Kollege Algorithmus: Warum viele lieber mit KI sprechen als mit dem Chef
Generative KI verändert nicht nur Aufgaben, sondern auch das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. Laut einer aktuellen Indeed-Umfrage wenden sich viele Beschäftigte bei Unsicherheiten lieber an Chatbots als an ihre Vorgesetzten – und das hat weitreichende Folgen für Vertrauen, Zusammenarbeit und Führung im Job.
Arbeiten mit KI: Wenn der digitale Assistent zum besseren Chef wird
Foto: PantherMedia / denisismagilov
In der öffentlichen Diskussion heißt es oft, dass generative KI vor allem einfache Jobs und Einstiegspositionen überflüssig machen könnte. Doch eine aktuelle Umfrage der Jobplattform Indeed unter deutschen Berufstätigen, die bereits mit KI arbeiten, zeigt ein überraschendes Bild: Künstliche Intelligenz verändert nicht nur Aufgaben – sie verändert auch das Verhältnis zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften.
Fast 90 % der Befragten finden, dass KI in manchen Bereichen schon jetzt kompetenter ist als ihre Vorgesetzten. Für mehr als jede vierte Person ist „ChefGPT“ sogar die erste Anlaufstelle bei Problemen – während nur jede sechste zuerst die eigene Führungskraft um Rat bittet. Bei heiklen Themen wenden sich sogar 58,2 % lieber an die KI als an ihren Chef oder ihre Chefin.
Chef, Kollege oder KI – an wen wenden wir uns zuerst?
Fragen oder Probleme im Job? Ein Drittel der Befragten (33,2 %) fragt zuerst Kolleginnen und Kollegen um Rat. Doch schon 26,6 % holen sich Unterstützung bei einer Künstlichen Intelligenz – noch bevor sie jemanden aus dem Team ansprechen. Nur 16,2 % wenden sich bei Unklarheiten zuerst an ihre Führungskraft.
Die Indeed-Umfrage zeigt außerdem: Viele Beschäftigte „sprechen“ inzwischen häufiger mit einer KI als mit ihrem Chef. 20,2 % nutzen täglich KI, um Fragen zu klären oder Ideen zu bekommen – während nur 12,2 % regelmäßig den Austausch mit ihrer Führungskraft suchen.
Wann wir lieber KI fragen als den Chef
In welchen Situationen ziehen Angestellte die Künstliche Intelligenz der Chefetage vor? Laut der Indeed-Studie sehen 43,4 % die KI bei der gemeinsamen Ideenentwicklung als kompetenter an. Ähnlich viele (43,2 %) finden, dass sie über mehr Fachwissen verfügt als ihre Vorgesetzten. Auch beim Strukturieren von Aufgaben greifen 42,2 % lieber auf KI-Unterstützung zurück. Wenn es um Feedback oder Selbstreflexion geht, setzen immerhin 32,6 % auf die digitale Meinung. Nur 11,4 % glauben, ihre Führungskraft könne mit der KI mithalten.
Im Zweifel schenken aber doch etwas mehr Beschäftigte ihrem Chef Vertrauen – zumindest knapp. Bei fachlichen Unsicherheiten verlassen sich 32,8 % eher auf ihre Führungskraft, 26 % eher auf die KI. Für 35,6 % macht es keinen Unterschied: Sie vertrauen beiden gleichermaßen – ChatGPT und Chef.
KI als vertrauensvoller Gesprächspartner
Für deutsche Führungskräfte ist eine Zahl besonders bemerkenswert: 58,2 % der Befragten fühlen sich bei der KI freier als bei ihrem Vorgesetzten, auch mal eine unbequeme oder scheinbar einfache Frage zu stellen. Besonders ausgeprägt ist das bei Frauen: 64,8 % würden solche Themen lieber mit der KI besprechen. Bei Männern sind es 51,6 %.
KI verändert das Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeiter
Die Indeed-Umfrage zeigt: Viele Beschäftigte glauben, dass KI die Zusammenarbeit zwischen Arbeitnehmern und Führungskräften künftig stark verändern wird. 79,6 % denken, dass KI-Tools Führungskräfte teilweise entlasten oder sogar ersetzen könnten – nur 2,2 % schließen das kategorisch aus.
Gleichzeitig bringt die Technologie auch Vorteile für die Angestellten: Jeder Zweite (50,8 %) fühlt sich dank KI bei beruflichen Herausforderungen sicherer, und 18 % können ihre Aufgaben nun viel eigenständiger erledigen.
KI zeigt, wo klassische Führung hakt
“Unsere Umfrage zeigt, dass generative KI nicht nur einfache Arbeitsabläufe beeinflusst, sondern auch die Schwächen klassischer Führung offenbart. Viele Beschäftigte wenden sich bei Unsicherheiten bereits heute eher an den Chatbot als an ihren Chef oder ihre Chefin. Das liegt einerseits vermutlich daran, dass die KI meist schneller und einfacher verfügbar ist als die Führungskraft. Andererseits ist dies aber auch ein Indiz dafür, dass es im Arbeitsalltag an Offenheit und Vertrauen fehlt. KI wird nämlich nicht nur wegen ihres Fachwissens genutzt, sondern weil sie nicht urteilt, nicht unterbricht und keine Sanktionen befürchten lässt. Doch wo Führung von KI ersetzt wird, entstehen zwar weniger offen ausgetragene Konflikte, aber eben auch weniger Innovation, Vertrauen und echtes Miteinander“, sagt Dr. Stefanie Bickert, Job- und Karriere-Expertin bei Indeed.
Die Expertin weist darauf hin, dass Führungskräfte diese Entwicklung ernst nehmen müssten. KI könne zwar schnell und niedrigschwellig fachliche Orientierung bieten, doch die Bedeutung für Arbeitszufriedenheit und Produktivität entscheide sich in der Interaktion. Daher sei es auch in Zukunft notwendig, dass Führungskräfte Input aufgreifen, validieren und Raum für Neues schaffen. Gute Führung bedeute weiterhin, zuzuhören, ernst zu nehmen und gemeinsam weiterzudenken. Gleichzeitig dürften Beschäftigte KI nicht als stillen Ausweg vor unangenehmen Gesprächen betrachten, da Widerspruch und Diskussion ebenso zu einer gesunden Arbeitskultur gehörten wie Vertrauen und Unterstützung.
Im Auftrag von Indeed hat das Marktforschungsinstitut Appinio vom 11. bis 12. August 2025 insgesamt 500 berufstätige Personen in Deutschland befragt – je 250 Frauen und 250 Männer, gleichmäßig auf verschiedene Altersgruppen verteilt –, die KI regelmäßig im Job nutzen.
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