Japan fährt größtes Kernkraftwerk der Welt wieder hoch
Japan nimmt das größte Kernkraftwerk der Welt wieder in Betrieb. Kashiwazaki-Kariwa soll die Energieversorgung stabilisieren.
Japan reaktiviert 12 Jahre nach der Stilllegung das größte Kernkraftwerk der Welt (Symbolfoto).
Foto: PantherMedia / TTstudio
Japan kehrt bei der Energieversorgung einen weiteren Schritt zurück zur Kernkraft. Rund 15 Jahre nach der Katastrophe von Fukushima steht das größte Kernkraftwerk der Welt vor dem Wiederanfahren. Die Anlage Kashiwazaki-Kariwa an der Küste des Japanischen Meeres soll schrittweise wieder Strom liefern. Die politische Freigabe ist erfolgt, die technische Vorbereitung läuft seit Jahren. Der Schritt ist umstritten, aber energiepolitisch klar motiviert.
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Politisches Signal aus Niigata
Den entscheidenden Impuls lieferte die Präfektur Niigata. Das Regionalparlament stellte sich hinter die Entscheidung von Gouverneur Hideyo Hanazumi, den Start zu genehmigen. Damit fiel die letzte große politische Hürde. Ohne Zustimmung der Kommunen und der Präfektur wäre eine Rückkehr ans Netz kaum möglich gewesen.
Die nationale Atomaufsicht hatte bereits zuvor grünes Licht gegeben. Nach ihrer Einschätzung erfüllt die Anlage die nach Fukushima deutlich verschärften Sicherheitsauflagen. Mit dem Votum aus Niigata ist der Weg nun frei, zunächst einen der beiden modernsten Reaktorblöcke hochzufahren.
Rückblick: Stillstand seit Fukushima
Das Kraftwerk Kashiwazaki-Kariwa war seit 2012 komplett abgeschaltet. Der Grund lag nicht in einem eigenen Unfall, sondern in der politischen Reaktion auf den Super-GAU von Fukushima im Jahr 2011. Nach Erdbeben und Tsunami verlor das Kernkraftwerk Fukushima Daiichi Nuclear Power Plant die Kontrolle über mehrere Reaktoren. Japan zog die Notbremse. Alle 54 Reaktoren im Land gingen vom Netz.
Die Folgen waren spürbar. Das rohstoffarme Land deckt rund 90 % seines Energiebedarfs über Importe. Nach dem Atom-Aus stiegen die Ausgaben für Flüssigerdgas, Kohle und Öl deutlich. Strompreise kletterten, die Abhängigkeit vom Weltmarkt wuchs.
Vertrauen verspielt – und langsam zurückgewonnen
Kashiwazaki-Kariwa trägt zusätzliches Gepäck aus der Vergangenheit. Betreiber ist der Konzern Tokyo Electric Power Company, kurz Tepco. Genau dieses Unternehmen betrieb auch Fukushima Daiichi. Das Vertrauen in den Konzern gilt bis heute als beschädigt.
2021 stoppte die Atomaufsicht die Wiederinbetriebnahme. Der Grund war gravierend. Inspektoren stellten massive Sicherheitsmängel fest. Zugangskontrollen funktionierten nicht zuverlässig, Schutzmaßnahmen gegen Sabotage waren lückenhaft. Hinzu kam der Vorwurf, Tepco habe Probleme verschleiert. Die Aufsicht zog die Notbremse und untersagte den Neustart.
Seitdem lief ein umfassendes Nachbesserungsprogramm. Tepco ersetzte Sicherheitssysteme, verschärfte Kontrollen und setzte neue Organisationsstrukturen um. Erst nachdem diese Maßnahmen überprüft waren, erlaubte die Atomaufsicht wieder konkrete Schritte.
Brennelemente als technischer Meilenstein
Im Frühjahr 2024 begann der sichtbarste Teil der Vorbereitung. Tepco transportierte erstmals wieder Brennelemente aus den Lagerbecken in einen Reaktor. Insgesamt sollen 872 Brennstäbe in Block 7 eingebracht werden. Allein dieser Vorgang dauert rund sechs Wochen.
Die Beladung ist mehr als Routine. Sie markiert den Übergang von Planung zu konkretem Betrieb. Ohne diesen Schritt bleibt ein Kernkraftwerk ein Bauwerk aus Stahl und Beton. Erst mit Brennstoff wird es zur Stromquelle.
Was für ein Kraftwerk hier startet
Kashiwazaki-Kariwa ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall. Die Anlage liegt auf einem 4,2 km² großen Gelände in der Präfektur Niigata. Sie besteht aus sieben Reaktoren. Fünf davon liefern jeweils rund 1,1 GW elektrische Leistung. Zwei neuere Blöcke kommen auf jeweils 1.365 MW. Zusammen ergibt das 8,2 GW. Kein anderes Kernkraftwerk weltweit erreicht diese Leistung.
Zum Einsatz kommen sogenannte Siedewasserreaktoren. Dabei erhitzt die Kernspaltung Wasser direkt im Reaktordruckbehälter. Das Wasser beginnt zu sieden, der entstehende Dampf treibt Turbinen an. Anders als bei Druckwasserreaktoren gibt es keinen getrennten Dampferzeuger. Das System ist technisch einfacher, stellt aber hohe Anforderungen an Material und Sicherheit.
Block 6 macht den Anfang
Nach aktuellen Berichten soll Reaktorblock 6 als Erster wieder ans Netz gehen. Der Zeitpunkt wird für die kommenden Wochen erwartet. Block 7 folgt später. Die übrigen fünf Reaktoren bleiben vorerst außer Betrieb. Ob sie ebenfalls zurückkehren, hängt von politischen Entscheidungen und weiteren Prüfungen ab.
Japan hat inzwischen 14 der noch betriebsfähigen 33 Reaktoren wieder hochgefahren. Kashiwazaki-Kariwa wäre das erste Kraftwerk von Tepco, das nach Fukushima erneut Strom liefert. Das verleiht dem Projekt Symbolkraft.
Energiepolitik unter Druck
Der Neustart ist kein Einzelfall. Ende 2022 änderte Japan seine Energiepolitik grundlegend. Kernkraft gilt wieder als stabiler Baustein im Energiemix. Ziel ist es, Importkosten zu senken und gleichzeitig den CO₂-Ausstoß zu reduzieren.
Thermische Kraftwerke auf Basis von LNG fangen zwar Versorgungslücken ab, sind aber teuer. Zudem schwanken die Preise stark. Kernkraftwerke liefern dagegen konstant Strom. Für die Industrie ist das planbar. Für die Regierung ist es ein Argument in Zeiten geopolitischer Unsicherheit.
Widerstand bleibt
Trotz aller Genehmigungen bleibt der Widerstand in der Bevölkerung groß. Viele Menschen in der Region Niigata fürchten Erdbeben, Tsunamis und menschliches Versagen. Die Geschichte von Tepco verstärkt diese Sorgen.
Die Regierung setzt auf Transparenz und strenge Kontrollen. Ob das Vertrauen zurückkehrt, bleibt offen. Klar ist aber: Japan nimmt bewusst ein politisches Risiko in Kauf, um seine Energieversorgung zu stabilisieren.
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