Gasbohrungen vor Borkum – die Emotionen kochen hoch
Vor Borkum sind Gasbohrungen erlaubt. Sofortvollzug trotz Klagen, Proteste mit Klimacamp. Ab Dezember will One-Dyas loslegen.
Blick auf die Bohrinsel des niederländischen Unternehmens One-Dyas in der Nordsee. Nach dem Sofortvollzug könnte jetzt mit den Bohrungen begonnen werden.
Foto: picture alliance/dpa | Lars Penning
Vor der Nordseeinsel Borkum kochen die Emotionen hoch. Nach Jahren juristischer Auseinandersetzungen hat das niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) den Sofortvollzug für die geplante Erdgasförderung erteilt. Damit darf der niederländische Energiekonzern One-Dyas sofort mit Vorbereitungen auf deutschem Hoheitsgebiet beginnen – trotz laufender Klagen.
Die Debatte begleitet die Inselgemeinde und Politik seit Langem. Nun ist klar: Auf deutscher Seite wird gebohrt. Wann genau die ersten Bohrköpfe ansetzen, ist noch offen. One-Dyas plant den Start einer Bohrung im Dezember, gefördert werden könnte ab 2026.
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Ein Gasfeld mitten in der Nordsee
Das Gasfeld trägt den Namen „GEMS“. Es liegt teils auf niederländischem, teils auf deutschem Meeresboden. Experten schätzen, dass zwischen 50 und 60 Milliarden Kubikmeter Erdgas in der Tiefe schlummern. Seit März fördert One-Dyas bereits auf niederländischer Seite.
Die Plattform N05-A steht rund 20 Kilometer vor Borkum. Von dort aus laufen Richtbohrungen – seitliche Bohrungen, die den Meeresboden in Bögen durchdringen und mehrere Kilometer ins Gestein reichen. So lässt sich auch der deutsche Teil erreichen, ohne eine zweite Plattform errichten zu müssen.
Warum der Sofortvollzug?
Normalerweise blockiert eine Klage die Umsetzung eines Projekts, bis das Gericht entscheidet. Der Sofortvollzug ändert das: Das Unternehmen darf beginnen, solange kein neues Urteil die Arbeiten stoppt.
Das LBEG begründet die Entscheidung mit der Versorgungslage. „Mit dieser Entscheidung kommt das LBEG dem überwiegenden öffentlichen Interesse an einer sicheren Energieversorgung nach“, heißt es in der Begründung.
Deutschland verbraucht jährlich etwa 78 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Davon stammen zuletzt nur 4,4 Milliarden aus heimischen Quellen. Das Feld vor Borkum könnte jährlich bis zu 2 Milliarden Kubikmeter liefern – rund 2,5 % des Bedarfs.
Für Kritikerinnen und Kritiker ist das wenig. Für die Politik kann es jedoch Signalwirkung haben: mehr Eigenständigkeit, weniger Importabhängigkeit.
Proteste auf der Insel
Während Behörden von Versorgungssicherheit sprechen, erleben die Menschen auf Borkum eine ganz andere Realität. Sie fürchten um Natur, Klima und die touristische Attraktivität der Insel.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) nennt die Entscheidung einen „Schlag ins Gesicht der Inselgemeinden“. Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner sagt:
„Es ist völlig unverantwortlich, dass die Behörden nun eine Genehmigung durchsetzen wollen, deren Auswirkungen auf Klima und Natur noch gerichtlich auf dem Prüfstand steht.“
Auch Fridays for Future (FFF) hat die Insel längst zum Symbol gemacht. Schon im Juli gab es eine Demonstration. Jetzt folgt ein neues Kapitel: ein Klimacamp, das heute startet.
Klimacamp auf Borkum
Mehr als 200 Aktivistinnen und Aktivisten wollen bis Sonntag auf der Insel protestieren. Workshops, Lesungen und Konzerte sind geplant. Unter anderem tritt Klimaaktivistin Luisa Neubauer auf. Am Freitag soll es eine Demonstration am Inselbahnhof geben. Die Polizei rechnet mit rund 150 Teilnehmenden.
Julian Schwartzkopff von der DUH sagte bei einer Pressekonferenz: „Die Auswirkungen sind massiv und vielfältig auf Mensch, Natur und das Klima, und der Nutzen, der fällt vor allem für den fossilen Konzern One-Dyas an.“
FFF-Sprecherin Nele Evers kritisierte zudem die Bundesregierung: „Die geplanten Gasbohrungen vor Borkum stehen sinnbildlich für den fatalen klimapolitischen Kurs der Regierungskoalition. Anstatt konsequent auf den Ausbau erneuerbarer Energien zu setzen, verschärft diese Politik die Klimakrise weiter und trägt dazu bei, unsere Abhängigkeit von fossilen Energien auf Jahrzehnte zu zementieren.“
Politik im Spagat
Die Landesregierung in Hannover ist gespalten. Energieminister Christian Meyer (Grüne) lehnt das Projekt ab. „Ich teile auch die Auffassung, dass das Gas vor Borkum zur Sicherstellung der Gasversorgung in Deutschland nicht gebraucht wird“, sagte er. Meyer verweist auf das Ziel, Niedersachsen bis 2040 klimaneutral zu machen.
Anders argumentiert Wirtschaftsminister Grant Hendrik Tonne (SPD). Er betont: „Alle zur Verfügung stehenden Daten und Untersuchungen sind in diese Entscheidung eingeflossen und entsprechend gewürdigt worden.“ Für ihn steht die Rechtssicherheit im Vordergrund.
Zwischen Windkraft und Wattenmeer
One-Dyas plant, die Plattform mit Strom aus dem Windpark Riffgat zu versorgen. Dafür ist ein Seekabel genehmigt. Damit soll zumindest die CO₂-Bilanz verbessert werden.
Kritikerinnen und Kritiker nennen das Symbolpolitik. Grüner Strom, so ihr Argument, sei zu wertvoll, um fossile Gasförderung zu betreiben. Besser wäre es, ihn direkt für die Energiewende einzusetzen.
Offene Gerichtsverfahren
Die juristische Lage bleibt angespannt. Inselgemeinde, Umweltschutzorganisationen und Verbände haben Klage eingereicht. Ob diese den Sofortvollzug stoppen können, ist unklar.
Die Gerichte müssen abwägen: Wiegen Versorgungssicherheit und wirtschaftliche Interessen schwerer – oder der Schutz von Klima und Natur? Eine schnelle Entscheidung ist nicht in Sicht. (mit dpa)
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