Söders Mini-AKW-Offensive: Was technisch geht – und was nicht
Mini-AKWs sollen Deutschlands Energie retten. Doch taugen SMR wirklich etwas? Ein Blick auf Technik, Kosten, Sicherheit und Söders Forderung.
Markus Söder träumt von Mini-Atomkraftwerken, ignoriert jedoch, dass es derzeit noch überhaupt keine solcher SMRs gibt.
Foto: picture alliance/dpa | Fabian Sommer
Markus Söder fordert eine Rückkehr zur Kernkraft – aber im Kleinformat. Small Modular Reactors (SMR) sollen günstige Energie liefern, schnell gebaut werden und die Industrie absichern. Doch viele Konzepte existieren nur als Simulation.
Die internationalen Projekte zeigen: Die Technik steckt fest zwischen politischem Wunsch und technischer Realität. Großbritannien startet zwar ein großes SMR-Programm mit Rolls-Royce, doch selbst dort fließt frühestens Mitte der 2030er-Jahre Strom. Für Deutschland stellt sich deshalb die Frage: Ist Söders Forderung Vision oder Ablenkung?
Inhaltsverzeichnis
- Söders Diagnose: „Wir kaufen Atomstrom, lehnen ihn aber daheim ab“
- Was steckt hinter der Idee? Ein Blick auf SMR
- Die große Spannweite der Konzepte – und ihre Probleme
- Wer baut überhaupt schon? Der Blick in die Welt
- Großbritanniens SMR-Offensive
- Kleiner gleich sicherer?
- Und die Kosten? Der kritische Punkt
- Das Zeitproblem: Kann SMR das Klima retten?
Söders Diagnose: „Wir kaufen Atomstrom, lehnen ihn aber daheim ab“
Deutschland diskutiert wieder über Atomkraft. Dieses Mal geht es nicht um riesige Kraftwerksblöcke wie Isar oder Emsland, sondern um kleinere, modulare Reaktoren. Markus Söder nennt sie „Mini-Meiler“ und fordert, die komplette deutsche Energiepolitik daran auszurichten. Unter dem Strich lautet seine Diagnose: Das Land stehe sich selbst im Weg.
In der „Welt am Sonntag“ sagt er: „Wir kaufen Frackinggas aus den USA, wollen bei uns aber nicht nach Gas bohren. Wir kaufen Atomstrom aus Frankreich und Tschechien, lehnen aber Kernkraft bei uns ab.“ Das sei widersprüchlich. Sein Vorschlag: Small Modular Reactors sollen die Lücke zwischen politischem Anspruch und industrieller Realität schließen.
Was steckt hinter der Idee? Ein Blick auf SMR
Small Modular Reactors arbeiten nach dem gleichen Prinzip wie klassische Kernkraftwerke: Spaltung erzeugt Wärme, die Turbinen antreibt. Der Unterschied liegt in der Größe. Ein typischer SMR liefert weniger als 300 MW elektrische Leistung. Zum Vergleich: Ein traditionelles Großkraftwerk bringt meist über 1000 MW.
Die Industrie wirbt mit einer einfachen Gleichung: klein = einfacher = schneller = billiger. SMR sollen in Fabriken vorgefertigt, an den Standort transportiert und dort nur noch zusammengesetzt werden. Das reduziert Bauzeit und Risiken. Zumindest theoretisch.
Doch der Begriff SMR umfasst eine ganze Sammlung an Konzepten. Christoph Pistner vom Öko-Institut sagt dazu: „Small Modular Reactor ist eigentlich ein Sammelbegriff für Atomkraftwerke, die weniger als 300 Megawatt elektrischer Leistung haben.“ Mehr Gemeinsamkeit gebe es kaum.
Die große Spannweite der Konzepte – und ihre Probleme
Weltweit konkurrieren über 100 Reaktordesigns. Einige setzen auf bekannte Druckwassertechnik. Andere wollen ganz neue Wege gehen: Salzschmelzen, flüssiges Blei oder Natrium als Kühlmittel. Diese Varianten klingen nach Hightech, bringen aber neue Herausforderungen.
- Salzschmelzen greifen Metall an.
- Flüssiges Natrium kann sich bei Lecks selbst entzünden.
- Flüssiges Blei ist stabil, aber schwer zu handhaben.
Pistner formuliert es so: „Materialfragen sind oft das Thema. Kühlmittel wie Natrium können bei Leckagen zu Bränden führen.“
Zusätzlich fehlen zentrale Bausteine der modernen SMR-Entwürfe. Dazu gehört HALEU, ein Brennstoff mit höherem Urananteil, der sicherer arbeiten soll – zumindest laut Industrie. Allerdings existiert weltweit kaum Produktionskapazität. Ohne HALEU bleiben viele Konzepte graue Theorie.
Wer baut überhaupt schon? Der Blick in die Welt
Söder möchte kleine Atomkraftwerke, „wie es sie bereits in Kanada gibt“. Doch dort befindet sich nach Angaben der kanadischen Regierung noch gar kein SMR im Betrieb. Es laufen nur vorbereitende Arbeiten für mögliche Anlagen. Realistisch gesehen könnte frühestens 2030 ein Reaktor ans Netz gehen.
Also lohnt der Blick über die Weltkarte:
- NuScale Power (USA): einst das Vorzeigeprojekt. Genehmigt, finanziert, mit Milliarden gefördert. Inzwischen gestoppt. Die Kosten explodierten von 5,3 auf 9,3 Mrd. Dollar. Es fand sich kein Markt für den Strom.
- Dual Fluid (Kanada/Deutschland): experimentelles Blei-Konzept. Pilotanlage in Ruanda, weil Genehmigungen in westlichen Staaten zu komplex seien.
- TerraPower (USA), gegründet von Bill Gates: Erste Baustelle in Wyoming. Aber ohne endgültige Baugenehmigung.
- China: baut mehrere Prototypen. Der ACP100 hat 2025 erste Kalttests bestanden.
Keines dieser Projekte speist heute Strom ins Netz. Nicht eines. Google und Amazon planen SMR für ihre Rechenzentren. Sie wollen Energie, die rund um die Uhr verfügbar ist. Aber auch hier gilt: Es existieren Verträge, keine fertigen Werke. Etwas konkreter wird es aktuell in England und mit Rolls-Royce.
Großbritanniens SMR-Offensive
Die britische Regierung hat bestätigt, dass in Wylfa (Nordwales) der erste kleine Rolls-Royce-Reaktor entstehen soll. Er soll rund drei Millionen Haushalte versorgen – ein klarer Startschuss für ein neues nationales Kernenergieprogramm. In einer Mitteilung heißt es: „Das ursprüngliche Projekt umfasst drei SMR-Einheiten, aber Great British Energy-Nuclear schätzt, dass der Standort potenziell bis zu acht Mini-Reaktoren beherbergen könnte.“
Das Projekt liegt in öffentlicher Hand. Great British Energy-Nuclear (GBE-N) übernimmt den Bau, Rolls-Royce liefert die 470-MW-Module, die komplett im Werk entstehen. Rolls-Royce erklärt: „Jeder SMR von Rolls-Royce wird 470 Megawatt kohlenstoffarme Energie erzeugen, was mehr als 150 Onshore-Windkraftanlagen entspricht.“
Politik und Industrie sprechen offen von einem langfristigen Umbau. Chris Cholerton, Chef von Rolls-Royce SMR, sagt: „Die heutige Ankündigung ist der erste Schritt in einem 100-jährigen Engagement für saubere Energie, Innovation und kommunale Partnerships in Wylfa.“
Baustart ist für 2026 geplant, Strom soll ab Mitte der 2030er-Jahre fließen. In der Spitzenphase entstehen rund 3000 Jobs, dazu kommen Milliarden an staatlichen Investitionen. Parallel prüft die Regierung weitere Projekte – darunter einen möglichen Großreaktor, der bis zu sechs Millionen Haushalte versorgen könnte.
Kleiner gleich sicherer?
Experte Thomas-Walter Tromm vom KIT hält kleinere Reaktoren für potenziell robuster. „Eine Evakuierung wäre bei Reaktoren dieser Größe praktisch ausgeschlossen.“ Der Grund sei die passive Kühlung. Der Reaktor kühlt sich selbst, wenn der Strom ausfällt.
Das klingt beruhigend. Tromm schränkt aber ein: „Physikalisch ausgeschlossen ist nie etwas.“ In der Sicherheitsdebatte bleibt also die gleiche Struktur wie früher: Das Risiko sinkt, aber es verschwindet nicht.
Und die Kosten? Der kritische Punkt
Hier wird es ungemütlich. Claudia Kemfert, Energieökonomin, wird deutlich: „Atomenergie ist mit Abstand die teuerste Art der Stromerzeugung.“ Mini-AKWs ändern daran nichts. Im Gegenteil. Die Skaleneffekte großer Kraftwerke gehen verloren.
Selbst optimistische Kostenschätzungen wie die von Dual Fluid – 2,1 bis 2,7 Cent pro kWh – klingen attraktiv. Aber sie gelten für Anlagen, die noch nicht existieren. Und die nötigen Fertigungstechnologien fehlen.
Realistische Zahlen sehen anders aus:
- NuScale: 89 Dollar pro MWh, trotz Milliardenförderung
- TerraPower: rund 26.000 Dollar pro Kilowatt Leistung
- AP300 (Westinghouse): bisher nur ein digitales Modell
Zum Vergleich: Solar + Speicher liegt bei etwa 45 Dollar pro MWh. Und diese Technik ist verfügbar.
Das Zeitproblem: Kann SMR das Klima retten?
Der Weltklimarat IPCC rechnet mit Atomkraft. Bis 2050 sollen weltweit 7000 TWh aus Kernenergie kommen. Aber die Realität hinkt hinterher. Das „Atomenergie-Szenarien-Paradox“ beschreibt genau das: Modelle und Realität laufen auseinander.
Kemfert bringt es nüchtern auf den Punkt: „Von kommerzialisierbaren Systemen sind wir noch mindestens ein bis zwei Jahrzehnte entfernt.“ Für den Klimaschutz sei das zu spät.
(mit dpa)
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