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Motto „Aus Alt mach Neu“ 17.11.2022, 11:12 Uhr

Nachhaltigkeit fördern: Retrofit statt Neumaschine

Ein Schweizer Technologieunternehmen investiert am Standort Deutschland: Weil Qualität und Präzision der eigenen Stanzautomaten die Kunden auch nach vielen Jahren im harten Einsatz noch überzeugen, wurde jetzt der Standort für Retrofit ausgebaut. Dieser Schritt ist auch wegweisend in puncto Nachhaltigkeit.

Präzisionsarbeit: Die komplette Überarbeitung eines gebrauchten Stanzautomaten sorgt für Technik, die quasi dem Neuzustand entspricht. Foto: Bruderer

Präzisionsarbeit: Die komplette Überarbeitung eines gebrauchten Stanzautomaten sorgt für Technik, die quasi dem Neuzustand entspricht.

Foto: Bruderer

Produkte, die mit Stanzautomaten des Schweizer Spezialisten hergestellt werden, begegnen uns im Alltag ständig – allerdings ist das den meisten Menschen nicht bewusst. Ob mit dem Handy telefoniert, mit dem Wagen von A nach B gefahren, am Kiosk eine Zeitschrift mit Kleingeld bezahlt oder ein neuer Computer in Betrieb genommen wird – vieles ist weltweit mithilfe der Maschinen von Bruderer aus Frasnacht/CH entstanden. Dies fordert nicht zuletzt auch den Servicebereich heraus, der mit Niederlassungen und Tochtergesellschaften sowie insgesamt rund 500 Mitarbeitenden international breit aufgestellt ist.

Dazu gehört auch der Standort in Dortmund, am Rande des Ruhrgebiets, der bereits seit den 1970er Jahren besteht. Mit der Gründung der Niederlassung hat sich das Unternehmen ein festes Standbein im wichtigen deutschen Markt gesichert. Die Lage des Betriebs ist ideal: In der Region und im benachbarten Sieger- und Sauerland sind zahlreiche Anwender der Stanztechnik angesiedelt. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das „KIST“, das „Kompetenz-und Innovationszentrum für die StanzTechnologie“ in Dortmund: Dieses Schulungszentrum mit hochmoderner Ausstattung bietet Qualifizierung und Weiterbildung für Industrie und Handwerk mithilfe von IHK-anerkannten Lehrgängen, Fachseminaren und Workshops sowie Innovationsberatung und nutzt dazu auch Bruderer-Technologie.

Blick auf das neue Verwaltungsgebäude und die moderne Montagehalle, die über eigene Reinigungs- und Lackierkabinen verfügt.

Foto: B.E.

Lange Tradition – stetige Weiterentwicklung

Der Schweizer Hersteller von Hochleistungs-Stanzautomaten, gegründet 1943, ist seit über 60 Jahren in Deutschland ein Begriff. Bruderer gilt als „Hidden Champion“. Geschäftsführer Reto Bruderer vertritt die dritte Generation des Familienunternehmens, das 1943 von seinem Großvater gegründet wurde. Seither hat sich nicht nur das Stammwerk in Frasnacht am Bodensee, sondern selbstverständlich auch die Niederlassung in Dortmund zukunftsorientiert weiterentwickelt und stetige Erweiterungen erfahren. Nach einer umfangreichen Planungs- und Umbauphase haben die Schweizer nun im Herbst 2022 ihre neue Montagehalle zur Revision von Gebrauchtmaschinen sowie den vergrößerten Verwaltungsbereich in Betrieb genommen. Dies wurde im September mit einem zweitägigen Event gefeiert.

Achim Kuhli, langjähriger Geschäftsführer der Bruderer GmbH, erinnert sich: „Unsere Kunden haben in den letzten Jahrzehnten massiv in die Stanztechnik investiert – natürlich auch in Produkte aus unserem Hause. Dabei ist zu beobachten, dass das Revisionsgeschäft – auch unter den Aspekten Nachhaltigkeit und Arbeitssicherheit – verstärkt betrachtet und positiv angenommen wird. Um unseren Kunden dabei als zuverlässiger Partner zur Seite stehen zu können, haben wir unseren Standort regelmäßig erneuert und erweitert.“

Aus Alt mach Neu: Nach dem Retrofit sind die Gebrauchtmaschinen auf dem neuesten technischen Stand und verbrauchen sogar 30 Prozent bis 50 Prozent weniger Energie.

Foto: B.E.

Die Stanzautomaten aus Frasnacht sind anerkannt für hohe Präzision und Leistung. Sie decken Prozesskräfte vom 180 bis 2.500 Kilo-Newton für das Stanzen und Umformen einfacher bis komplexer Teile ab. Beliefert werden damit zum Beispiel Kunden aus der Automobil-, Elektro-/Elektronik-, der Uhrenindustrie oder der Medizintechnik. Zur Palette gehören außerdem Servo-, Walzen- und Zangenvorschübe, Servoachsen und Peripheriegeräte.

Was ist die Grundlage für Präzision und Prozesssicherheit?

Durch das konstruktiv einzigartige Hebelsystem der bewährten „BSTA“-Baureihe wird die im Stanzprozess erzeugte Last bestmöglich verteilt. Dies – und minimale Spiele, vor allem in den Haupt- und Pleuellagern – sind die Gründe für die lange Lebensdauer und Präzision der Maschine. Durch das Stößel-Führungssystem, welches ausschließlich in der Bandlaufebene angeordnet ist, wird ein Auslenken der Stempel im Stanzwerkzeug verhindert – der Garant für maximale Werkzeug-Standzeiten. Die gehärteten und geschliffenen Spindeln der Stößelverstellung müssen durch das Hebelsystem nur 20 Prozent der Last aufnehmen. Diese Konstruktion erlaubt es, den Stößel während des Stanzbetriebs zu regeln und in engsten Toleranzen zu halten.

Blick in die Montagehalle: Auch nach jahrelanger Schwerstarbeit erzielen Stanzautomaten der „BSTA“-Baureihe einen hohen Wiederverkaufswert.

Foto: Bruderer

Die kompakte, reaktionsschnelle Brems- und Kupplungseinheit ist ausschlaggebend für kurze Bremswege. Ein wichtiges Merkmal ist die „Erstschlag-Genauigkeit“, welche eine konstant hohe Fertigungsqualität vom ersten bis zum letzten Stanzschlag sichert. Der besonders kurze Bremswinkel garantiert einen unmittelbaren Stopp des Prozesses – ausgelöst beispielsweise durch die Werkzeugsicherung. Mittels dieser Komponente können unnötige Reparaturkosten an den kostspieligen Stanzwerkzeugen vermieden werden.

Ein Stanzautomat wird oft enormen Belastungen ausgesetzt und meist rund um die Uhr betrieben. Die konstruktive Auslegung des Maschinentriebwerks sorgt dafür, dass nur 60 Prozent der Gesamtlast auf die Haupt- und Pleuellager wirken. Die Stößel-Höhenverstellung, welche im stillstehenden Maschinengehäuse angeordnet ist, wird nur mit 40 Prozent belastet. Dieses ausgeklügelte System schont alle aktiven Komponenten und garantiert hohe Lebensdauer bei minimalem Wartungsaufwand. Aufgrund des besonderen Konstruktionsprinzips und der langlebigen Komponenten gelten die Stanzautomaten als „unverwüstlich“ und wertstabil. Dies sind beste Voraussetzungen für eine Überholung und Weiternutzung der Maschinen, wofür sich auch viele deutsche Kunden begeistern können.

Wachstum fordert mehr Raum

Ende 2019 wurde der Platz in Dortmund wieder knapp und ein weiterer Ausbau ging in die Planung. „Unser neuer Bau umfasst rund 1000 Quadratmeter für die Bearbeitung von vierzig Maschinen pro Jahr. Darüber hinaus wurde das Verwaltungsgebäude vergrößert“, so Achim Kuhli. „Mit diesen zusätzlichen Kapazitäten sind wir für die Zukunft gut aufgestellt.“

In der hochmodernen neuen Montagehalle mit Reinigungs- und Lackierkabinen werden die Gebrauchtmaschinen mit Original-Teilen und -Lösungen wieder fit gemacht. Die Reinigung geschieht rückstandsfrei und umweltfreundlich mit dem Trockeneis-Stahlverfahren. Das Retrofit umfasst sowohl mechanische Erneuerungen und Verbesserungen, zum Beispiel einen Umbau von einem mechanischen Vorschub auf einen Servovorschub, als auch steuerungstechnische Modernisierungen. Die Mitarbeiter benötigen dafür etwa zwölf Wochen. Die Garantiezeit beträgt ein Jahr. Mit den vergrößerten Gebäudekapazitäten lässt sich künftig nicht nur der Durchsatz deutlich erhöhen, sondern es wird auch möglich, flexibler auf besondere Kundenwünsche zu reagieren.

Was beinhalten Retrofit oder Revision in Dortmund?

Ein Retrofit kann eine attraktive Alternative zu einem neuen Stanzautomaten sein. Darunter wird eine komplette Überarbeitung einer Maschine aus dem Bruderer-Lagerbestand verstanden. Bei einer Revision wird eine Kundenmaschine überarbeitet und aktualisiert.

In der Montagehalle werden verschlissene Komponenten ausgetauscht und durch Originalteile und neue technische Lösungen ersetzt. Etwa zwölf Wochen dauert die Revision, Darauf gibt es ein Jahr Garantie. Drei Anlagen laufen dabei stets parallel.

Foto: B.E.

Durch den Austausch von veralteten Komponenten und das Hinzufügen von zeitgemäßen technologischen Weiterentwicklungen sind Leistungswerte zu erzielen, die sich mit einer neuen Maschine messen lassen. So ist z.B eine Verlängerung des Werkzeugeinbauraums möglich. Zu den weiteren Schritten zählt die komplette Prüfung der Mechanik/des Triebwerks. Die Sicherheit wird nach gültigen CE-Vorschriften angepasst (wie Druckluftanlage, Sicherheitsventile, Verschalungen, Hydraulik) und hierüber ein Zertifikat erteilt. Die elektronische Anlage lässt sich komplett ersetzen und eine moderne eigene PC-Steuerung installieren. Dies bewirkt u.a. eine Energieeinsparung im weiteren Betrieb. Und nicht zuletzt werden die überarbeiteten Maschinen durch die Maßnahmen „Industrie 4.0-ready“.

Die moderne PC-Steuerung von Bruderer basiert auf Beckhoff-Technologie.

Foto: B.E.

Ein weiteres „spannendes“ Thema sind Nachrüstungen, denn die Produkte aus Frasnacht entwickeln sich ständig weiter. Neue Technologien und Anwendungen haben einen Einfluss darauf, wie bereits in Betrieb befindliche Stanzautomaten ausgerüstet sind. Oftmals lassen sich neue Funktionen nachträglich installieren – eine Beratung beim Spezialisten liefert Antworten.

Ein revidierte Maschine verfüge über die gleiche Leistungsfähigkeit wie bei der Auslieferung als Neumaschine vor vielen Jahren, so die Meinung von Kuhli. Somit versteht sich auch, warum diese Gebrauchtmaschinen äußerst gefragt sind. „Am deutschen Markt sind derartige Maschinen nur sehr schwer zu bekommen. Deshalb stammen die Stanzautomaten, die hier überholt werden, sogar aus der ganzen Welt“, sagt Kuhli mit Stolz.

Hohe Produkt- und Servicequalität gesichert

Der Schwerpunkt in Dortmund liegt vor allem in der Überarbeitung von gebrauchten Maschinen bis 50-Tonnen Stanzkraft. Kuhli sagt dazu: „Dank der Qualität und Modularität lassen sich selbst betagte Maschinen wieder fit für ihren weiteren Einsatz machen und für moderne Anforderungen nachrüsten“. Dass diese Dienstleistung gefragt ist, lässt sich an den Zahlen ablesen: Rund 50 erfahrene Mitarbeiter betreuen von Dortmund aus viele Hundert Kunden im deutschen Raum und nahen Ausland.

Das Retrofit stellt hohe Anforderungen an das Wissen der Mitarbeitenden: Franz Pletenecky, Leiter Maschinenrevisionen bei der Bruderer GmbH, ist bereits im 35. Jahr im Betrieb in Dortmund tätig. Rechts daneben Reto Bruderer aus der Schweizer Geschäftsführung.

Foto: B.E.

Dem Know-how der Mitarbeiter kommt dabei besondere Bedeutung zu. Viele arbeiten bereits seit Jahrzehnten für das Unternehmen und kennen die Technik – auch der älteren Baureihen – aus eigener Erfahrung noch „aus dem Effeff“. Nun gelte es, dieses Wissen auch für die kommenden Mitarbeiter-Generationen zu bewahren. Zusätzliche Sicherheit bieten die umfangreichen Archive am Schweizer Produktionsstandort: Hier seien alle Konstruktionsunterlagen der Baureihen vollständig aufbewahrt worden und stehen bei Bedarf zur Problemlösung bereit, wie Geschäftsführer Reto Bruderer betont.

Ein Fest für Kunden und Mitarbeiter

Ende September 2022 hat die offizielle Einweihung der neuen Räumlichkeiten stattgefunden. Dazu war auch das Management aus der Schweiz angereist und überzeugte sich vom hohen Standard des Betriebs und seiner Mitarbeitenden.

Zur Einweihungsfeier überzeugte sich auch das Management von der Ausstattungsqualität: Wulf-Christian Ehrich, stv. Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Dortmund, Reto Bruderer, Geschäftsführer, Miriam Geisser, Marketingleiterin, Andreas Fischer, Verwaltungsrat (alle Bruderer AG), Achim Kuhli, Geschäftsführer der Bruderer GmbH Dortmund, Roland Ackermann, Leiter Verkauf & Marketing, Bruderer AG (v.l.n.r.). Bild: B.E.

Nach einer Betriebsbesichtigung ging es für die Gäste zum Feiern ins BVB-Stadion. Die Bruderer GmbH in Dortmund und den erfolgreichen Bundesliga-Fußballverein verbindet eine langjährige Partnerschaft – befindet sich doch der Standort in unmittelbarer Nähe zum Westfalenstadion. „Die neuen Arbeitsräume geben uns allen hier am Standort frischen Aufwind für die kommenden Aufgaben“, ist Kuhli überzeugt. „Mein besonderer Dank gilt der Inhaberschaft Adrian und Reto Bruderer und allen Mitarbeitern, ohne die der Erfolg unserer Niederlassung nicht möglich wäre. Ebenfalls richte ich meinen Dank an die beteiligten Baufirmen und deren Mitarbeiter für die termin- und kostengerechte Realisierung dieses Bauprojektes.“

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