Fenster als Kraftwerke: Zwei neue Wege unter der Lupe
Fenster, die Strom erzeugen: Neue transparente Solarzellen und Smart-Glass-Technologien könnten Fassaden in Kraftwerke verwandeln.
Herkömmliche Glasfassade: Noch bleibt das Sonnenlicht ungenutzt – neue transparente Solarzellen könnten solche Flächen künftig in Kraftwerke verwandeln.
Foto: Smarterpix / guskovanatalya
Fenster, die nicht nur den Blick nach draußen freigeben, sondern zugleich Strom erzeugen – was lange nach Science-Fiction klang, rückt in greifbare Nähe. Forschende und Unternehmen arbeiten an transparenten Solarzellen, die Licht durchlassen und Energie gewinnen. Zwei Ansätze schauen wir uns genauer: Glas als Lichtleiter und Tandemzellen, die unsichtbare Spektren nutzen. Auch ZEISS zeigt mit Smart-Glass-Technologien, wie sich Fassaden künftig in Kraftwerke verwandeln könnten.
Inhaltsverzeichnis
Blick in die Vergangenheit
Fenster als Kraftwerke zu nutzen, daran arbeiten Forschende bereits seit vielen Jahren. Schon 2016 meldete die Universität Leipzig eine „weltweit erste transparente Solarzelle“, die sich direkt auf Fensterglas aufdampfen ließ. Sie nutzte Oxide von Zink und Nickel und fing vor allem UV-Licht ein. „Wir können die Solarzelle direkt auf große Glasflächen aufbringen“, sagte damals Projektleiter Marius Grundmann. Im Labor erreichte die Technik rund 3 % Wirkungsgrad. Ziel war, mehr Transparenz und gleichzeitig bessere Ausbeute zu schaffen.
2025 rückt die Vision wieder ein Stück näher. ZEISS präsentierte unter dem Schlagwort „Multifunctional Smart Glass“ eine Mikrooptik-Schicht, die Licht im Glas lenkt – und dabei auch Energie gewinnt. Das Unternehmen beschreibt es so: „Auch Glasflächen können Energie erzeugen. Die mikrooptische Schicht in der Fensterscheibe absorbiert einfallendes Sonnenlicht und leitet es konzentriert an eine Solarzelle weiter.“ Auf der CES 2025 gab es die Premiere, Fachmedien berichteten über erste Demonstratoren in Fenstern.
Wir schauen im Folgenden auf zwei spannende Forschungsrichtungen, die transparenten Stromfenstern ganz unterschiedliche Ansätze geben – beide mit viel Potenzial für die gebäudeintegrierte Photovoltaik (BIPV).
Ansatz 1: Glas als Lichtleiter
Ein Team der Universität Nanjing setzt auf einen diffraktiven Trick: Statt die Solarzellen über die gesamte Fläche zu verteilen, leitet das Glas das Sonnenlicht zur Kante. Dort sitzen kleine PV-Streifen. Kernstück ist eine Folie aus cholesterischen Flüssigkristallen (CLC).
Sie sorgt dafür, dass sichtbares Licht breitbandig gebeugt und im Glas geführt wird – bei gleichzeitig hoher Klarheit. Die Forschenden berichten, ihr Prototyp habe im Freien einen kleinen Ventilator mit 10 mW Leistung angetrieben. Für ein typisches 2-Meter-Fenster errechneten sie eine 50-fache Konzentration an der Kante. Messwerte wie 64,2 % mittlere Transmission (AVT) und ein Farbwiedergabeindex (CRI) von 91,3 sprechen für gute Durchsicht.
Leistungszahlen
Ein Blick auf die Leistungszahlen: 18,1 % optische Effizienz, 3,7 % PCE unter Standardbedingungen. Über den Tag schwankte die Leistung nur zwischen 2,7 % und 3,7 %, nach 1.500 Stunden Beleuchtung lag sie noch bei 95,4 % des Maximalwerts.
Wie funktioniert das? Die CLC-Schichten beugen selektiv zirkular polarisiertes Licht. Das trifft im Glas in steilen Winkeln ein, wird durch Totalreflexion „eingeschlossen“ und wandert bis an die Kante. Dort nehmen PV-Streifen die Energie auf. Ein Teil des sichtbaren Lichts bleibt durchlässig – der Blick nach draußen bleibt erhalten. Das clevere Detail: Weil das Licht gezielt nur an einer Kante gesammelt wird, braucht es bis zu 75 % weniger Solarzellenfläche.
Für die Praxis heißt das: teure Hochleistungszellen wie GaAs lassen sich nur dort einsetzen, wo das Licht wirklich ankommt. Weniger Material, höhere Effizienz, ungestörter Ausblick. Dazu kommt: Die Folien könnten im Roll-to-Roll-Verfahren industriell gefertigt werden – ein Schlüssel für den Einsatz an großen Glasfassaden.
Ansatz 2: Durchsichtige Tandemzellen
Das EU-Projekt CitySolar verfolgt einen anderen Weg: zwei Solarzellen übereinander. Oben eine Halid-Perowskit-Zelle, darunter eine organische Polymer-Zelle. Die obere Schicht holt sich die Energie aus UV-Licht, die untere aus dem nahen Infrarot. Das sichtbare Licht bleibt weitgehend ungestört – genau das, was Fenster durchsichtig macht.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 12,3 % Wirkungsgrad bei 30 % Transparenz – ein neuer Weltrekord für transparente Module (Stand März 2025). Bestätigt wurde das von der Universität Süddänemark und Fachmedien.
Das sagt der Studienleiter dazu
Studienleiter Professor Morten Madsen bringt es auf den Punkt: „Transparente Solarzellen könnten der nächste große Schritt bei gebäudeintegrierten Energielösungen sein.“ Große Glasfassaden moderner Bürogebäude könnten so Strom liefern, ohne zusätzlichen Platzbedarf. Sein Fazit: Die Tandem-Solarzelle zapft vor allem UV- und IR-Licht an – das sichtbare Spektrum bleibt für Tageslicht frei.
Der technische Charme liegt auf der Hand: Beide Technologien – Perowskit und organische Dünnschichten – gelten als günstig in der Herstellung.
Und ZEISS? Mikrooptik mit Industrie-Blick
ZEISS setzt nicht auf eigene Solarzellen, sondern auf eine mikrooptische Schicht, die das Licht im Glas gezielt leitet. „Die mikrooptische Schicht absorbiert das Sonnenlicht und leitet es konzentriert an eine Solarzelle weiter“, heißt es vom Unternehmen.
Das Besondere: Die Schicht erreicht über 92 % Transparenz und ist vielseitig einsetzbar – vom Display bis zum Fassadenfenster. Auf der CES 2025 zeigte ZEISS erste Lösungen, Branchenberichte sprechen von konkreten Architektur-Anwendungen. Das Prinzip ähnelt dem Lichtleiter-Ansatz, nur dass hier die industrielle Umsetzung der holografischen Schicht im Vordergrund steht.
Was heißt das für Architektur und Energie?
- Transparenz vs. Ertrag: Komplett transparente Fenster werden physikalisch nie so effizient sein wie klassische PV-Module. Aber die riesigen Glasflächen moderner Hochhäuser können trotzdem viele Kilowattstunden liefern – direkt am Verbrauchsort.
- Integration statt Zusatzfläche: Egal ob Lichtleiter im Glas oder Tandem-Zelle – beide Ansätze nutzen vorhandene Flächen. Dächer bleiben frei, Montageaufwand sinkt.
- Lebensdauer: Erste Studien zeigen gute Stabilität, aber Alltagstests mit Hitze, Kälte und Reinigung stehen noch aus.
- Recht & Normen: Stromfenster sind Bauprodukt und Elektrokomponente zugleich – Brandschutz, Verkabelung und Garantie müssen früh bedacht werden.
Ein Blick zurück – Leipzig bleibt Vorreiter
Die Leipziger Forscher*innen waren 2016 die Ersten, die Transparenz und Energiegewinnung direkt zusammenführten – mit günstigen Oxiden und Fokus auf Fassaden. Das Grundproblem bleibt: sichtbares Licht durchlassen und trotzdem Strom erzeugen. CitySolar und die Nanjing-Gruppe lösen es heute mit anderen Werkzeugen – einmal über Spektraltrennung, einmal über Lichtkonzentration im Glas.
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