Energie aus dem Nichts? Forschende zeigen, wie es geht
Forschende zeigen: Einige Organismen gewinnen Energie aus Luft – ganz ohne Licht. Das könnte neue Wege für nachhaltige Biotechnologie eröffnen.
Dieses Forschungsteam hat nachgewiesen, dass Mikroben Luft zur Energiegewinnung nutzen. Von links nach rechts: Sarah Soom, Christoph von Ballmoos, Stefan Moning, Departement für Chemie, Biochemie und Pharmazie, Universität Bern.
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In extremen Lebensräumen wie der Antarktis oder in nährstoffarmen Böden tauchen immer wieder Organismen auf, die kaum sichtbare Lebenszeichen zeigen – und doch überleben. Lange blieb rätselhaft, wie diese Lebewesen ohne Licht und ohne verwertbare Nährstoffe auskommen. Ein internationales Forschungsteam hat nun herausgefunden, dass manche Mikroorganismen direkt aus der Luft Energie gewinnen. Sie nutzen dafür winzige Mengen Wasserstoff, die in der Atmosphäre vorkommen.
Inhaltsverzeichnis
- Wasserstoff aus der Luft: Wenig – aber ausreichend
- Der Trick der Natur: Energiegewinnung ohne Licht
- Knallgasreaktion – aber unter Kontrolle
- Künstliche Atmungskette erzeugt ATP aus Luft
- Überleben in extremen Umgebungen
- Nachhaltige Energiegewinnung mit Potenzial
- Ein Schritt in Richtung neue Energiekonzepte?
Wasserstoff aus der Luft: Wenig – aber ausreichend
Wasserstoff ist in unserer Atmosphäre nur in Spuren vorhanden. Auf eine Million Luftmoleküle kommt gerade einmal ein halbes Molekül Wasserstoff – das entspricht 0,00005 %. Trotzdem bleibt die Konzentration erstaunlich konstant, obwohl jährlich rund 70 Millionen Tonnen Wasserstoff entstehen – unter anderem durch Sonnenlicht, aber auch durch Industrieprozesse.
Der Grund für diese Stabilität: Mikroorganismen im Boden nehmen den Wasserstoff wieder auf. Sie verwenden ihn als Energiequelle. Möglich wird das durch spezialisierte Enzyme, sogenannte Hydrogenasen. Diese fangen die winzigen Wasserstoffmoleküle ein und ermöglichen eine Reaktion mit Sauerstoff – dabei wird Energie frei.
Der Trick der Natur: Energiegewinnung ohne Licht
Im Labor hat ein Forschungsteam um Christoph von Ballmoos von der Universität Bern gemeinsam mit Forschenden aus Australien und Neuseeland nun erstmals bewiesen, dass dieser Prozess nicht nur theoretisch funktioniert. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten ihn künstlich nachbauen – mit einer minimalen, synthetischen Atmungskette.
Das System bestand aus drei Enzymen, die in eine künstliche Membran eingebettet wurden. Die Hydrogenase stammte aus Australien, die beiden anderen Enzyme – eine Protonenpumpe und eine Art molekulare Turbine – wurden in Bern hergestellt. Gemeinsam bildeten sie ein vereinfachtes Modell, das zeigte: Der biologische Prozess funktioniert tatsächlich, auch unter kontrollierten Laborbedingungen.
Knallgasreaktion – aber unter Kontrolle
Chemisch betrachtet basiert der Energiegewinnungsprozess auf einer bekannten Reaktion: Wasserstoff reagiert mit Sauerstoff zu Wasser und setzt dabei Energie frei. Im Schulunterricht wird das oft als Knallgasreaktion vorgeführt – ein Ballon mit einem Gemisch aus Wasserstoff und Sauerstoff explodiert beim Zünden.
Doch im Inneren der Bakterien läuft die Reaktion wesentlich geordneter ab. „In der Bakterienzelle findet im Grunde dieselbe Reaktion statt. Allerdings wird sie strikt durch Enzyme kontrolliert katalysiert und benötigt keine Initialzündung“, erklärt Christoph von Ballmoos. Statt einer Explosion entsteht in der Zelle die universelle Energieeinheit ATP (Adenosintriphosphat). Sie wird genutzt, um biologische Prozesse wie den Aufbau von Proteinen oder DNA zu betreiben.

Schematische Darstellung des Prozesses, bei dem aus Wasserstoff und Sauerstoff Energie in Form von ATP gebildet wird.
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Künstliche Atmungskette erzeugt ATP aus Luft
Die synthetische Atmungskette, die das Team im Labor aufgebaut hat, funktionierte ähnlich wie die Energiegewinnung in menschlichen Zellen. „In den Menschen findet die Zellatmung in den Mitochondrien statt und wandelt die aus der Nahrung stammende Energie in ATP um“, so von Ballmoos. Auch hier werden Elektronen auf Sauerstoff übertragen. Die so gewonnene Energie treibt einen Protonentransport an, aus dem ATP entsteht.
Im Labor kamen jedoch keine Nährstoffe zum Einsatz – sondern nur die Spuren von Wasserstoff in der Luft. Stefan Moning, Zweitautor der Studie, berichtet: „Eine Schwierigkeit dieses Experiments, die wir schliesslich überwinden konnten, war, die Proteine so in die Membran einzubauen, dass die Protonen in die richtige Richtung gepumpt werden.“
Überleben in extremen Umgebungen
Die Versuchsergebnisse belegen: Auch wenn Wasserstoff in der Luft extrem selten vorkommt, reicht seine Konzentration, um in Mikroorganismen ATP zu erzeugen. Sauerstoff ist rund 400.000-mal häufiger vorhanden, was die Reaktion erschwert. Dennoch funktioniert sie – langsam, aber stabil.
„Obwohl Wasserstoff nur in verschwindend kleinen Mengen in der Luft vorhanden ist, schaffen es die drei Enzyme, die Energie aus der Reaktion zu konservieren und in ATP umzuwandeln“, sagt von Ballmoos. Diese Fähigkeit kann erklären, wie Bakterien selbst in trockenen, lebensfeindlichen Regionen wie der Antarktis überleben. Dort fehlen nicht nur Nährstoffe – es mangelt auch an Licht und Wärme. Dennoch halten sich Mikroorganismen über lange Zeiträume am Leben.
Nachhaltige Energiegewinnung mit Potenzial
Die biologische Reaktion liefert nur ein einziges Abfallprodukt: Wasser. Damit gehört sie zu den umweltfreundlichsten Formen der Energiegewinnung. „Dies macht die Methode zu einer der umweltfreundlichsten Formen der Energiegewinnung, vergleichbar zu jener durch Sonnenlicht“, so Sarah Soom, die Erstautorin der Studie.
Interessant wird das Verfahren auch für die synthetische Biologie. Die Forschenden konnten zeigen, dass sich die Geschwindigkeit der ATP-Produktion deutlich steigern lässt, wenn der Wasserstoff in höherer Konzentration vorliegt. Denkbar wäre dies etwa durch eine lichtgestützte Spaltung von Wasser. In diesem Fall könnte der Prozess industrielle Bedeutung erlangen – etwa in der Herstellung von Medikamenten oder bei der Simulation früher Lebensformen.
Ein Schritt in Richtung neue Energiekonzepte?
Die Studie zeigt, wie sich natürliche Prozesse für technische Anwendungen nutzen lassen. „Noch sind viele Fragen offen, und die synthetische Atmungskette kann weiter optimiert werden. Die Arbeit ist jedoch ein Meilenstein zur Machbarkeit und ein Anfang für weitere spannende Anwendungsmöglichkeiten“, resümiert von Ballmoos.
Die Vision: Mikroorganismen oder synthetische Systeme könnten in Zukunft kleinste Energiemengen aus der Luft gewinnen und so in entlegenen Regionen, bei Langzeitmissionen oder in der Bioproduktion helfen. Leben von Luft – es scheint also tatsächlich möglich zu sein.
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