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Supply-Chain-Management der Zukunft 02.05.2023, 13:07 Uhr

Wie der Maschinenbau Lieferketten dank Risikomanagement absichert

Krisenszenarien in jüngster Vergangenheit haben gezeigt: Maschinenbau-Unternehmen sind auf Probleme in den Lieferketten unzureichend vorbereitet und müssen dringend ihre Beschaffungsstrategien optimieren. Gezeigt wird, wie das funktionieren kann.

Leerer Warenkorb: Die krisenhaften Entwicklungen der letzten Jahre müssen ein Weckruf für die Verantwortlichen im Supply-Chain-Management sein, Lieferkettenstrategien künftig anzupassen. Grafik: shutterstock

Leerer Warenkorb: Die krisenhaften Entwicklungen der letzten Jahre müssen ein Weckruf für die Verantwortlichen im Supply-Chain-Management sein, Lieferkettenstrategien künftig anzupassen. Grafik: shutterstock

Die Covid-19-Krise hat Herausforderungen in den Lieferketten über alle Branchen und Sektoren hinweg mit sich gebracht. Auch vor dem Maschinenbau hat diese Entwicklung keinen Halt gemacht. Dabei hat sich einerseits die unzulängliche Flexibilität auf verschiedenen Ebenen der Lieferketten gezeigt; andererseits wurden auch Schwachstellen im Beschaffungsmanagement des Maschinenbaus deutlich.

Krisen und gesetzliche Verschärfungen managen

Eine Herausforderung für deutsche Industrieunternehmen werden die dringend notwendigen Maßnahmen zur Krisenbewältigung sein. Die Auswirkungen von Krisen sind direkt spürbar, etwa als bei Audi in Neckarsulm die Fließbänder stillstanden, was als eine direkte Auswirkung des Lieferengpasses durch den Krieg in der Ukraine und durch den Lockdown in China darstellt. Es ist davon auszugehen, dass es auch in Zukunft erhebliche Störfaktoren in den Lieferketten geben wird. Wenn es nicht gelingt, auf diese und andere Probleme adäquat zu reagieren und rechtzeitig die Anzeichen für eine Unsicherheit zu erkennen, kann dieser Sachverhalt im ärgsten Falle geopolitisch sogar das „Aus“ für einige Maschinenbau-Unternehmen bedeuten.

Die Entwicklungen der letzten Jahre müssen also ein Weckruf für die Verantwortlichen im Supply-Chain-Management sein, Lieferkettenstrategien künftig anzupassen. Sie müssen über Maßnahmen nachdenken, die Resilienz gegen Störungen in der Zukunft zu verbessern oder rechtzeitig Lieferrisiken im Sourcing zu erkennen. Besondere Bedeutung kommt dabei der Steuerung und Entwicklung von komplexen Liefernetzwerken zu. Dies ist eine Aufgabe, die im Maschinenbau zukünftig immer größere Bedeutung finden muss, vor allem auch unter dem Aspekt der Einhaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes.

Der Maschinenbau ist auf verschiedenen Ebenen seiner Lieferketten bis jetzt nicht hinreichend flexibel ausgerichtet. Analysen ergaben auch generell Schwachstellen im Beschaffungsmanagement. Grafik: Protema

Supply-Chain-Management als Kernaufgabe

Eine wesentliche Lehre aus den jüngsten Lieferausfällen ist, dass das Supply-Chain-Management zu einer Kernaufgabe der Unternehmensführung des Maschinenbaus werden muss. Doch noch immer wird der Bereich Logistik und Supply Chain nicht als Teil der Wertschöpfung verstanden, sondern allenfalls als unterstützende Funktion. Das zeigt sich unter anderem daran, dass die Relevanz der Lieferketten oft nicht organisatorisch auf der Führungsebene abgebildet wird – etwa durch Vorstandsposten für das Supply-Chain-Management.

Die schlechteren Prognosen auf die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren unterstützen diese Perspektive: Der IWF korrigierte seine ohnehin bereits ungünstige Prognose für das Jahr 2023 noch einmal nach unten – auf lediglich 2,3 Prozent – und für die Eurozone sei 2023 ein Wachstum von 0,7 Prozent zu erwarten. Neben dem Krieg in der Ukraine und dem Lockdown in China ist auch die Inflation ein wesentlicher Krisenfaktor. Die prognostizierte Entspannung für Frühjahr und Sommer 2022 ist ausgeblieben. Weitere Probleme sind in der nahen Zukunft absehbar. Viele Industrie-Unternehmen füllen ihre Lagerhäuser, bei heutzutage schwindenden Warehouse-Kapazitäten. Aber kann das wirklich die einzige Strategie sein?

Neue geopolitische Herausforderungen – auch für den Maschinenbau

Geopolitisch kann man die Entwicklung der Lieferkettensituation mit einer Blockbildung vergleichen, in deren Mitte es zu neuen Herausforderungen kommt. Zu nennen sind hier z.B. die Märkte, die in Verbindung mit der chinesischen Initiative einer neuen Seidenstraße stehen, oder der eurasische Raum mit seinen Zukunftsmärkten, der sowohl das Interesse Chinas wie auch der USA geweckt hat. Die Länder der EU stehen genau zwischen den beiden Supermächten und ihren Auseinandersetzungen um den Einfluss in den eurasischen Regionen. Eine Folge dieses Konfliktes sind Handelsbeschränkungen und Zölle zwischen den USA und China, die wiederum die Lieferketten der EU empfindlich treffen. Des Weiteren könnte der Konflikt zwischen China und Taiwan – als ein Land, das in der Halbleiterproduktion maßgeblich ist –, zu einem erheblichen Risiko führen, welches die Lieferketten massiv beeinflussen könnte.

Digitalisierung und Monitoring bieten Lösungen

Mögliche Lösungen dieser Probleme können in der Transparenz, der Digitalisierung und im stärkeren Monitoring der Lieferkette liegen; weitere notwendige Maßnahmen sind die kontinuierliche Bewertung der Lieferanten-Beziehungen, eine Automatisierung der Lieferkette wie auch eine Steigerung der frühzeitigen Engpasserkennung im Netzwerk. Dazu kommen weitere Bausteine, um die globalen Lieferketten robust und resilient zu machen und zu gestalten. Grundlegende Aspekte an das zielkonforme Supply-Chain-Management sind:

  • kontinuierliche Risikobewertung,
  • Flexibilisierung und Diversifizierung in der Sourcing-Strategie,
  • Supply-Risk-Management-Systeme,
  • vorbeugende und allumfassende Bewertung,
  • Digitalisierung und SCM-Plattformtechnologien,
  • effizientes Netzwerk-Monitoring,
  • Integration von Frühwarnsystemen,
  • konsequentes Lieferantenmanagement.

Damit auch in einer Krise die Lieferkette funktionierend und stabil aufrechterhalten werden kann, bedarf es vor allem der Flexibilisierung. Bereits in der Corona-Pandemie haben sich zahlreiche Schwachstellen in der Ausrichtung der Supply Chain gezeigt. So geben 60 Prozent aller produzierenden Unternehmen an, dass sie durch die Covid-19-Pandemie Störungen hinzunehmen hatten. Dementsprechend müssen Industrie-Unternehmen wie im Maschinenbau auch zu Maßnahmen bereit sein, um die Resilienz ihrer Lieferketten zu erhöhen, vor allem durch eine Steigerung ihrer Transparenz und Flexibilität in Einkauf und Beschaffung. Die Hinzunahme alternativer Bezugsquellen sowie eine allumfassende Bewertung inklusive aller Risikofaktoren sind dabei wichtige Instrumente, um schnell auf Angebots- und Nachfrage-Änderungen reagieren zu können.

Anforderungen aus dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der seit Anfang 2023 zu berücksichtigen ist, ist das LkSG, welches umweltbezogene Sorgfaltspflichten vorschreibt, damit Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten künftig verhindert werden. Es gilt für Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihren Hauptgeschäftssitz, ihren Verwaltungs- oder Satzungssitz in Deutschland haben. Um das Gesetz zu erfüllen, sollten Betriebe Umwelt-, Sozial- und Governance-Richtlinien (ESG) entwickeln und umsetzen, die speziell auf die relevanten Compliance-Risiken in ihrer Lieferkette zugeschnitten sind. Daher müssen Maschinenbau-Unternehmen auch hier in einem ersten Schritt die Risiken innerhalb ihrer Lieferketten analysieren und bewerten, um geeignete Maßnahmen zum Risiko-Management ergreifen zu können. Sie sollten alle ihre direkten Zulieferer erfassen, um eine grundlegende Risikobewertung durchzuführen.

An die Risikobewertung muss sich die Einführung von Risikomanagementsystemen mit den zu definierenden Prozessen und Zuständigkeiten anschließen. Die Entwicklung und Umsetzung eines Aktionsplans zur Vermeidung bzw. Behebung von Risiken und Verstößen schließt sich daran an. Wichtig ist ferner, dass die Risikobewertung und die eingeführten Verfahren regelmäßig überprüft, aktualisiert und verbessert werden.

Digitalisierung der Lieferkette: Wichtig ist die kontinuierliche Bewertung der Lieferanten-Beziehungen sowie auch eine frühzeitige Engpasserkennung im Netzwerk. Grafik: Protema

Der Einsatz von digitalen Lösungen für ein umfassendes, automatisiertes Lieferketten-Management kann dazu beitragen, Risiken umfassend zu analysieren, angemessen zu bewerten und in Ergänzung zu einem bereits implementierten Compliance-System zu verwalten. Solche Systeme – z.B. die Sourcingplattform „MeRLIN“ – unterstützen dabei, der Sorgfaltspflicht für faire Lieferketten nachzukommen. Systematische Beschaffungspraktiken lassen sich etablieren, kontrollieren und die rechtlichen Bestimmungen des Lieferkettengesetzes einhalten.

So kann der Maschinenbau Störungen rechtzeitig erkennen

Großes Potenzial, um Lieferketten robust zu gestalten, steckt auch im Ansatz, Störungen rechtzeitig zu detektieren und zu vermeiden. Dafür müssen die volatilen Bedürfnisse der Kunden und des Marktes mit den Anforderungen der eigenen Produktion – und darüber hinaus denen des Lieferanten-Netzwerks – immer in Einklang gebracht werden. Die Lieferkette des Maschinenbaus muss abhängig vom Lebenszyklus der Produkte und deren Marktchancen bzw. Risiken realisiert, gesteuert und abgesichert werden.

Eine Reihe von Fragestellungen ist besonders relevant, wenn es darum geht, auf volatile Märkte und Bedarfslagen, reduzierte Anlauf- und Auslaufszenarien sowie auf Komponentenknappheit einzugehen. Interessant sind für ein solches Supply-Chain-Risk-Management in der Industrie vor allem die folgenden Fragen:

  • Wie kann eine signifikante Stabilität durch das effiziente Management des Lieferantennetzwerks und eine schnelle Reaktionsfähigkeit auf veränderte Marktbedürfnisse realisiert werden?
  • Wie kann man strategisch und operativ konkret vorgehen, um erfolgreich zu sein?
  • Wie können maximale Transparenz über das Steuerungsnetzwerk und eine kurzfristige Steuerungsmöglichkeit über mehrere Lieferstufen erreicht werden?

Schwerpunkte in der Vorgehensweise

Drei Schwerpunkte in der Vorgehensweise werden unterschieden:

1. Strukturierung des Liefernetzwerkes unter Berücksichtigung der Flexibilisierung und Diversifizierung.

2. Erfassung und Analyse von Leistungsdaten im Rahmen von Netzwerk-Monitoring und Frühwarnsystemen.

3. Überprüfung kritischer Lieferanten durch vorbeugende und allumfassende Bewertung im Risk-Management.

Zudem liegt die Hauptaufgabe für ein effizientes Lieferanten-Management in der Fähigkeit, das Liefernetzwerk auch in einem volatilen Marktumfeld transparent zu haben sowie auch zuverlässig steuern zu können. Die effektive Planung, Realisierung, Entwicklung und Steuerung von internen und unternehmensübergreifenden Liefernetzwerken ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor hierfür.

Nicht nur der erstmalige Aufbau einer Lieferkette, der zudem die Auswahl und Qualifizierung der Lieferanten beinhaltet und der schließlich in An-, Hochlauf und Betrieb von Produktion und Beschaffung übergeht, sollte meist im besonderen Blick des Managements eines Maschinenbau-Unternehmens stehen. Denn es schwindet häufig bei den Beteiligten das Interesse für die Steuerung und Weiterentwicklung der Lieferkette, sofern ein laufender Betrieb erst einmal hergestellt ist. Lieferketten- und Beschaffungsmanagement geraten dann oft zunehmend in den Hintergrund. Die Praxis jedoch zeigt, dass Performance-Defizite in der Lieferkette dann häufig betreuungsintensiv sind.

Noch anspruchsvoller ist es, auf Volatilitäten auf der Bedarfsseite zu reagieren. Hier gilt es, Sonderabwicklungen abzubilden oder zusätzliche Aktivitäten und Ressourcen zur Stabilisierung der Liefernetzwerke in die Wege zu leiten, sowie auch Kosten für eine Sonderabwicklung abzufedern. Weiterhin ist das Beheben der Ursache oder die Umstellung des Liefernetzwerkes auf eine neue Bezugsquelle und ggf. auf ein neues Stückzahlszenario arbeitsintensiv. Das liegt daran, dass bei vielen Unternehmen der Maschinenbaubranche die Möglichkeit, derartige Aufgaben über SCM-Plattformtechnologien zu steuern, oft nicht existiert. Zum anderen wird es oft nicht als notwendig angesehen, Frühwarnsysteme und Supply-Risk-Management-Systeme zu etablieren und die Netzwerke kontinuierlich für relevante Materialgruppen zu monitoren.

Fazit

Es ist davon auszugehen, dass die Lieferketten im Maschinenbau auch in Zukunft in den Fokus geraten werden, und dass Ausfälle Unternehmen dieses Industriezweigs in ihrer Lieferfähigkeit einschränken. Die Lehren aus den vergangenen und gegenwärtigen Krisen müssen daher sein, dass das Supply-Chain-Management von Maschinenbau-Unternehmen als Teil des Wertschöpfungsprozesses verstanden wird. Dadurch muss die besondere Relevanz für Erfolg und Bestehen eines Maschinenbauers auch in Organisation, Abläufen und Systemen für SCM abgebildet werden. Heutige digitale Technologien bieten die dafür nötigen Ansätze, die Lieferketten zu managen und zu überwachen. Nur so wird es möglich, auf Volatilitäten im Markt sowie auf Änderungen von Verfügbarkeitslagen frühzeitig und angemessen zu reagieren.

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Von Jörg Pirron, Michal Říha

Dr. Jörg Pirron ist Managing Director bei der Protema Unternehmensberatung GmbH in Stuttgart. Foto: Autor
Dipl.-Ing. Michal Ríha ist Senior Manager & Mitglied der Geschäftsleitung bei Protema.