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Pestizide schaden Ökosystemen 15.04.2024, 07:00 Uhr

KI soll den Rückgang der Artenvielfalt stoppen

Chemische Pflanzenschutzmittel schaden der Umwelt und wirken sich negativ auf die Population von Insekten, Fischen und Pflanzen aus. Um die schädlichen Auswirkungen einzudämmen, haben Forschende ein intelligentes Tool entwickelt, mit dem sich die Ausbreitung von Pestiziden nachvollziehen und kontrollieren lässt.

Frosch im Wasser

Amphibien wie Frösche, Kröten und Lurche sind besonders durch Pestizide gefährdet, da sie die giftigen Stoffe auch über die Haut aufnehmen können.

Foto: PantherMedia /Arne Balgalwis

Verschiedene Studien zeigen, dass in Flüssen und angrenzenden Ökosystemen immer seltener Lebewesen zu finden sind, die dort natürlicherweise vorkommen sollten. Selbst in Schutzgebieten zeigt sich der Rückgang der Artenvielfalt. Jede Art hat eine spezifische Rolle innerhalb des Ökosystems. Ein Rückgang der Artenvielfalt kann das Gleichgewicht stören und die Stabilität des gesamten Ökosystems gefährden. Neben Monokulturen und Nährstoffüberschüssen zählen Forschende vor allem den großflächigen Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft zu den Ursachen. Um die negativen Auswirkungen auf Ökosysteme zu verringern, haben sich verschiedene Forschungsgruppen dem Thema angenommen. Mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) haben sie einige Schutzgebiete untersucht und Lösungen entwickelt. Eine besteht in einer Webanwendung, die die Verteilung von Pestiziden in der Umwelt berechnet und aufzeigt.

Gereinigtes Abwasser verändert Artenvielfalt in Flüssen

Artenvielfalt durch Pestizide stark gefährdet

In Deutschland nehmen Äcker und Weiden etwa die Hälfte der Fläche ein. Entsprechend groß sind die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Ökosysteme. Doch nicht nur angrenzende Flächen sind durch Stickstoff-Düngemittel und Pestizide gefährdet. Auch entfernt liegende Schutzgebiete leiden unter den chemischen Pflanzenschutzmitteln. So hat das Institut für Umweltwissenschaften der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) den Pfälzer Wald und verschiedene Naturschutzgebiete in Sachsen untersucht. Das erschreckende Ergebnis: „Die Natur ist in Schutzgebieten ähnlich dramatischen Risiken durch Pestizide ausgesetzt wie in nicht geschützten Gebieten“, sagt Ralf Schulz von der RPTU.

Die Forschenden vermuten, dass die schädlichen Stoffe über einfließende Gewässer oder durch Wind in die Schutzgebiete gelangen. Auf diese Weise gefährden Pestizide eine Vielzahl von Lebewesen wie beispielsweise verschiedene Fischarten, Amphibien wie Frösche und Salamander, Insekten sowie Pflanzen. Um die Ökosysteme besser vor schädlichen Einflüssen zu schützen, raten die Forschenden dazu, eine pflanzenschutzmittelfreie Pufferzone rund um sensible Schutzgebiete zu errichten. „Es ist darüber hinaus wichtig, den Anteil von Pestizidwirkstoffen mit hoher Toxizität zu verringern“, sagt Schulz.

KI-Modell berechnet Verteilung von Pestiziden

Forschende des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig haben für das Pestizid-Problem einen weiteren Lösungsansatz entwickelt. Dabei handelt es sich um eine auf künstlicher Intelligenz-gestützten Webanwendung. Diese ermittelt den Eintrag von Pflanzenschutzmitteln. Und so funktioniert sie: „Über eine Karte wird sichtbar gemacht, wo welche Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden und wohin die Stoffe etwa nach einem Regen über Bäche und Flüsse abfließen“, erklärt Maximilian Hempel, DBU-Abteilungsleiter Umweltforschung.

Auf diese Weise können Anwenderinnen und Anwender die Auswirkungen verschiedener Landnutzungsszenarien auf Gewässer in Schutzgebieten einfach und schnell berechnen. Das heißt, sie sehen, ob und inwieweit ein bestimmtes Düngemittel in welchen Mengen umliegende Flächen beeinflusst. Darüber hinaus können die Anwenderinnen und Anwender verschiedene Landnutzungsstrategien unmittelbar miteinander vergleichen und so gezielt Lösungen zum Verringern der eingesetzten Pflanzenschutzmittel entwickeln.

Derzeit arbeiten die Forschenden an einer Erweiterung der Webanwendung. Ziel des Projekts PuMa 2.0 ist die Weiterentwicklung zur Bewertung und Simulation von Pflanzenschutzmittel-Einträgen in die Umwelt. Die Webanwendung soll eine offene Plattform für Umweltforschung werden, die verschiedene Nutzergruppen integriert.

KI birgt Chancen für den Erhalt der Artenvielfalt

Die aufgeführten Projekt-Ideen zeigen, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, um Ökosysteme besser vor Pestiziden zu schützen. Dennoch werden jährlich rund 90.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel ausgebracht. Um die negativen Auswirkungen zu stoppen, müssen diese Mengen weiterhin reduziert werden. Die Deutsche Bundesstiftung für Umwelt fördert daher Projekte „zur Vermeidung und Verminderung von Pestiziden in der Umwelt“ mit insgesamt drei Millionen Euro. „Wir sehen die Notwendigkeit, den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu reduzieren, um Ökosysteme wie etwa Bäche, Flüsse und Grundwasser zu entlasten und damit der Biodiversitätskrise entgegenzuwirken“, sagt Hempel.

Insbesondere künstliche Intelligenz (KI) in Kombination mit Vorhersagemodellen birgt große Chancen für den Artenschutz. Die KI-gestützte Analyse von Umweltdaten wie Wetterbedingungen, Bodenbeschaffenheit und Landnutzung ermöglicht eine genaue Prognose, Steuerung und Vermeidung der Ausbreitung von Pestiziden in Gewässern und Ökosystemen. In Kombination mit verschärften Regulierungen, nachhaltiger Landwirtschaft und gezielten Naturschutzprogrammen kann so effektiv dem Rückgang der Artenvielfalt entgegengewirkt werden.

Von Ines Klawonn