Atomkraft am Nil: Al-Sisi und Putin feiern Baufortschritt
El Dabaa wird Ägyptens erstes Atomkraftwerk. Russland baut und beliefert die Anlage. Was das geopolitisch bedeutet.
Auf der Baustelle von El Dabaa wächst Ägyptens erstes Atomkraftwerk heran – ein Projekt, das Kairo und Moskau langfristig aneinander bindet.
Foto: picture alliance / TASS | Alexander Ryumin
Ägypten baut erstmals ein Atomkraftwerk. Und die politische Symbolik könnte kaum deutlicher sein: Präsident Abdel Fattah al-Sisi und Russlands Staatschef Wladimir Putin schalten sich per Videokonferenz zusammen, um die Installation eines zentralen Reaktordruckbehälters in El Dabaa zu würdigen.
Das Projekt gilt in Kairo als Schritt in eine neue energiepolitische Ära. Nach Jahren hoher Importabhängigkeit und wiederkehrender Stromengpässe setzt das Land auf eine zusätzliche Säule im Energiemix. Für Moskau ist das Vorhaben ein weiterer Baustein seiner globalen Atomstrategie.
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El Dabaa – Energie aus vier Reaktoren
El Dabaa liegt an der Mittelmeerküste westlich von Alexandria. Dort entsteht eine Anlage mit vier Reaktoren der russischen WWER-1200-Reihe. Jeder Block soll rund 1200 Megawatt leisten. Die Bauarbeiten für den ersten Reaktor begannen 2022. Inbetriebnahme: geplant für 2028. Die weiteren Blöcke sollen bis 2030 folgen.
Der Reaktortyp gehört zur sogenannten „Generation III+“. Er setzt auf passive Sicherheitssysteme. Damit sind Notfallfunktionen gemeint, die ohne externe Energiequellen auskommen. Diese Konstruktionen sollen den Betrieb robuster machen, insbesondere in Situationen, in denen elektrische Systeme ausfallen.
Nach Angaben der ägyptischen Regierung sollen die vier Reaktoren langfristig etwa 10 % des nationalen Strombedarfs decken. Das wäre eine deutliche Entlastung für ein Land, dessen Bevölkerung inzwischen etwa 110 Millionen Menschen umfasst und weiter wächst.
Videokonferenz der Präsidenten: Politik trifft Technik
Al-Sisi nennt das Projekt „einen Traum, der wahr geworden ist“. Das Zitat stammt aus seiner Fernsehansprache, in der er die strategische Zusammenarbeit mit Russland hervorhob. Putin formuliert das ähnlich. Aus seinem Beitrag: „Faktisch gehen wir jetzt zur wichtigsten Etappe der technologischen Ausstattung des Kraftwerks über.“
Beide Staatschefs wollen demonstrieren, dass die Partnerschaft stabil ist – trotz geopolitischer Spannungen. Zugleich unterzeichnete Ägypten nach eigenen Angaben ein Abkommen über den Kauf von Kernbrennstoff. Details dazu nannte die Regierung jedoch nicht.
Rosatom erhöht die Schlagzahl
Das Vorhaben ist groß. Sehr groß. Laut Rosatom-Chef Alexej Lichatschow arbeiten derzeit etwa 25.000 Menschen auf der Baustelle. Er rechnet damit, dass es bald über 30.000 sein werden. In seiner Aussage heißt es: „Möglicherweise sogar 40.000.“
Viele dieser Menschen stammen aus Ägypten. Lichatschow spricht von einem Anteil von rund 90 % an ägyptischen Kräften bei allgemeinen Bau- und Betonarbeiten. Die Zahl zeigt, wie stark das Land versucht, eigenes Know-how aufzubauen.
Rosatom liefert dagegen die nuklearen Schlüsselkomponenten, unterstützt beim Design und übernimmt große Teile der Qualitätssicherung.
Finanzierung mit Risiken
Die Kosten steigen in die Milliarden. Russland übernimmt nach offiziellen Angaben etwa 85 % dieser Summe – rund 25 Milliarden US-Dollar. Ägypten trägt die restlichen 15 %. Wie das Land seinen Anteil langfristig finanziert, bleibt eine zentrale Frage. Die ägyptische Wirtschaft kämpft mit hohen Schulden und Importabhängigkeiten.
Hinzu kommt ein Punkt, der die Debatte prägt: Mit dem Einstieg in die Kernenergie entsteht eine dauerhafte technische Abhängigkeit von ausländischem Know-how. Bildung, Regulierung, Betrieb, Wartung – all das muss Ägypten langfristig organisieren. Das braucht Personal, Strukturen und Geld.
BOO-Modell: Russland bleibt am Hebel
Russland setzt bei El Dabaa ein sogenanntes BOO-Modell ein – Build, Own, Operate. Rosatom finanziert, baut und betreibt große Teile der Anlage. Das Unternehmen liefert den Brennstoff und nimmt auch abgebrannte Brennelemente wieder zurück.
- Der Vorteil für Ägypten: weniger Sorgen über die Entsorgung.
- Der Nachteil: hoher Einfluss Russlands auf ein kritisches Energiesystem.
Moskau verfolgt diese Strategie weltweit. Mehr als zehn internationale Reaktoren werden aktuell mit russischer Hilfe gebaut – unter anderem in Bangladesch, der Türkei und Indien. Die Kernenergie wird für Russland zur industriepolitischen Ersatzrolle, nachdem große Teile des Öl- und Gassektors seit 2022 unter Sanktionen stehen.
Kurz vor der Zeremonie in El Dabaa verkündete Saudi-Arabien eine gemeinsame Erklärung mit den USA zur zivilen Nutzung von Atomenergie. Die Region bewegt sich also. Viele Staaten suchen nach Wegen, ihren Energiemix stabiler zu gestalten. Solar- und Windkraft wachsen, aber sind abhängig von Tageszeit und Wetter. Ein großer Grundlastlieferant wie ein Reaktor erscheint attraktiv – auch wenn er komplexe Risiken mitbringt. (mit dpa)
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