärmeverbrauch pro Einwohner schwankt zwischen 2400 kWh in der Gemeinde Rust und 20.000 kWh in der Gemeinde Sylt.
- Der Umfang der Pläne reicht von zwölf Seiten (Flensburg) bis rund 300 Seiten (Verbandsgemeinde Rhein-Mosel).
- Die Zieljahre reichen von 2030 bis 2045 – die meisten Kommunen peilen 2040 an.
- Die Umsetzungsdauer liegt meist zwischen 18 und 23 Jahren, real aber oft nur 15 bis 20 Jahre (weil das Basisjahr der Daten bereits zwei bis vier Jahre zurückliegt).
„Aufgrund fehlender Angaben und stark variierender Darstellungen sind die Ergebnisse vieler Wärmepläne schwer nachzuvollziehen“, bemängelt Studien-Autor Ammon.
Vervierfachung der Wärmenetze geplant
Ein weiterer Befund der Studie: Wärmenetze – also Fern- und Nahwärmesysteme, die Wärme zentral erzeugen und über Leitungen verteilen – spielen in den kommunalen Strategien die zentrale Rolle zur Erreichung der Klimaziele. Während sie derzeit nur 9 % des Wärmebedarfs decken, soll ihr Anteil bis 2045 auf durchschnittlich 37 % steigen – eine Vervierfachung.
Biomasse und Wärmepumpen sind dabei die beliebtesten Technologien für den Betrieb dieser Netze. Wasserstoff spielt dagegen kaum eine Rolle: Nur 30 von 342 Plänen setzen auf den Energieträger – und das meist nur in geringem Umfang. Anders ist es zum Beispiel in der Stadt Coesfeld, die mit 40 % Fernwärme aus Wasserstoff kalkuliert – allerdings mit der Voraussetzung, dass vor Ort ein lokales H2-Netz entsteht.
„Alle im § 71 GEG genannten Erfüllungsoptionen werden aber in der Fläche entscheidend sein, um Klimaziele bezahlbar und flexibel zu erreichen“, betont Andreas Müller vom ZVSHK .
Hürden für die Umsetzung
In allen Kommunen steht die konkrete Umsetzung der Wärmepläne vor ähnlichen Herausforderungen: fehlende Fachkräfte, lange Genehmigungszeiten sowie hohe Investitionsbedarfe für Netze, Speicher und Gebäude. Rechnet man Verzögerungen ein, bleiben laut Studie nur rund 15 Jahre für die Umstellung.
Einzelne Kommunen wie die Stadt Pforzheim geben mittlerweile zu, dass ihre Ziele „sehr ambitioniert“ sind. Noch problematischer: Einige Wärmepläne weisen trotz des erklärten Ziels der Klimaneutralität signifikante Anteile fossiler Energieträger im Zieljahr aus. Die bayerische Stadt Hilpoltstein plant zum Beispiel im Zieljahr 2040 noch etwa 40 % der Wärmeversorgung mittels Erdgas und Erdöl bereitzustellen.
Was die Experten fordern
Damit die Wärmewende gelingt, empfehlen die BBSR-Forscher:
- Standardisierung der Wärmepläne für bessere Vergleichbarkeit
- Realistische Annahmen bei Sanierungsraten statt pauschaler Literaturwerte
- Plausibilitätsprüfungen durch unabhängige Stellen
- Regelmäßige Fortschreibungen der Pläne mit Anpassung an die Realität
Die BBSR-Forscher wollen die Entwicklung der kommunalen Wärmepläne weiter beobachten. Zwar sind deutschlandweit 10.753 Kommunen zur Wärmeplanung verpflichtet, doch da viele kleinere Gemeinden gemeinsam planen, werden etwa 3000 Pläne erwartet. Bislang liegen davon rund 340 öffentlich vor – gut ein Zehntel.
Klar ist: Eine realistische Planung wäre nur der Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Wärmewende. Denn ob die Kommunen ihre Pläne angesichts fehlender Fachkräfte, straffer Zeitpläne und knapper Budgets tatsächlich umsetzen können, steht auf einem anderen Blatt.
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